Gottesfriede und Weltfriede

Friede ist kein Naturprodukt. Er muss von Menschen geschaffen, «gestiftet» werden. Auch die Bergpredigt spricht von den «Friedensmachern» (pacifici). Dabei spielt die Zweiheit von «innen» und «außen» eine wichtige Rolle. Im Inneren organisierter Gesellschaften entstehen seit Urzeiten immer wieder homogene Friedensräume, in denen Gewalt tabuisiert ist, die Selbsthilfe durch Gericht und Polizei ersetzt wird, während nach außen, gegenüber anderen politischen Gebilden, Gewaltübung als mögliche Option weiterbesteht, freilich durch Verträge und Abmachungen eingeschränkt werden kann. So ist die Situation bis heute zweigeteilt: der innerstaatliche Friede (Landfriede) bildet in den meisten Ländern der Welt ein Fundament des Rechts und ist – zwar oft mühsam – gesichert. Der zwischenstaatliche Friede dagegen – der Weltfriede – ist nach wie vor ein brüchiges Postulat, auch nach der Ächtung des Krieges durch den Briand-Kellogg-Pakt (1928) und nach den auf diesen Pakt gestützten Nürnberger Prozessen (1945–49).

In der christlichen (oder doch von christlichen Anstößen geformten) Welt des Mittelalters entstand, von Südfrankreich kommend, im späten 10. und im 11. Jahrhundert die Bewegung des Gottes-Friedens. Der Ausübung «rechter Gewalt» durch autogene Gewaltträger wurde durch Vermittlung der Kirche eine zeitliche und räumliche Grenze gesetzt. Gewisse Personen (Geistliche, Kaufleute, Bauern), Orte und Sachen (Kirchen, Kirchhöfe, Ackergeräte) wurden unter den Schutz des Gottesfriedens gestellt. Darüber hinaus wurden in der Treuga Dei, der Waffenruhe Gottes, Gewalttaten und Fehdehandlungen zu bestimmten Tagen und Zeiten verboten. Der Gottesfriede wurde beschworen, seine Verletzung mit kirchlichen und weltlichen Strafen bedroht. An diese Bewegung knüpfte die von den weltlichen Autoritäten ausgehende Landfriedensbewegung nach Form und Inhalt an – jene Bewegung, die im Lauf der Zeit die autogenen Herrschaftsgewalten in ganz Europa entmachtete, die Ausübung «rechter Gewalt» beim Staat monopolisierte und damit den – uns heute ganz selbstverständlichen – innerstaatlichen Friedensraum schuf.

Der positiven Bilanz im innerstaatlichen Bereich steht ein Defizit im zwischenstaatlichen Bereich gegenüber. Bis heute erreichen die friedenssichernden und -regelnden Abmachungen zwischen den Staaten bei weitem nicht die Dichte und Stabilität der Friedensordnung des Einzelstaats nach innen. Um den Krieg zwischen den Staaten endgültig abzuschaffen, fehlte und fehlt es an zwei entscheidenden Voraussetzungen. Einmal am Vorhandensein wirksamer Sanktionen gegenüber dem Friedensbrecher (auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag reicht dazu nicht hin, die größten Staaten der Erde, China, Indien, USA, Russland, gehören ihm nicht an). Sodann fehlen gemeinsame Ordnungsvorstellungen der Internationalen Politik, gemeinsame Prinzipien eines Weltrechts, es fehlt vor allem ein zivilisatorisches Bewusstsein, das den Krieg als ebenso obsolet erscheinen lässt wie früher die Sklaverei oder die Fehde. Dass dies alles fehlt, ist wohl der eigentliche Grund für das Versagen der Gegenwart bei der Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung.

Was bleibt für die Christen? Zuerst und vor allem das Bekenntnis, dass sie in Dingen des Friedens nicht klüger sind als ihre nichtchristlichen Zeitgenossen; dass sie sich, genau wie sie, um eine redliche Analyse der Gegenwart bemühen müssen; dass sie die wirkliche Geschichte annehmen müssen und sich nicht voreilig in Wunschbilder, in ein Utopia des Gedankens, flüchten dürfen.

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Dieses Heft beschäftigt sich mit dem Frieden, seinen Chancen und seinen Gefährdungen in der Gegenwart. Thomas Söding analysiert die Seligpreisung der Friedensstifter in der Bergpredigt und macht den eschatologischen Ansatz deutlich: Ein Friede, der jeden Krieg beendet, kann nur von Gott kommen. Das treibt Christen jedoch nicht in die Resignation, sondern lässt sie den Frieden selbst in ausweglos erscheinenden Situationen, ja sogar mitten im Krieg selbst, suchen; jeder Einsatz für den Frieden, auch der kleinste, ist wichtig. Dabei geht es nicht nur um den Friedensschluss mit dem äußeren Gegner, sondern auch um den Frieden im Inneren, im eigenen Herzen. Johannes Brachtendorf arbeitet heraus, was Friede bei Augustinus, dem ersten und bis heute meistzitierten christlichen Friedensdenker, bedeutet; er stellt der augustinischen Friedenslehre die komplementäre Lehre vom «gerechten Krieg» gegenüber und widmet sich der bis heute aktuellen Frage, ob Christen Soldaten sein und in einem gerechten Krieg kämpfen dürfen. Jörg Fisch erinnert daran, dass die heute dominierende Frage nach der Schuld am Krieg und der entsprechenden Sühne und Strafe historisch noch sehr jung ist. Denn bis zum Ersten Weltkrieg stand beim Friedensschluss nicht das Erinnern, sondern im Gegenteil das Vergessen im Vordergrund. Das Pactum oblivionis, die «Verpflichtung zum Vergessen», galt als wichtige Voraussetzung für einen dauerhaften Friedensschluss. Erst die Maßlosigkeit der Verbrechen in den beiden Weltkriegen führte zu einem Paradigmenwechsel: Jetzt trat das Erinnern, traten Schuld und Sühne in den Vordergrund – was freilich auch zu der paradoxen Situation führen konnte, dass der Friedensvertrag zur Fortsetzung des Krieges wurde (Versailles). Hatten Päpste als Friedensvermittler in modernen Kriegen, Weltkriegen, eine Chance? Jörg Ernesti geht dieser Frage am Beispiel Benedikts XV. nach, der bei seiner Friedensinitiative 1917 das ganze moralische Gewicht des Papsttums in die Waagschale warf. Die Initiative des Papstes schlug zwar fehl – alle Kriegführenden nahmen es dem Papst übel, dass er den Krieg ein «sinnloses Schlachten» (trucidatio) genannt hatte. Doch das Erbe Benedikts XV. wirkt im Papsttum des 20. und 21. Jahrhunderts bis zu Paul VI. und den von ihm begründeten Weltfriedenstagen und bis zu Papst Franziskus und seiner Friedensvermittlung zwischen den USA und Kuba weiter, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Formen. Hans Maier wirft einen Blick auf die Veränderungen von Krieg und Frieden heute, auf die Tatsache, dass an vielen Stellen die Grenzen zwischen beiden in hybriden Formen eines Halbkriegs und Halbfriedens verschwimmen und dass es heute kaum mehr Kriegserklärungen, aber auch keine Friedensschlüsse mehr gibt. Michael Gassmann analysiert die Vertonung des Dona nobis pacem in der Missa solemnis. Die ungewöhnliche Dramaturgie Beethovens ruft eine besondere Nähe von Krieg und Frieden hervor.

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