Kirchliche WerkeZusammen in die Zukunft?

Die großen, weltkirchlich engagierten Werke in Deutschland haben ihre Jahresberichte 2006 vorgelegt. In einem Ende letzten Jahres gestarteten Prozess wollen sie das Verhältnis untereinander und zu den anderen Weltkirche-Akteuren klären und ihr Engagement „zukunftsfest“ machen.

2005 war ein Ausnahmejahr durch die von einem Seebeben ausgelöste Katastrophe in Südostasien zum Jahreswechsel 2004/2005. Dies gilt es zu berücksichtigen beim Blick auf die nun vorliegenden Jahres- oder Rechenschaftsberichte 2006 der großen weltkirchlich engagierten Werke der Kirche in Deutschland. Die zusätzlichen zweckgebundenen Mittel in Rechnung gestellt, die die Tsunami-Katastrophe 2005 eingebracht hatte, zeigte sich beispielsweise der Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor, Josef Sayer, durchaus zufrieden mit der Ende Juni veröffentlichten Bilanz zum Geschäftsjahr 2006.

Misereor, dessen Aufgabe die Projekte nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit in Afrika, Asien und Lateinamerika sind, verzeichnete im Jahr 2006 Gesamteinnahmen in Höhe von 153,2 Millionen Euro: aus Kollekten oder Spendengeldern (54,7 Millionen Euro), kirchlichen Haushaltsmitteln (8,9 Millionen) und den über die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe erhaltenen staatlichen Mitteln (86,7 Millionen). Im Jahr zuvor hatten sich die Einnahmen aus Kollekten und Spenden auf 68,8 Millionen Euro belaufen. So stand dem bischöflichen Hilfswerk beziehungsweise seinen Partnern im Süden 2006 ein Betrag von rund 147 Millionen Euro zur Verfügung, für den 1419 Projekte in über 80 Ländern neu bewilligt werden konnten. Der größte Teil floss dabei in die Projekt-Bereiche „Arbeit, Landwirtschaft, Ernährung und Soziales“ sowie „Rahmenbedingungen und Gesellschaft“, wobei sich hinter letzterem etwa Programme des Menschenrechtsschutzes, des Schutzes ethnischer Minderheiten oder die Organisation von Selbsthilfeverbänden verbergen. Werbe- und Verwaltungskosten machten etwa 7 Prozent der Gesamtausgaben aus. Im Berichtsjahr, besonders auch bei der traditionellen Fastenaktion, stand das Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ im Mittelpunkt – eines der acht so genannten Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, auf die sich die Staatengemeinschaft im Jahr 2000 geeinigt hat. Im nächsten Jahr wird das Motto der 50. Jubiläums-Fastenaktion „Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen“ heißen; in Erinnerung an die viel zitierte Gründungsrede von Kardinal Frings, der das bischöfliche Werk auch beauftragte hatte, den Mächtigen ins Gewissen zu reden.

Weniger Spenden für stille Katastrophen

Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, nutzte Mitte Juni die Vorstellung seines Jahresberichts 2006, um einen entschiedenen Kurswechsel in der deutschen Afghanistan-Politik einzufordern. Die Instrumentalisierung der humanitären Hilfe für militärische Zwecke habe dazu geführt, dass auch die humanitären Helfer zunehmend zwischen die Fronten gerieten, so der Leiter von Caritas international, Oliver Müller. In den vergangenen Jahren sind zehn Mitarbeiter von Caritas-Projektpartnern in Afghanistan ums Leben gekommen. Entsprechend mahnte das unter anderem auf Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe spezialisierte Werk, militärische und zivile Aufgaben strikt zu trennen. Im vergangenen Jahr hat Caritas international in Afghanistan Projekte im Umfang von 1,86 Millionen Euro umgesetzt. Das Land am Hindukusch zählt zu den Schwerpunktländern des Hilfswerkes ebenso wie Kongo, Burundi, Kolumbien, Indien und Rumänien. Caritas-Präsident Peter Neher bezeichnete dabei das Berichtsjahr mit Hinweis beispielsweise auf das Erdbeben in Yogyakarta und die Dürre in Kenia als das „Jahr der stillen und schleichenden Naturkatastrophen“. Es sei aber auch das Jahr der vergessenen Krisen gewesen in Ländern wie Uganda und Kolumbien und das Jahr der Kriegsopfer im Libanon, in Darfur und in Sri Lanka.

Von privaten Spendern sind dem Hilfswerk im letzten Jahr 16,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Das seien 700 000 Euro mehr als im letzten „normalen“ Spendenjahr 2003, aber eben auch 60 Millionen Euro weniger als im Katastrophenjahr 2005. Die Gesamteinnahmen beliefen sich auf 41,88 Millionen. Aus öffentlichen Zuschüssen und Kirchensteuermitteln erhielt Caritas international 22,7 Millionen Euro. Insgesamt standen im vergangenen Jahr 54,75 Millionen Euro für mehr als 1000 Hilfsprojekte zur Verfügung; der Jahresbericht verweist eigens auf die Nothilfe der Caritas Libanon für Kriegsopfer, die Kinder- und Jugendhilfe der Caritas Russland in Westsibirien, die Altenarbeit in Kuba und Peru sowie die Hilfsprogramme für Flüchtlinge und Vertriebene im Südsudan. Die Verwaltungs- und Werbungskosten lagen nach Angaben der Caritas bei 6,4 Prozent der Gesamtausgaben.

