Drei Perspektiven auf Kindheitspädagog*innen in KitasSo sieht`aus

Mit dem geplanten „Gute-Kita-Gesetz“ ist die Qualität frühkindlicher Bildung erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Ein Teil der Debatte dreht sich auch um die Akademisierung von Fachkräften. Die Kompetenz von Kindheitspädagog*innen ist gefragt wie nie zuvor. Doch derzeit arbeiten nur wenige von ihnen in der Kita-Praxis. Warum nur?

Das sagt die Kindheitspädagogin:

Wer oder was bin ich eigentlich als Kindheitspädagogin? Wie kann ich die pädagogische Praxis bereichern? Diese Fragen beschäftigten mich vor allem in den letzten Semestern meines Studiums. Auch in meiner Bachelorarbeit versuchte ich solchen Fragen auf den Grund zu gehen. Dazu interviewte ich u. a. Absolvent*innen des Studiengangs „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Evangelischen Hochschule Dresden. Das Ergebnis: Die Mehrheit berichtete von einer großen Identifikation mit ihrem Abschluss. Doch: In der Praxis würden sie nicht als Kindheitspädagog*innen wahrgenommen, sondern als Erzieher*innen und passten sich dieser Rolle an.
Heute – nach zwei Jahren in der Praxis – finde ich mich in den Berichten meiner Interviewpartner*innen wieder. Direkt nach meinem Studium nahm ich eine Stelle in einer Kita an. Dort leite ich derzeit im Kindergartenbereich eine Gruppe von 3- bis 6-Jährigen. An meinem Arbeitsplatz nehme ich mich selbst anders wahr als mein Arbeitgeber, meine Kolleg*innen oder die Eltern. Denn: Ich werde als Erzieherin gesehen, weil ich – genauso wie meine Kolleginnen – als Erzieherin eingestellt wurde und die Aufgaben einer Erzieherin erfülle. Auch die Kinder identifizieren mich als „ihre“ Erzieherin. Für die Eltern bin ich die Erzieherin ihrer Kinder und im Team wird dies prinzipiell auch nicht infrage gestellt.
Werde ich jedoch mal gefragt – ob auf der Arbeit oder außerhalb dieses Umfelds –, bezeichne ich mich als Kindheitspädagogin. Im Studium durfte ich viel über Entwicklungspsychologie, Beobachtung und Dokumentation, Kindheitsforschung, Qualitätsentwicklung und noch vieles mehr lernen. So einiges davon darf ich nun anwenden und erweitern. Dabei fühle ich mich keineswegs fehl am Platz, schließlich gibt es einige Überschneidungen zwischen dem Berufsprofil von Erzieher*innen und Kindheitspädagog*innen. Seit ich selbst eine Gruppe von Kindern leite, ist mein Respekt vor dieser Arbeit sehr gewachsen. Doch zugleich frage ich mich immer wieder, wie ich als Kindheitspädagogin die pädagogische Arbeit in unserer Einrichtung mit meinem Wissen und Können aus dem Studium bereichern kann. Und nach wie vor beschäftigt mich dies: Wie kann und will ich als Kindheitspädagogin wahrgenommen werden? Selbst nach zwei Jahren im Beruf stehe ich mit der Beantwortung dieser Fragen noch ganz am Anfang. Nicht zuletzt, weil die Kita-Aufgaben so vielfältig und die Zeit so knapp bemessen ist.
Außerdem nehme ich den Einstieg in die Praxis als recht langen Prozess wahr. Noch immer suche ich nach meiner beruflichen Rolle und bin weiter dabei, mich in meine Verantwortungsbereiche einzufinden. Doch ich lasse mich sehr gern auf diesen Prozess ein. Er macht mir deutlich, dass das Lernen erst nach dem Studium so richtig losgeht.

