Kindertheologische Annäherungen an WeihnachtenBringt das Christkind die Geschenke?

Irgendwie haben es weder der allgegenwärtige Kommerz noch die kälter werdenden Lebenswelten geschafft, uns den Zauber der Weihnacht auszutreiben. Mag dies auch gelegentlich hedonistisch gefärbt und sentimental instrumentalisiert werden, mag vieles daran Kitsch und eine unreflektierte Reminiszenz an Familienidylle sein, die oft der Realität nicht standhält: auch religiös Unmusikalische zeigen zumindest Sensibilität für eine ganz andere, sonst nicht gehörte Melodie.

Auch wenn inhaltliches Wissen über das Weihnachtsfest bei Erwachsenen wie bei Kindern spürbar schwindet, scheint die für instrumentelle Vernunft höchst paradoxe Weihnachtsbotschaft, wie gebrochen und herabtemperiert in die unsichtbare Religion unseres Alltags auch immer, ihre Faszination und Verheißungskraft nicht verloren zu haben: Gott, der Große, in seiner Liebe Mächtige, wird klein, unscheinbar und schenkt sich den Menschen in vorbehaltloser Liebe, aus der sie hoffnungsfroh leben können.
Kinder, denen die Offenheit für die mythologischen Tiefen des Lebens und den Zauber der Wirklichkeit noch nicht ausgetrieben wurden, haben eine gewissermaßen konstitutive Offenheit für diesen Zauber der Weihnacht. Dabei sind sie vielleicht mehr noch als die Erwachsenen in einem ganz besonderen Maße mit den Auseinandersetzungen konfrontiert, die gleichsam die Hintergrundannahmen von Weihnachten prägen: warum gibt es Weihnachten, wegen des Weihnachtsmannes oder wegen des Christkindes? Warum gibt es Geschenke, wegen Nikolaus oder wegen der Gottesgeburt im Christkind? Darf man überhaupt noch vom Weihnachtsmann reden, wo dieser doch ein Niederschlag der Ökonomisierung von Weihnachten ist? Wie aber kann inmitten dieser Fragen ein Zugang zu Weihnachten gebahnt werden? Wie sollen Kinder herangeführt werden an das, was mit Weihnachten gemeint ist und wofür sie gerade durch ihre Offenheit für das Zauberhafte des Lebens eine besondere Affinität zu besitzen scheinen?

Kinder und Weihnachten

Solche Fragen bewegen die Eltern, die Elementarbildung im Kindergarten, die Kindergottesdienstvorbereitungen in der Gemeinde und auch den schulischen Religionsunterricht auf je bestimmte Weise. Viele durchaus überzeugende und bewährte Handreichungen, Materialsammlungen bis hin zu Liederheften, audiovisuellen Medien und Computerspielen können hierbei gute Dienste leisten. Diese zeigen auf ihre Art, dass die Zeiten einer indoktrinierenden Kinderkatechese und subjektlosen Religionspädagogik längst vorbei sind. Heutige Kinderkatechese ist an den Kindern ausgerichtet, sie ist subjektorientiert. Die Weihnachtsbotschaft soll so ins Spiel gebracht werden, dass sie für die Kinder lebensdienlich wird. Form und Inhalt korrelieren. Die Gegenwart des menschenfreundlichen Gottes soll diakonisch zur Sprache gebracht werden.
Allerdings scheint ein Akzent nicht hinreichend ausgelotet. Kinder sind nämlich nicht nur Rezipienten der Weihnachtsbotschaft und deren Auslegung in Theologie und Gemeinde. Sie selber tragen durch ihr Verständnis und die Weise ihres Denkens zur Botschaft von Weihnachten selber bei. Für die Kindertheologie, einem immer wichtiger werdenden Zweig der Religions pädagogik, sind die Kinder selber theologisch relevant, ja gelten selber als Theologen. Was aber könnte dies austragen für die Weise, heute mit Kindern von Weihnachten zu sprechen? Dazu soll zunächst kurz das Anliegen der Kindertheologie erläutert werden, um dann exemplarisch praktische Perspektiven zu bahnen, ohne allerdings in diesem engen Rahmen konkrete Methodologien und Didaktiken bieten zu können.

