"quiet quitting"Leben, um zu arbeiten?

Eine Arbeit, die ausfüllt, mehr Berufung als Beruf ist, das war lange das Ideal. Doch für junge Menschen geht dieses Versprechen oft nicht mehr in Erfüllung. Viele sind desillusioniert, glauben nicht mehr daran, dass sich eine bessere Zukunft erarbeiten lässt. Das hat Folgen – nicht nur für die Wirtschaft.

Eine Arbeit, die ausfüllt, mehr Berufung als Beruf ist, das war lange das Ideal. Doch für junge Menschen geht dieses Versprechen oft nicht mehr in Erfüllung. Viele sind desillusioniert, glauben nicht mehr daran, dass sich eine bessere Zukunft erarbeiten lässt. Das hat Folgen – nicht nur für die Wirtschaft.

Was Teile der älteren Generation schon lange geahnt haben, ist jetzt wissenschaftlich bestätigt: Junge Menschen wollen nicht mehr arbeiten. So oder ähnlich titeln die großen Zeitungen von Spiegel bis Welt. Grund ist eine aktuelle Studie des Umfrageinstituts YouGov, in dem besonders junge Arbeitnehmer ihrem Frust Luft machen. Jeder zweite Befragte würde sofort in Teilzeit wechseln oder direkt den Job kündigen, wenn es sich finanziell einrichten ließe. Identifikation mit der Arbeit? Der Beruf als Lebenssinn, Berufung gar? So sehen es die meisten nicht.

Tatsächlich suchen viele Berufseinsteiger gezielt nach Teilzeitstellen und nehmen dafür sogar deutliche finanzielle Einschnitte in Kauf. Und die neue Unlust auf lange Arbeitstage ist kein rein deutsches Phänomen. Die Zeit hat eine groß angelegte Recherche gestartet und ist in verschiedenen Ländern und Kulturen auf die immer gleichen Muster gestoßen. In der englischsprachigen Welt nennt man das Phänomen quiet quitting („stilles Aufhören“), im Chinesischen tang píng („rumliegen“), aber die Symp- tome sind immer ähnlich. So viel wie nötig und so wenig wie möglich arbeiten, das scheint das Motto einer neuen Weltgeneration zu sein.

Ist die „Selfie“-Jugend nur zu selbstbezogen und faul, um die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken, wie es die Eltern und Großeltern vorgelebt haben? Eine solche Erklärung greift zu kurz, sagen Experten. Die Arbeit verliert auch deshalb an gesellschaftlichem Stellenwert, weil das urkapitalistische Wohlstandsversprechen im Lauf der Jahre für viele immer brüchiger geworden ist. Die Berufsanfänger haben zu oft gesehen, wie sich Menschen für ihren Job aufgerieben haben, Überstunden gesammelt und ihr privates Glück hintangestellt haben, nur um am Ende mit vergleichsweise mageren Ersparnissen dazustehen, die sich in der nächsten Krise wieder in Luft auflösen können. Wenn ich mir den Traum vom Eigenheim mit Garten sowieso nicht erfüllen kann, konzentriere ich mich lieber aufs Leben als aufs Arbeiten – so denken inzwischen viele.

Besonders bezeichnend ist, dass die meisten, die „im Stillen aufgehört“ haben, trotzdem noch alles erfüllen, was in ihrem Arbeitsvertrag steht. Sie weigern sich nur, Überstunden zu machen, schalten nach Feierabend das Diensthandy aus und lassen sich kein schlechtes Gewissen einreden, wenn sie den Urlaub nehmen, der ihnen zusteht. In manchen Branchen reicht das offenbar schon, um heilloses Chaos zu verursachen. Menschen, die Dienst nach Vorschrift machen und das eigene Leben vor den Erfolg ihrer Firma stellen, sind im modernen Kapitalismus, so scheint es, nicht vorgesehen.

Vielleicht sollte die Kirche diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sehr genau im Auge behalten. Auch das Gemeindeleben wird ja an vielen Stellen von ehrenamtlichen Helfern – und besonders Helferinnen – getragen, die viel Zeit und Energie investieren. Große Wertschätzung bekommen sie dafür selten, und das Gefühl, wirklich etwas an der Kirche ändern zu können, noch seltener. Ob dieses Modell mit einer neuen Generation noch funktioniert, die nicht bereit ist, sich mit warmen Worten und Versprechen auf eine bessere Zukunft abspeisen zu lassen?

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