Ein Gespräch mit Hermann Kues über die CDU, das „C“ und die Kirchen„Von selbst funktioniert nichts mehr“

Welche Rolle spielt heute das Christliche als Integrationsfaktor in der Volkspartei CDU mit ihren unterschiedlichen Strömungen? Wo liegen Chancen und Probleme in den Beziehungen zwischen Union und Kirchen? Darüber sprachen wir mit Staatssekretär Hermann Kues MdB. Die Fragen stellte Ulrich Ruh.

HK: Herr Dr. Kues, in ihrem neuen Grundsatzprogramm bekennt sich die CDU zum christlichen Menschenbild als der Grundlage ihrer Politik und betont die Bedeutung der Kirchen für unsere Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es in Teilen der Kirchen unter überzeugten Christen seit Jahr und Tag eine latente Unzufriedenheit mit der Ausrichtung und mit Positionen der CDU. Wie geht das zusammen?

Kues: Bestimmte Selbstverständlichkeiten sind verloren gegangen. Die Union war einst trotz ihres ökumenischen Charakters vor allem die Partei katholischer Christen und hat sich auch als solche verstanden. Inzwischen hat sich zum einen die Kirche verändert; sie ist weniger unter den Bischöfen als in ihrer Gesamtheit pluraler geworden. Zum anderen hat sich mit der Gesamtgesellschaft auch die CDU verändert. Als Folge dieser Veränderungen in Kirche und Gesellschaft kommt es gelegentlich zu Eruptionen, wenn beispielsweise einzelne Bischöfe angesichts der Probleme im eigenen Laden und aus Enttäuschung, dass die Dinge nicht mehr so laufen wie früher, einen Schuldigen suchen und ihn dann teilweise in der Union finden. Aber auch eine mit der Kirche vielfältig verbundene Partei muss Mehrheiten gewinnen und entsprechende Kompromisse eingehen. Das gehört zum politischen Geschäft.

HK: Jüngster Anlass zu kirchlichen Eruptionen war die von Frau Schavan befürwortete Verschiebung des Stichtags für die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Die CDU-Ministerin musste sich aus „ihrer“ Kirche teilweise harsche Kritik anhören ...

Kues: Die Kirche darf an der Position, wie sie auch Frau Schavan vertritt, durchaus Kritik üben. Aber sie kann ihr nicht vorschreiben, wie sie abzustimmen hat. Hier handelt es sich um eine Gewissensentscheidung, zumal es in der zugrunde liegenden Frage des Lebensschutzes keinen Dissens gibt. Im Übrigen muss man bei der biomedizinischen Entwicklung auch die europäische Ebene sehen: Es gibt in Europa kein Land mit einem so hohen Schutzniveau für den Embryo und mit einer so intensiven Diskussion wie Deutschland. Dass dem so ist, hat entscheidend mit der Union zu tun, und deshalb müsste man als Kirche die Politiker, die sich an dieser Diskussion beteiligen, eigentlich ermutigen, auch wenn sie in einer konkreten Frage anders entscheiden. Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass die überwältigende Mehrheit der Unionsfraktion in der Stammzellenfrage für eine Position votiert hat, die der der katholischen Kirche entspricht.

„Man schaut genau hin, wie CDU-Politiker argumentieren“

HK: Die CDU hat als überkonfessionelle christliche Partei immer zwei kirchliche Ansprechpartner und Bezugsgrößen: Die evangelische und die katholische Kirche, wobei sich die Beziehungen zu beiden traditionell unterschiedlich gestaltet haben. Wirken sich diese Unterschiede in der aktuellen politischen Landschaft noch aus?

Kues: Die Bandbreite der Positionen innerhalb der katholischen Kirche wie in der evangelischen Kirche ist heute meiner Erfahrung nach erstaunlich groß, wie sich an vielen Sachfragen zeigt. Deshalb verlaufen die Fronten oft quer zu den Konfessionen. Natürlich bleiben die Unterschiede im Kirchenverständnis, die sich nach wie vor bemerkbar machen. Mir sagte einmal eine evangelische Bischöfin, was es bei den Katholiken zu viel an Verbindlichkeit gebe, gebe es auf evangelischer Seite zu wenig. Die evangelische Kirche tut sich mit einer klaren Positionierung dementsprechend schwer, auch wenn sie zweifellos über starke Persönlichkeiten mit der Fähigkeit zu öffentlichem Auftreten verfügt, die ein schlüssiges Bild der evangelischen Kirche vermitteln. Der Umgang der Union mit der evangelischen Kirche ist insgesamt nicht automatisch schwieriger als der mit der katholischen.