Das sagt die Wissenschaftlerin:

Kita-Kinder von heute werden mit hoher Wahrscheinlichkeit das 22. Jahrhundert erleben. Es ist eine Welt, von der wir nicht wissen, wie sie sein wird. Kinder auf ihre Zukunft vorbereiten, sie gleichzeitig dabei zu unterstützen, in die sie umgebende Welt hineinzuwachsen1 – dies ist eine Balance. Sie stellt neue Anforderungen an die Qualität des pädagogischen Handelns.2
Auf diese müssen sowohl die Ausbildung als auch die kindheitspädagogischen Studiengänge vorbereiten. Es zeichnet sich im Moment ab, dass beide Ausbildungsformen über einen längeren Zeitraum nebeneinander bestehen und Absolvent*innen der Kindheitspädagogik gemeinsam mit Erzieher*innen in einem Team arbeiten werden. Für die Erzieher*innen wiederum eröffnet sich mit der Akademisierung zudem eine Durchlässigkeit der Ausbildungswege.
Es geht nun darum, die spezifischen Potenziale von Kindheitspädagog*innen zu nutzen. Diese bestehen aus meiner Sicht aus zweierlei Vorteilen: Wissenschaftlichkeit und Spezialisierung.
Auch wenn Akademiker*innen in den Kita-Teams noch eine Minderheit bilden3: Mit ihnen kommt stärker wissenschaftlich ausgebildetes Personal in die Einrichtungen. Durch ihre Selbststudienanteile bringen sie andere Lern- und Bildungserfahrungen als die Erzieher*innen in die Teams ein. Mit ihrem vertieften Wissen können sie Bildungsprozesse von Kindern produktiv unterstützen. Durch eine Verbindung von Theorie und Praxis haben sie gelernt, Handlungsstrategien auszuwählen, pädagogisch zu begründen und zu reflektieren. Dazu gehört auch, Widersprüchlichkeiten zwischen Theorie und Praxis zu erkennen und auszuhalten. Mit ihrer stärker wissenschaftlich basierten Urteils- und Reflexionsfähigkeit tragen Kindheitspädagog*innen zu einer weiteren Professionalisierung der Teams bei. So können ihnen spezifische Aufgaben bei der Erarbeitung von Qualitätsstandards bzw. Konzeption- oder Organisationsentwicklung übertragen werden.
Die Anforderungen an Träger und Teams sind mittlerweile gestiegen. Für sie besteht nun die Chance, neben den Erzieher*innen als Generalist*innen4, Spezialist*innen mit in die Teams zu bekommen.
Mir ist bewusst, dass es nicht immer einfach ist, die jeweils andere(n) Kompetenz(en) als Bereicherung zu verstehen. Auf beiden Seiten erlebe ich häufig Vorurteile. So höre ich immer wieder von Praktiker*innen, dass die Akademiker*innen nicht mit Gruppen arbeiten könnten, sich für bestimmte Arbeiten zu fein seien und von der Praxis sowieso keine Ahnung hätten. Die Studierten meinen z. T., dass sie eine bessere Ausbildung hätten, wüssten, wo es langgehe, und auf langjährige Erfahrungen so mancher Kollegin oder manches Kollegen verzichten zu können. Diese Vorurteile zu reflektieren, gehört für beide Berufsgruppen zum professionellen Handeln.
Die Aufgabe der Gesellschaft ist es, Rahmenbedingungen zu verbessern und Frühe Bildung – auch monetär – aufzuwerten. Doch die Zusammenarbeit von Erzieher*innen und Kindheitspädgog*innen gelingt nur mit gegenseitigem Verständnis füreinander. Dazu braucht es den Gestaltungswillen von Leitung und Träger. Die gegenwärtige Verunsicherung ist eine Chance, neue Wege einzuschlagen, um den gestiegenen Anforderungen gerecht werden zu können.