Kindertheologie

Die Kindertheologie beruht auf einem prinzipiellen Perspektivenwechsel. Sie lässt sich als Verschärfung der Subjektorientierung innerhalb der Religionspädagogik verstehen, insofern sie strikt aus der Perspektive der Kinder denkt. Dabei sind eine Theologie der Kinder, eine Theologie mit Kindern sowie eine Theologie für Kinder zu unterscheiden, obwohl sie im Lernprozess ineinandergreifen. Sie bieten den Kindern eine Sprache für ihre Fragen und Erfahrungen an, geben aber auch Impulse und tragfähige Angebote zur Weiterentwicklung ihrer religiösen Entwicklung, indem sie an der je persönlichen Theologie der Kinder, ihren Denkmustern und ihren biographischen Erfahrungen anknüpfen, dabei jedoch die religiösen Lernprozesse konstitutiv offenhalten. Eine solche diakonische, integrative Kindertheologie wahrt das Eigenrecht des Kindes auf seine Religion und seine Theologie, das ihm jenseits seines Entwicklungsstandes und seiner Leistungen immer zukommt und zielt damit zugleich auf die Mündigkeit der Kinder. Kinder haben demnach ein „Anrecht auf religiöse Bildung“ (Anton Bucher).
In einem sehr weiten Theologiebegriff als Nachdenken über den Glauben ist Kindertheologie darin theologisch, dass sie über religiöse Vorstellungen und Denkleistungen von Erwachsenen hinausgehend den Kindern eine ihren kognitiventwicklungspsychologischen Voraussetzungen gemäße gleichsam selbstreflexive Form des Denkens über religiöses Denken zutraut. Kindertheologie ist also dort gegeben, wo Kinder über ihre eigenen Äußerungen zu großen, nicht entscheidbaren Fragen nochmals kritisch nachdenken, wo sie sich entsprechend des diakonisch-integrativen Verhältnisses der drei Dimensionen der Kindertheologie in ein Gespräch verwickeln lassen, wo sie ihre Religion und ihre Gedanken zur Religion eigens zum Thema machen. Die Fragen, Vorstellungen und Bilder der Kinder können damit aber auch „den theologischen Diskurs und das kirchliche Leben bereichern und verhindern, dass die religiöse Sprache, Metaphorik und Symbolik der Kirchen verarmt und dass ein Bruch zwischen den Fragen, Problemstellungen und Ausdrucksweisen der wissenschaftlich betriebenen Theologie und der Alltagstheologie entsteht“(Stephanie Klein).

Religionssensible Erziehung

Kindertheologie, wie die Andeutungen zeigen eher kognitiv ausgerichtet, muss erfahrungsbezogen grundiert werden. Ohne Erfahrungen keine theologischen Reflexionen. Dies gilt auch für Kinder. Darum sind kindertheologische Annäherungen an das Weihnachtsfest in einer religionssensiblen Erziehung zu grundieren. Auch wenn man nach Lernorten differenzieren muss – in der Gemeinde durchaus mit katechetischen, in der Schule und im öffentlichen Kindergarten vor allem bildungsbezogenen Akzenten – so meint Religionssensibilität auf der Seite der Erziehenden und Lehrenden die Klärung ihrer eigenen Religiosität. „Sie nehmen Ungerechtigkeit und Schuld, Freude und Hoffnung wahr, können versöhnen und den Glauben feiern. Sie nehmen scheinbar banale Fragen der Kinder als philosophische oder religiöse ernst und öffnen den Kindern Horizonte“. Sie „sind aufmerksam für Riten, Räume und Zeiten, die den Alltag durchbrechen und auf etwas darüber Hinausgehendes verweisen. Und sie nehmen die Religionen der Kinder und ihre Feste wahr, vom Fasten muslimischer Kinder bis zur Taufe eines Geschwisterkindes“ (Katrin Bedema).
Religionssensibilität als Ziel für Kinder meint die Stärkung ihres Staunens und Weiterfragens und der gemeinsamen Weltdeutung. Religionssensible Erziehung zielt auf „unbedingtes Vertrauen und Freiheit, auf Offenheit und Anerkennung. Im Rahmen der Gemeindekatechese oder in einem kirchlichen Kindergarten gilt es, die lebenstragende Deutung aus dem Glauben zu ermöglichen, „das Leben zu deuten, Gott im Leben zu identifizieren, religiös sprachfähig zu machen“ (Katrin Bedema). Erst in dieser erfahrungsgesättigten Sprach-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit ist Kindertheologie zu situieren.