HK: Warum braucht es dann in der Union noch einen separaten Evangelischen Arbeitskreis?

Kues: Es gibt offenbar nach wie vor das Bedürfnis, innerhalb der Union evangelische Stimmen zu profilieren. Nicht selten empfinde ich als Katholik die Position des Evangelischen Arbeitskreises durchaus als hilfreich, auch wenn er sicher nicht die ganze Bandbreite des Protestantismus repräsentiert. Allerdings ist für mich die Hauptaufgabe für meine Partei, in ökumenischer Gemeinschaft herauszuarbeiten, was uns als evangelische und katholische Christen in der politischen Arbeit verbindet. Faktisch sind in den alten Bundesländern die gewachsenen Verbindungen der CDU zur katholischen Kirche noch immer stärker, und für die neuen Länder gilt teilweise das Gleiche. Das könnte man an vielen Namen festmachen

HK: Manchen schwebt ja vor, so etwas wie einen „Katholischen Arbeitskreis“ innerhalb der Union zu etablieren, nicht zuletzt, um verlorenes Vertrauen in der katholischen Kirche wieder zu gewinnen. Was halten Sie als katholischer Unionspolitiker von der Idee?

Kues: Ein solcher Arbeitskreis müsste für sich zunächst einmal bestimmen, was denn das Katholische ausmacht, was gar nicht so leicht ist. „Katholisch“ heißt bekanntlich übersetzt „allumfassend“! Und wenn es sich dabei lediglich um ein Bündnis derer handeln würde, die traurig darüber sind, dass bestimmte Traditionen nicht mehr funktionieren, wäre ein solcher Kreis nicht zukunftsfähig. Nostalgie trägt nicht als politisch wirksame Grundlage.

HK: Wie steht es überhaupt bei aktiven Katholiken mit dem Interesse am politischen Betrieb, an politischen Prozessen? Grassiert nicht vielfach eine gewisse Unfähigkeit zur Politik, eine ausgesprochene Unlust am politischen Engagement, gerade bei Mitgliedern der Kerngemeinden?

Kues: Früher gab es viele Priester und pastorale Mitarbeiter, die alternativ gerne Politiker geworden wären. Der Typ ist zwar nicht ausgestorben, aber seltener geworden. Auch der Gewerkschaftler mit sozialkatholischer Tradition, der als Mitglied von KAB oder Kolping Gewerkschaftsarbeit macht, ist inzwischen eine Rarität. Oder denken Sie an die vielen Unionspolitiker, die sich zuerst in der katholischen Jugendarbeit engagiert und dort ihr Rüstzeug mitbekommen haben, von Werner Remmers über Bernhard Vogel bis zu Alois Glück. Auch hier ist etwas weggebrochen.

HK: Gerade die katholischen Verbände fungierten lange Zeit als die wichtigsten Transmissionsriemen zwischen der katholischen Kirche und der Union. Wie sieht es heute in dieser Hinsicht konkret aus?

Kues: Die Situation lässt sich schwer auf einen Nenner bringen. So gibt es in der Unionsfraktion im Bundestag katholische Verbandsmitglieder, darunter zum Beispiel die Bundesvorsitzenden von Kolping, BKU und Frauenbund. Das macht im Übrigen deutlich, wo im katholischen Bereich die Bereitschaft zum konkreten politischen Engagement lebendig ist! Viele Unionspolitiker pflegen nach wie vor einen guten Kontakt zu den Verbänden, kommen zu entsprechenden Veranstaltungen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Aber auch ein Verband wie Kolping hat sich verändert, ist pluraler geworden. Es kommt gerade heute darauf an, den Kontakt zur praktischen Politik zu halten. Früher hatten KAB und andere viel dazu beigetragen, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln und im Alltag umzusetzen. Das muss auch heute gelingen.

HK: Und wie verhält es sich bei den kirchlichen Jugendverbänden im Blick auf die CDU?