Vor der V. Generalversammlung des Rates der lateinamerikanischen Bischöfe (CELAM) Ende Mai im brasilianischen Wallfahrtsort Aparecida betonte der Geschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat, Bernd Klaschka: Die pastoralen Kriterien der Generalversammlungen des lateinamerikanischen Episkopats bildeten stets und konkret seit 47 Jahren die Grundlage für die Entscheidungen über Projektanträge, die an das Werk herangetragen werden. Der Rückgang der Mittel insbesondere aus der Weihnachtskollekte habe Adveniat gezwungen, seine Projektarbeit in Lateinamerika einzuschränken. Nach mehreren Jahren rückläufiger Spenden haben sich 2006 die Einnahmen beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat jedoch erstmals wieder stabilisiert. Im Geschäftsjahr 2005/2006 konnte das Hilfswerk Einnahmen in Höhe von knapp 58 Millionen Euro verbuchen, ein Rückgang von weniger als einem Prozent. 6,6 Prozent aller Einnahmen fließen bei Adveniat in Werbung und Verwaltung. Von insgesamt 2006 für die Projektarbeit ausgegebenen 40 Millionen Euro flossen knapp 13,5 Millionen nach Brasilien, in rund 1300 Projekte mit dem Schwerpunkt auf pastoraler Arbeit.

Zunehmende Konkurrenz nichtkirchlicher Werke

Eng bei der Adveniat-Weihnachtskollekte liegt im gemeinsamen Kampagnenkalender der Werke die Sternsingeraktion. Da noch nicht alle Bistümer und Gemeinden vollständig überwiesen haben, wird das endgültige Ergebnis 2006 erst zum Ende des Jahres feststehen. Im Hinblick auf die 50. Jubiläums-Aktion „Dreikönigssingen“ im kommenden Jahr entschieden sich Vertreter aus den Diözesen sowie die Träger der Aktion, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ für das Motto „Sternsinger für die Eine Welt“. Mit den Einnahmen der 48. Aktion „Dreikönigsingen“ konnten im Jahr 2005 nahezu 3000 Projekte in der ganzen Welt gefördert werden. Insgesamt hatte die Aktion knapp 39 Millionen Euro ergeben – die Einnahmen 2006 werden in etwa dieser Höhe erwartet; 12 421 Gemeinden und Gruppen, rund 500 000 Kinder und Jugendliche hatten sich 2005 beteiligt.

Das Internationale Katholische Missionswerk Missio, das in diesem Jahr das 175jährige Jubiläum seines Aachener Standortes feiert, musste 2006 gleichfalls leichte Rückgänge bei den Spendeneinnahmen hinnehmen, nach Zuwächsen im Jahr zuvor. Insgesamt beliefen sich die Spenden auf 49,7 Millionen Euro im Jahr 2006 (54,1 Millionen 2005), das sind 65,4 Prozent der Gesamteinnahmen von 76 Millionen Euro im Berichtsjahr (81,4 Millionen 2005). Für die Projektarbeit verwandte man insgesamt 67,7 Millionen Euro. 2738 Projekte wurden bewilligt, vorgestellt werden im Jahresbericht unter anderem: die Unterstützung von Katechisten in Eritrea, ein integriertes Pastoralprogramm in Nigeria, ein missionswissenschaftliches Studienprogramm für Afrika, ein Programm zum Interreligiösen Dialog in Ghana, Aidsprogramme in Malawi und Thailand, Familienpastoral im Mündungsdelta des Ganges, ein Pastoralprogramm gegen weibliche Genitalverstümmelung in Kenia oder Gefängnisseelsorge auf den Philippinen. Die Aus- und Weiterbildung von kirchlichem Personal bleibe der Schwerpunkt der Missio-Projektförderung und sei im Berichtsjahr 2006 weiter ausgebaut worden, Katechisten seien dabei die wichtigste Zielgruppe für Missio, wenn es um die Ausbildungsförderung gehe. Mehr und mehr fänden dabei auch Frauen in Katechistenseminare und Ausbildungsstätten, was Missio mit großem Nachdruck unterstützt.