Kindertheologische Perspektiven auf Weihnachten

Vor diesem Hintergrund eröffnen sich schlaglichtartig Perspektiven auf Weihnachten:
Christkind oder Jesuskind: Angesichts der unterschiedlichen Weihnachtsfiguren wie Jesuskind, Weihnachtsmann oder Christkind vor dem Hintergrund von christlicher Tradition, Weihnachtskommerz und Brauchtum stellt es eine enorme Herausforderung für die Kinder dar, hier begriffliche Klarheit zu gewinnen. Die kindlichen Konstruktionsversuche gehen oft von familiären Figuren aus und führen zu funktionalen Unterscheidungen: „Ist Jesus und das Christkind die gleiche Person oder sind das unterschiedliche? Unterschiedliche. Was ist der Unterschied? Der eine ist ein Bub, das andere ein Mädchen und der eine tut Geschichten erzählen und das andere tut Geschenke bringen“ (Michael Bünker). Wichtig ist, dass Wissen über die biblische Weihnachtsgeschichte in einer Theologie für Kinder eingebracht wird, damit die Kinder orientiert weiterdenken können.
Geburt Jesu: Ob durch Krippenspiel, durch Erzählen oder durch Bilder eingespielt: Gerade für das eigenständige Verstehen der Geburt Jesu ist die Konfrontation mit der biblischen Überlieferung elementar. Sie verhilft, eine oberflächliche Verbindung kindlicher Erfahrungen mit der Lichtsymbolik zu irritieren, und kann zeigen, inwiefern Jesus selber Licht in das Leben der Menschen gebracht hat. Vor diesem Hintergrund können dann die Kinder ab der ersten Klasse sich mit der Frage auseinandersetzen, ob an Weihnachten die Geburt des Gottessohnes oder des Josefsohnes gefeiert wird. Man kann hier mit Positionsstühlen arbeiten: Kinder sollen sich entweder auf den Josefstuhl oder den Sohn- Gottesstuhl setzen. Wahrscheinlich kommen christlich sozialisierte Kinder dann auf die Idee, einen dritten Stuhl aufzustellen, der das „Dazwischen“ Jesu zum Ausdruck bringt. Kindertheologisch relevant wären dann die von den Kindern vorgebrachten Begründungen für die gewählten Positionierungen.

Geschenke

Die möglichen Impulse sind vielfältig, um kognitive Dissonanz und Motivation für ein Theologisieren mit Kindern über Geschenke aufzubauen: seien es leere Geschenkkartons, seien es Bilder von Geschenken, seien es Erzählungen über eigene Weihnachtswünsche. In all dem kommt es darauf an, die Kinder zum Nachdenken über die weihnachtliche Bedeutung des Schenkens zu bringen. Dabei sind die biblischen Geschichten der Geschenke bringenden Sterndeuter ebenso von inspirierender Bedeutung wie das kindertheologische Nachdenken über Jesus als Geschenk Gottes.

Ausblick

Diese nur exemplarisch genannten, durch weitere Beispiele zu ergänzenden Perspektiven zeigen die theologische Kraft, mit deren Hilfe die Kinder sich eigenständig mit Weihnachten auseinandersetzen können. Von den teilweise überraschenden Blickwinkeln hätten sich auch die Erwachsenen zu denken geben lassen. Diese kindertheologischen Annäherungen an Weihnachten könnten zudem in den oft religiös höchst heterogen zusammengesetzten Gruppen im Kindergarten eine bestimmte Positionierung einbringen und damit bereits dort interreligiöse Lernprozesse anbahnen, wenn auch die Kinder aus anderen Religionen ihre Festtage, Bräuche und Riten vorstellen dürfen. Damit würde auch die unsägliche Praxis unterlaufen, aus falsch verstandener und religionspädagogisch nicht ergiebiger Toleranz im Kindergarten nicht mehr von Weihnachten, sondern nur noch von Mitwinterfesten zu reden.

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