Anton Zeilinger: Physik und MystikGlaube braucht Erfahrung

Er hält am Sonntag die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele sowie in der Folge den Festvortrag der Hochschulwochen – und er zitiert Karl Rahner. Was der Quantenphysiker Anton Zeilinger zu sagen hat, sollte Kirche und Theologie zu denken geben.

In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten wird dem österreichischen Physik-Nobelpreisträger Zeilinger die Frage nach dem Zufall gestellt: „Ist Gott allwissend oder weiß er selbst nicht, was herauskommt?“ In seiner Antwort zitiert Zeilinger den Jesuiten Karl Rahner (1904–1984). „Das weiß ich nicht. Eine der Entwicklungen, die in der Kirchengeschichte viel zu intensiv geworden sind, ist die, dass man Gott alle möglichen Eigenschaften zuschreibt. Der Theologe Karl Rahner hat gesagt, der Fromme der Zukunft werde ein Mystiker sein oder er werde nicht mehr sein. Das heißt, dass wir uns von vielen allzu genauen Vorstellungen von Gott verabschieden müssen.“

Das von Anton Zeilinger verwendete Rahner-Zitat ist, weil es derart oft verwendet und aus dem Zusammenhang gerissen wird, ein Allerweltswort geworden ist, fast ein Kalenderspruch und Aphorismus. Je nach Bedarf wird es gekürzt oder gestreckt, also: verstümmelt – damit es „passt“ und „stimmig“ ist.

Was aber ist gemeint? Der Münsterschwarzacher Benediktiner Anselm Grün (der übrigens über Karl Rahner eine Doktorarbeit verfasst hat) sagte einmal zu dem Thema: „Ich würde mich nicht als Mystiker bezeichnen. Das Wort wäre zu groß für mich. Man kann mit solchen Begriffen nicht angeben. Ich interessiere mich für die Mystik und die Erfahrungen der Mystiker. Und ich versuche, in der Stille und in der Meditation an die Erfahrungen heranzukommen, die die Mystiker gemacht haben.“ Will da ein Mönch bewusst tiefstapeln? Wenn selbst so einer das sagt, wie soll es mir dann gelingen?, fragen logischerweise manche nach.

„Mystiker sind schauende Menschen“, hat Anselm Grün auch gesagt. Das geht in Richtung Rahner, der eine ganz und gar antielitäre Auffassung von Mystik hatte. In seinen Augen ist es eine allen Menschen zugängliche und mögliche Erfahrung. Also nicht nur eine für Spezialisten. Das „Zauberwort“ dabei lautet: Erfahrung, genauer: spirituelle Erfahrung.

Ursprünglich findet sich das vielzitierte Rahner-Wort in der Zeitschrift Geist und Leben (Heft 5/1966), nämlich in dem Artikel Frömmigkeit früher und heute. In voller Länge lautet es: „Nur um deutlich zu machen, was gemeint ist, und im Wissen um die Belastung des Begriffes ,Mystik‘ (der, recht verstanden, kein Gegensatz zu einem Glauben im Heiligen Pneuma ist, sondern dasselbe) könnte man sagen: der Fromme von morgen wird ein ,Mystiker‘ sein, einer, der etwas ,erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im Voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös Institutionelle sein kann.“

Ein typisch langer Rahner-Satz. Der es aber in sich hat! Ihm voraus geht in einem ganzen Absatz die Überlegung, dass Menschen – vor dem Hintergrund einer Skizze zur „kargen Frömmigkeit“ – „den Mut eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott“ finden sollten. Rahner wies auch auf den Zusammenhang zwischen der Erfahrung der Verwiesenheit und einem richtigen „Gottesbild“ hin – was wiederum zu Zeilinger führt: Wir müssen uns von Vorstellungen, die wir für Gott halten, verabschieden. Jede Rede von Gott ist analoge Rede.

Wenn und wo heute das tragende „kirchliche Milieu“ sich verflüchtigt, zerbröselt, auflöst, weil Christen zur Minderheit werden und traditionelle Selbstverständlichkeiten verschwinden, sind Menschen verstärkt angewiesen auf persönliche Glaubens- und Gotteserfahrungen, aus denen heraus sie leben oder zu leben versuchen. Deswegen bedarf es mehr und mehr dessen, was Karl Rahner bereits 1966, also vor bald 60 Jahren, klar gesehen hat: nämlich „einer Mystagogie in die religiöse Erfahrung, von der ja viele meinen, sie könnten sie nicht in sich entdecken, einer Mystagogie, die so vermittelt werden muss, dass einer sein eigener Mystagoge werden kann.“

Einweisungen in Erfahrungen des Glaubens – darauf kommt es heute mehr denn je an. Mehr vielleicht als auf Theologie; auch wenn Liturgie und Spiritualität selbstverständlich nicht theologiefrei ablaufen können, will man sie nicht banalisieren und trivialisieren.

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