Familienfreundliche KircheAlles Kinder Gottes

Lasset die Kinder zu mir kommen, sagte Jesus einst. Wie gehen wir als Kirche mit diesem Auftrag um? Eine Alltagsbeobachtung.

Der Tag neigte sich, mattes Licht fiel in den Kirchenraum. Die wenigen Besucher zog es in den von Kerzenlicht erhellten Andachtsraum mit der Muttergottes in der Mitte. Zwei Kinder drängten sich um das Kerzenmeer vor der Pietà. Ihre glänzenden Augen verrieten: Sie spürten die mystische Atmosphäre und die Heiligkeit des Ortes. Ein wenig aufgeregt fragte der Junge seine Mutter, wo sie die Lichter am besten hinstellen sollten. Er wollte es gut machen. „Das ist ein Kirchenraum!“, tönte es hinter ihm. Der Junge drehte sich zu dem Mann mit den harschen Worten um, der ihn weiter belehrte, er habe in der Kirche zu schweigen. Der Junge schwieg, seine Augen sprachen Bände: Unbehagen und Unsicherheit, auf der Schwelle zur Angst. Eilig stellte die Mutter die Kerzen auf, nahm ihre Kinder bei der Hand und sagte: „Alles Kinder Gottes.“ Der Mann folgte der Familie in den Kirchenraum und kritisierte sie erneut, als der Vater seinen Kindern etwas erklärte. Die Form war ihm wichtiger als die Menschenliebe, die Jesus gerade im Umgang mit Kindern forderte.

Vermutlich ist der maßregelnde Auftritt kein Einzelfall im christlichen Alltagsleben. Über die vielleicht traurigen Gründe zu spekulieren, die den Kritiker bewegten, ist müßig. Hier stehen das seelische Wohl des Kindes im Vordergrund und die Bemühungen seiner Eltern, in ihm die Saat des Glaubens anzulegen. Das verdient jede Unterstützung, vor allem von der christlichen Gemeinschaft, die so oft beschworen wird. Die Strahlkraft des Glaubens erweist sich in den Niederungen des Alltags, in scheinbaren Nebensächlichkeiten. Doch kann aus Nebensächlichkeiten Großes entstehen.

Schon Jesu Jünger erwiesen sich nicht als ausgesprochene Freunde der Kleinsten und Schwächsten der Gesellschaft. Die Kinder, die man im „Kinderevangelium“ des Markus (vgl. 10,13–16) zu Jesus brachte, fielen den Jesusschülern, die er gerade über die rechte Ehe belehrt hatte, auf die Nerven. Der empörte Jesus machte die Kleinen daraufhin zum Mittelpunkt des Reiches Gottes und zum Vorbild der Gläubigen: „Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Bevor er die Kinder segnete, nahm er sie in seine Arme, hob sie auf seine Augenhöhe und erhöhte sie so vor den Erwachsenen.

Strukturen und Formen sind wichtig. Ohne sie würde Chaos herrschen. Doch ohne Barmherzigkeit und Menschenliebe sind sie hohl. Eine banale Einsicht? Offensichtlich selbst nach 2000 Jahren noch nicht.

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