Kues: Hier sehe ich eine interessante Entwicklung. Eine Zeitlang herrschte im Verhältnis zur Union eine große Distanz vor. Sie galt als die Partei der Eltern, mit der man nichts zu tun haben wollte. Inzwischen ist wieder eine große Offenheit festzustellen. Beim BDKJ konnte die Union speziell seit den siebziger Jahren keinen Blumentopf gewinnen. Das ist anders geworden. Man muss sich allerdings auf Unionsseite auf die Argumente und Themen der Jugendverbände einlassen und sie als Gesprächspartner ernst nehmen.Von selbst funktioniert in diesem Bereich nichts mehr. Man schaut vielmehr genau hin, wie CDU-Politiker argumentieren. Es reicht gerade im Gespräch mit jungen Leuten nicht, das „C“ nur wie eine Monstranz vor sich her zu tragen. Wer seinen christlichen Hintergrund dagegen plausibel machen kann, hat gute Chancen, gehört zu werden.

HK: Also führt es in keinem Fall weiter, wie es ab und zu geschieht, den Schwarzen Peter zwischen Christdemokraten und Kirche hin und her zu schieben und sich gegenseitig Vorwürfe zu machen ...

Kues: Wir dürfen uns vor allem nicht wechselseitig überfordern. Es kommt für das Verhältnis zwischen Kirche und Union viel mehr darauf an, dass jede Seite ihre Probleme wahrnimmt und dann auch auf ihre spezifische Weise angeht. Man sollte es auch Menschen, die sich zum christlichen Glauben bekennen und vor Ort aus ihm leben wollen, nicht unnötig schwer machen. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, sie seien einer Zangenbewegung ausgesetzt. Auf der einen Seite wird ihnen vorgehalten, sie seien zu wenig christlich, sie müssten aus ihrem Glauben heraus viel mehr bewegen. Auf der anderen Seite müssen sie sich von Menschen, mit denen sie zusammenleben und -arbeiten, vorwerfen lassen, sie lebten als Gläubige und aktive Christen hinter dem Mond. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder auf die gemeinsamen Herausforderungen für christlich inspirierte Politik einerseits und Kirche andererseits zu besinnen und sich gegenseitig zu unterstützen. Das gelingt um so besser, je mehr Kirchenvertreter Verständnis für politische Abläufe und den damit verbundenen Entscheidungsdruck aufbringen und Politik nicht nur vom Studierzimmer aus betrachten.

„In der Familienpolitik haben wir uns zu wenig mit der veränderten Situation beschäftigt“

HK: Die Kirchen können ihrem Selbstverständnis nach nicht nur Kontakte zur Union pflegen, sondern müssen im Sinn der Äquidistanz grundsätzlich für alle demokratischen Parteien offen sein. Stört Sie das ?

Kues: Nein. Es ist in Ordnung, dass es eine prinzipielle Offenheit der Kirche gegenüber allen Parteien gibt. Das hat allerdings auch Folgen: Wenn man auf Offenheit setzt, kann man nicht selbstverständlich Leute für sich in Anspruch nehmen. Man muss sie vielmehr von Fall zu Fall gewinnen. Man kann ihnen nach politischen Entscheidungen auch keine Vorwürfe machen, wenn man vorher gar nicht mit ihnen geredet hat. Im Übrigen: Die meisten Bischöfe laden regelmäßig Politiker zu Gesprächen ein. Dabei ist in der Regel auch die Sozialdemokratie vertreten, aber die Mehrzahl stellen doch Leute aus der Union. Das Katholische Büro in Berlin wiederum muss seinem Auftrag entsprechend Kontakte zu allen Parteien pflegen, und das ist auch gut so. Aber das heißt nicht, dass es zu allen gleich enge Beziehungen gäbe. Nehmen Sie die Grünen: Sie tun sich vielfach schwer mit der Kirche als Institution, wenn sie auch für christliches Gedankengut zum Teil offen sind und oft auch persönlich einen kirchlichen Hintergrund haben.

HK: In ihrem Ende letzten Jahres verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm nennt die CDU als eine ihrer geistigen und politischen Grundlagen die Sozialethik der christlichen Kirchen. Besonders aus der katholischen Soziallehre hat die Union wichtige Anstöße bezogen. Wie sieht es heute auf diesem Feld aus?