Renovabis, die 1993 gegründete Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa und damit das jüngste Werk im Reigen, stellte Ende April seinen Jahresbericht vor. Insgesamt wurden im Jahr 2006 mit 30,9 Millionen Euro 899 Projekte in 25 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas im Jahr 2006 unterstützt. Renovabis-Hauptgeschäftsführer Dietger Demuth unterstrich dabei das breite Spektrum der Projektarbeit von Renovabis: 13,1 Millionen Euro flossen in kirchlich-pastorale Projekte, 12,5 Millionen in Sozial- und Bildungsmaßnahmen, weitere 5,3 Millionen kamen unter anderem der Förderung der Laienarbeit oder Medienprojekten zugute. Der Ausgabenanteil für Bildungsarbeit, die „Investition in Köpfe“ stieg im Berichtsjahr dabei weiter auf jetzt 22 Prozent. Die Pfingstaktion 2006 hatte besonders die „Verlierer“ der Entwicklungsprozesse in den ehemals kommunistischen Staaten in den Blick genommen. Mit Blick auf den Haushalt und die Kollektengelder ist man in der Freisinger Geschäftsstelle „insgesamt zufrieden“. Zwar schlugen weitere Kürzungen bei der Zuweisung von kirchlichen Haushaltsmitteln durch den Verband der Diözesen Deutschlands in Höhe von 630 000 Euro (von 16,49 auf 15,86 Millionen Euro) zu Buche. Dagegen stiegen aber die Mittel-Zuwendungen der Katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe um fast zehn Prozent von 4,1 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 4,5 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Ein leichtes Plus gab es für Renovabis 2006 bei den Kollektengeldern: Das Gesamtergebnis belief sich auf 7,5 Millionen Euro. Das waren rund 100 000 Euro mehr als im Vorjahr. Die Gesamtsumme aus Kollekten- und Spendengeldern in Höhe von 11,69 Millionen Euro (gegenüber 11,79 Millionen Euro im Jahr 2005) wertet Renovabis als „Konsolidierung auf hohem Niveau“.

Aufs Ganze gesehen erfreuen sich die Werke offenbar nach wie vor großer Unterstützung. Im Etat des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) bilden die Mittel für weltkirchliche Aufgaben mit 67 Millionen Euro immer noch den mit Abstand größten Posten. Dennoch verändern sich die Rahmenbedingungen der weltkirchlichen Werke mit sinkendem Kirchensteueraufkommen, der in manchen Diözesen sehr schwierigen finanziellen Situation sowie absehbar sich verknappenden staatlichen Zuwendungen. Und wie werden sich die pastoralen Unstrukturierungsprozesse, eine zunehmende Diasporasituation, Unternehmensberater, die zu Downsizing und Konzentration auf das Kerngeschäft mahnen, auf die Psyche des durchschnittlichen Gemeindemitglieds auswirken gerade mit Blick auf ein weltkirchliches Verantwortungsgefühl? Wird nicht bald doch das Hemd näher als der Rock sein? Auch die Konkurrenz von außen wächst: Immer mehr nicht-kirchliche Spendenorganisationen bitten auch im Bereich der Kirche um Unterstützung. So gibt es auf unterschiedlichen Ebenen viele Gründe, warum sich die zur so genannten „MARMICK“ zusammengeschlossenen Werke Adveniat, Caritas international Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, Misereor, missio Aachen und München sowie Renovabis seit dem letzten Jahr in einen umfassenden Klärungs- und Reformprozess begeben haben; zusammen mit den deutschen Diözesen, begleitet, motiviert, gedrängt von der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz unter der neuen Leitung des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick. Orden und Verbände wurden auf ihren heftigen Protest hin mittlerweile auch noch ins Boot geholt.

In diesem zunächst auf zwei Jahre angelegten Prozess „Zur Zukunft der weltkirchlichen Arbeit in Deutschland“ soll das Verhältnis zwischen den verschiedenen weltkirchlich engagierten Akteuren, Gemeinden, Diözesen, Werken, Verbänden und Orden neu bestimmt werden. Unnötige Konkurrenz untereinander soll vermieden, mögliche Synergien geprüft, die Effizienz der einzelnen Organisationen wie der weltkirchlichen Arbeit insgesamt gesteigert werden. Damit geht es aber nicht nur um Geld, sondern auch um angestammte und vermeintliche „Besitzansprüche“, auch um Macht und Pfründe im gesamten weltkirchlichen Engagement der deutschen Ortskirche. Die historisch bedingte, eingespielte Arbeitsteilung zwischen den Werken wird dabei noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Was aber steht am Ende dieses Prozesses? Auch die grundsätzliche Ausrichtung und (theologische) Bestimmung der Arbeit der Werke wie der anderen Akteure steht auf der Agenda. Denn der Papst wird auch manchem deutschen Bischof aus der Seele gesprochen haben: Bei seinem Bayernbesuch im Herbst 2006 hatte Benedikt XVI. in sein Lob für das „bemerkenswerte“ karitativ-soziale Engagement der katholischen Hilfswerke in Deutschland auch Tadel fließen lassen, Kritik an einer mitunter ausschließlich sozial orientierten Entwicklungshilfe: Projekte der Evangelisierung stießen auf weniger offene Ohren als soziale Projekte, hatte der Papst afrikanische Bischöfe zitiert (vgl. HK, Oktober 2006, 490).

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