Im WiderspruchFührungsstärke und Schwäche

Regierende haben eine Richtlinienkompetenz, in Staat wie Kirche. Wie wird sie wahrgenommen?

Wie schön wäre es, wenn alle meiner Meinung wären. Doch das Individuum muss sich damit abfinden, dass andere vieles anders sehen. Zu jedem Argument gibt es ein Gegenargument, zu jedem Spruch den Widerspruch, selbst unter Experten. Daher herrscht stets Streit, weltlich wie kirchlich. Schon zwischen Petrus und Paulus soll es in der frühen Gemeinde „gekracht“ haben, als sie sich über den Umgang mit Heiden, die sich dem „neuen Weg“ anschließen wollten, „im Angesicht widerstanden“. In der Politik sind die Gegensätze institutionalisiert über Mehrheiten und Minderheiten, Regierung und Opposition. Einen echten Konsens aller gibt es so gut wie nie. Die kirchlichen Konzilien kamen nicht aus lauter Harmonie, sondern aufgrund von Streit und Spaltung zustande. Selbst über heiligste Themen wurde und wird mit Für und Wider abgestimmt, bis auf den heutigen Tag.

Richtlinienkompetenz

Nach zähen Verhandlungen sind irgendwann Entscheidungen fällig. Anders kann keine Gemeinschaft existieren. Gegen Anarchie und Lethargie braucht es umsichtige Autorität wie Autoritäten. Ohne Führung funktionieren weder Staaten noch Unternehmen noch Familien noch sonstige Institutionen. Das heißt nicht, dass einer oder eine alles bestimmt. Aber es muss bestimmt werden. Daher haben als Letztes zum Beispiel Präsidenten oder Kanzler oder auch ein Papst eine Richtlinienkompetenz. Allerdings ist bei deren Wahrnehmung zwischen kirchlicher und weltlicher Welt seltsam Widersprüchliches zu beobachten.

Im Katholischen etwa zeigt sich Führungsschwäche darin, dass das oberste Lehramt zwar ständig rhetorisch Reformen anmahnt, sich faktisch jedoch beharrlich weigert, auf mehr oder weniger große Mehrheiten oder Minderheiten – man weiß es nicht genau – im Volk Gottes zu hören, Weichenstellungen vorzunehmen, gar populäre Beschlüsse zu fällen. Auf dem politischen Feld wiederum offenbart sich Führungsschwäche im Gegenteil als Angst vor dem Volk, davor, unpopuläre Maßnahmen zu treffen und dann mit „Liebesentzug“ bestraft zu werden.

Wahrheit macht frei

Ob Führungsschwäche so oder so – sie kann in jedem Fall gefährlich werden. Aus der Glaubensgemeinschaft kann der Einzelne, können viele sich verabschieden und so die vermeintliche Macht in Ohnmacht, ins Leere laufen lassen, wie es momentan rasant geschieht. Bei einem Staatswesen ist der Auszug nicht möglich. Einmal Bürger, immer Bürger. Doch hier droht Demokratieverdrossenheit. Führungsstärke gründet auf Furchtlosigkeit, auf der Einsicht, dass man es ohnehin nie allen recht machen kann. In der Wahrheit leben! Die Wahrheit wird euch freimachen! Das Biblische gilt genauso säkular. Mehr Freiheit zum Ungemütlichen: Das betrifft Führung in Kirche wie Staat, wenn auch auf je eigene Weise.

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