Kues: Prägung durch christliches Gedankengut bedeutet sicher nicht auch schon Orientierung an der katholischen Soziallehre. Diese Soziallehre beschäftigt sich schließlich auch viel zu wenig mit alltagstauglichen Überlegungen. Sie schafft oft nicht den Übergang von theologischen Prinzipien zu dem, was in der Politik gefragt ist. Dass das geht, haben gerade in den biomedizinischen Diskussionen der letzten Jahre Moraltheologen gezeigt, die es verstanden haben, dem Bedarf an Orientierungshilfe entgegenzukommen und dadurch erheblichen Einfluss gewonnen haben. Natürlich ist das, was wir heute als Sozialstaat haben, sehr eng mit der katholischen Soziallehre verbunden. Sie hat es aber nicht wirklich geschafft, die Frage zu beantworten, was im Rückblick auf diese Tradition heute geboten wäre, wie eigentlich eine Agenda 2020 aus der Sicht der katholischen Soziallehre aussehen müsste.

HK: Was könnte beziehungsweise sollte denn eine solche Agenda vor allem enthalten?

Kues: Sie müsste Überlegungen dazu anstellen, wie der Sozialstaat der Zukunft aussehen könnte, vor allem im Blick auf das Verhältnis von Individuum, Staat und Gesellschaft. Wir nähren doch tendenziell nach wie vor die Illusion vom Vater Staat, der sich um praktisch alles kümmert. Aber das passt nicht zum christlichen Bild vom Menschen und von der Gesellschaft. Auf den Sozialstaat bezogen ist sie viel zu sehr dem Status Quo verhaftet. Hier bestehen Defizite, die sich allerdings nicht von heute auf morgen beseitigen lassen.

HK: Ein sozialethisches Zukunftsthema erster Ordnung im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft ist zweifellos das Thema Familie. Hier befinden sich Kirche und Union gleichermaßen in einem noch nicht abgeschlossenen Diskussionsprozess. Was kann dabei herauskommen?

Kues: In der Familienpolitik haben wir uns zu wenig mit der veränderten Situation beschäftigt. Politik kann den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen, muss aber wohl zur Kenntnis nehmen, wie sie leben wollen. Wir haben hier an einigen Stellen leider den Anschluss verloren. In dieser Situation hat sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken große Verdienste erworben, indem es die Veränderungen analysiert und dadurch versucht hat, praktische politische Folgerungen abzuleiten. Das ist kein spannungsfreies Unternehmen, aber auch die Mehrzahl der Bischöfe dürfte inzwischen akzeptieren, dass es nicht genügt, ein normatives Familienbild hochzuhalten. Es müsste auf jeden Fall ein gemeinsames Anliegen sein zu überlegen, wie sich die Verlässlichkeit von Bindungen fördern ließe, welche Rahmenbedingungen dafür gegeben sein müssen und was auch der Staat dazu beitragen kann. Ein gemeinsames Anliegen müsste es auch sein, bestmögliche Voraussetzungen für das Heranwachsen von Kindern zu schaffen. Hier gibt es für die Union wie für die Kirche aus ihrer jeweiligen Verantwortung heraus viel zu tun.

HK: Ist es für einen Unionspolitiker gegenüber der Öffentlichkeit beziehungsweise im Blick auf politische Mitbewerber heute eher ein Handicap, wenn er sich zu christlichen Überzeugungen und zu seiner kirchlichen Bindung bekennt, oder ist es für ihn von Vorteil?

Kues: Wenn es zu seiner Person passt, ist es ganz klar ein Vorteil. Politiker müssen ja authentisch sein: Wenn die Dimension Christentum-Kirche Teil des eigenen Lebens ist, sollte man sich als Politiker auch dazu bekennen und es thematisieren. Man erreicht dadurch zumindest Respekt, auch bei Andersdenkenden. Es ist allerdings ein Nachteil, wenn man die christliche Überzeugung nicht persönlich verarbeitet hat und gleichsam von außen Stellung nimmt. Ich werde, wenn ich Teil der Kirche bin, etwa auch zu einer Kirchengemeinde gehöre, immer die Freiheit haben, das zu äußern, was meiner Überzeugung nach richtig ist. Das gilt auch für die politischen Auffassungen. Wenn die Verbundenheit mit Christentum und Kirche dagegen eher taktischer oder traditioneller Natur ist, nimmt sie einem keiner ab. Es kommt darauf an, das, was man praktisch tut, jeweils an Grundüberzeugungen zu koppeln und dadurch Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

„Die CDU ist immer eine sehr pragmatische Partei gewesen“

HK: Dann hätten also christliche Politiker im Idealfall eine Art Brückenfunktion?