Das sagt die Gewerkschaftsvertreterin:

Die Erwartungen an pädagogische Fachkräfte steigen. Wieder und wieder werden neue Anforderungen an deren Arbeit gestellt. Diese Entwicklung muss sich endlich in einer deutlich besseren Bezahlung der Fachkräfte widerspiegeln. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) setzt sich seit vielen Jahren für die allgemeine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe und für die Akademisierung des frühpädagogischen Berufsfelds ein. Dazu gehört auch, dass die in den Kitas arbeitenden Kindheitspädagog*innen (bundesweit durchschnittlich 5%) entsprechend ihrer Qualifikation entlohnt werden.
Bisher fehlt jedoch eine angemessene Eingruppierung in den Tarifvertrag (TVöD) für den Sozial- und Erziehungsdienst (SuE). Aufgrund der Tarifsystematik spielt der Bachelor-Abschluss keine Rolle bei der tariflichen Eingruppierung. Denn dafür wird die Tätigkeit zugrunde gelegt, die nach der Stellenbeschreibung des Arbeitgebers auszuüben ist. Daher werden Kindheitspädagog*innen, die gemäß Stellenbeschreibung die Tätigkeit einer Erzieherin oder eines Erziehers ausüben, gleichermaßen eingruppiert und entlohnt (S8a). Üben sie allerdings die Tätigkeit eines/e Sozialarbeiter*in/-pädagog*in (z. B. in der Schulsozialarbeit, in der Elternberatung oder dem allgemeinen sozialen Dienst) aus, werden sie in der Regel nach S11, S12 oder S14 bezahlt. Das sind monatlich ca. 200 bis 300 Euro mehr, als sie in den Kindertageseinrichtungen erhalten würden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Kindheitspädagog*innen das Berufsfeld wieder verlassen, vor allem wenn ihnen keine Aufstiegsmöglichkeiten in Aussicht gestellt werden. Leider gehen dadurch aber deren frühpädagogisches Fachwissen für die Kitas verloren. Dies ist ein Unding im Hinblick auf den gravierenden Fachkräftemangel, der in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen wird. Hier muss dringend nachjustiert werden. Denn um eine Akademisierung des Erzieher*innenberufs wird man in Zukunft nicht herumkommen. Nicht nur aufgrund der gestiegenen Anforderungen an das Arbeitsfeld, sondern hauptsächlich auch wegen des veränderten Ausbildungsverhaltens der Jugendlichen. Inzwischen streben ca. 70% der Jugendlichen mit einem mittleren Bildungsabschluss eine Hochschulzugangsberechtigung und nachfolgend ein Studium an.
Die Übergangsquote von Realschüler*innen in eine Berufsausbildung beträgt z. B. in Baden- Württemberg nur noch rund 30%. Wer also zukünftig ausreichend qualifizierte frühpädagogische Fachkräfte gewinnen will, wird nicht auf Abiturient*innen bzw. akademisch ausgebildete Kindheitspädagog*innen verzichten können. Doch damit dies gelingt, müssen zunächst die Attraktivität des Erzieher*innenberufs erhöht und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. In der Politik wird jedoch immer wieder argumentiert, dass beispielsweise eine Verbesserung der Fachkraft- Kind-Relation in Zeiten knapper Fachkräfte nicht möglich sei. Dabei ist das Gegenteil richtig: Wer aus dem Teufelskreis von schlechten Rahmen- und Arbeitsbedingungen und fehlenden Fachkräften herauskommen will, der muss zuerst die Arbeitsbedingungen verbessern. Wenn hier nicht bald gegengesteuert wird, droht auch der quantitative Ausbau der Frühen Bildung in den Kindertageseinrichtungen an die Wand zu fahren.
Die nächste Chance gibt es bei den Tarifverhandlungen des Sozial- und Erziehungsdienstes im Jahr 2020. Dann kann wieder über die Eingruppierungstabelle verhandelt werden. Allerdings wird eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe und eine angemessene Eingruppierung von Kindheitspädagog* innen nur gelingen, wenn sich die Beschäftigten an den Streikaktionen beteiligen und so den Druck der Gewerkschaften auf die Arbeitgeber in Bund, Ländern und Kommunen erhöhen.

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