Kues: Wer sowohl im Bereich der Kirche wie im Bereich der Politik, etwa in der CDU, tätig ist, muss in beiden Feldern Position beziehen. Es sollte nicht so sein, dass diese doppelte Herausforderung zur Last wird. Aber wenn es zur eigenen Persönlichkeit passt, ist es eher eine Chance, auch bei Wahlen. Hier machen sich natürlich auch für einen CDU-Politiker regionale Unterschiede bemerkbar: Wer in einer Region mit einer nach wie vor starken volkskirchlichen Prägung antritt, zieht aus seiner kirchlichen Bindung eher Vorteile. Im Osten dagegen muss ein CDU-Abgeordneter viel mehr erläutern, seine Überzeugung plausibel zu machen versuchen. Ich kenne im Übrigen auch Kollegen im Osten, die mir sagen, sie müssten ihr Katholischsein eher verstecken, um nicht ganz und gar als Exoten abgestempelt zu werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass die katholische Kirche in den neuen Bundesländern durchaus Ansehen genießt, nicht zuletzt durch ihre Bildungseinrichtungen und ihre karitative Arbeit.

HK: Die CDU beschäftigt sich meinem Eindruck nach nicht gerne grundsätzlich mit der Herausforderung durch das „C“ im Parteinamen. Sie nimmt es eher als gegeben hin, sozusagen als Erbstück. Kann das auf Dauer gut gehen?

Kues: Die CDU ist auch immer eine sehr pragmatische Partei gewesen, die Dinge konkret umgesetzt hat. Aus dem christlichen Menschenbild lassen sich bestimmte soziale Verpflichtungen ableiten, gleichzeitig auch die Berufung des Menschen zur Freiheit. Das muss sich beides in praktischer Politik niederschlagen. Wenn die CDU etwa nicht sozial sensibel ist, verliert sie schnell Wahlen. Die Politik der CDU wurde immer stärker durch Personen repräsentiert als durch theoretische Programme. Das galt für Konrad Adenauer und Helmut Kohl, es gilt auch für Angela Merkel, die nicht zu theoretischen Diskussionen neigt, aber eine gute Politik macht, die auch viel Zustimmung findet.

HK: Aber die Frage nach den geistigen Grundlagen, gerade auch nach dem „C“ lässt sich doch nicht völlig ausklammern ....

Kues: Wir brauchen natürlich auch Grundsatzdiskussionen. Hinter jeder politischen Entscheidung steckt ja letztlich ein bestimmtes Bild vom Menschen und der Gesellschaft. Deshalb müssen wir unsere Politik auf ihre Grundlagen hin befragen. So genügt es beispielsweise nicht, die CDU als „moderne“ Partei zu verstehen. Ich muss doch fragen, was damit gemeint ist, welchen Staat, welche Gesellschaft man unter diesem Etikett anstrebt und ob diese Vorstellungen mit unserer christlichen Prägung kompatibel sind. Wir haben beispielsweise in diesem Sinn für unseren Bezirksvorstand eine Klausurtagung zum Thema „Christliches Menschenbild“ veranstaltet und uns dabei auch unbequeme Fragen gefallen lassen. Das „C“ ist schließlich der Markenkern der Union. Solange sie mit dem „C“ im Namen operiert, muss sie es auch immer wieder deuten, an die praktische Politik rückkoppeln und es begründen. Das ist eine Aufgabe für alle Gliederungen und Vereinigungen in der CDU.

HK: Ist aber das „C“ wirklich noch der entscheidende, auch zukunftsfähige Integrationsfaktor für die CDU?

Kues: Davon bin ich fest überzeugt. Natürlich kann das nicht jedes Parteimitglied gleich gut begründen und hat sich nicht jeder in der Partei wirklich damit auseinandergesetzt. Aber die CDU würde ohne das „C“ ihre Identität verlieren. Sie würde ihre historischen Wurzeln kappen und auch die Verbindung von katholischen und evangelischen Christen aufs Spiel setzen. Man sollte nicht vergessen: Die CDU war ein großes ökumenisches Projekt. Als die Kirchen noch längst nicht soweit waren, hat ihnen sozusagen die Politik vorgemacht, was Ökumene heißt. Deshalb sehe ich für das „C“ und die mit ihm verbundenen Grundoptionen für eine Werteorientierung der Politik und für die Demokratie keinen Ersatz: Alles andere wäre sehr technokratisch und vordergründig, letztlich zu kurz gedacht.

HK: An der Spitze der CDU steht derzeit die ostdeutsche Protestantin Angela Merkel, lange Zeit war es der westdeutsche Katholik Helmut Kohl. Hat das nicht zumindest atmosphärisch Auswirkungen?

Kues: Angela Merkel ist eine überzeugte Christin, und das artikuliert sie auch. Sie tut das sicher nicht so häufig wie andere, aber das ist ihre persönliche Entscheidung. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass ihre christliche Prägung häufiger von außen wahrnehmbar ist. Im praktischen Vollzug von Politik bewegt sich die Kanzlerin durchaus auf dem Boden der christlichen Sozialethik. Es ist ja kein Zufall, dass der Union heute auf der einen Seite vorgehalten wird, sie sozialdemokratisiere sich, auf der anderen Seite, sie huldige dem Neoliberalismus. Christliche Sozialethik hat sich immer in dieser Spannung bewegt, und das tut auch Angela Merkel in ihrer Politik.

HK: Es hat also kein erkennbarer Wechsel im Blick auf den Stellenwert des „C“ und in den Beziehungen zwischen Union und Kirchen stattgefunden?

Kues: Grundsätzlich nicht. Aber trotzdem sollte die veränderte personelle Konstellation für die Union Anlass sein, angesichts des Verlusts mancher Selbstverständlichkeiten neu über ihr „C“ und die Konsequenzen daraus nachzudenken. Darin liegen durchaus Chancen, wie sich beispielsweise beim Thema Integrations- und Zuwanderungspolitik zeigt. Hier hatten die Kirchen zweifellos eine Vorreiterrolle, in offiziellen Stellungnahmen wie in konkreter Arbeit an der Basis. Inzwischen hat die Politik, gerade auch die der Union, nachgezogen und sich diesem genuin christlich-kirchlichen Anliegen stärker geöffnet. Es gibt im Übrigen schon länger weithin Gleichklang von Union und Kirchen bezüglich einer realistischen Entwicklungszusammenarbeit und damit bei einem weiteren wichtigen Zukunftsthema.

HK: Und wie sieht es mit dem „C“ in der Politik auf europäischer Ebene aus? In Westeuropa sind christdemokratische Parteien von der Stärke der deutschen Unionsparteien selten geworden; in Osteuropa haben sie nach der Wende nur mühsam Fuß gefasst. Sehen Sie trotzdem Chancen? Es gibt ja so etwas wie eine neue Aufmerksamkeit für das christliche Erbe Europas ....

Kues: Solche Überlegungen werden von der „Europäischen Volkspartei“ stark propagiert; die Bedeutung des Christentums für Europa ist nicht zuletzt dem gegenwärtigen Präsidenten des Europaparlaments ein wichtiges Anliegen, auf das er bei jeder Gelegenheit verweist. Das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für viele andere europäische Christdemokraten. Die CDU ihrerseits hat immer Wert darauf gelegt, dass ihre weltanschaulichen Grundpositionen an die große Tradition Europas rückgekoppelt sind und die Zielsetzungen des Friedensprojektes in der Europäischen Union im Blick behalten werden. Auch die Erweiterung der Europäischen Union, etwa durch Länder wie Polen und Rumänien, hat für neue Impulse in dieser Richtung gesorgt, auch wenn noch immer schwierige Veränderungsprozesse anstehen. In Polen veranstalten beispielsweise Europäische Volkspartei und Konrad-Adenauer-Stiftung regelmäßig Kongresse für den Episkopat, Klerus und Laien, die auf viel Interesse stoßen. Es tut sich also durchaus etwas.

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