Kein Ende der GeschichteZur Aktualität von Czesław Miłosz "Verführtes Denken"

Autoritäre Regierungen sind wieder im Aufschwung: im Osten wie im Westen. Einigen der dadurch entstehenden Herausforderungen sahen sich die Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs bereits vor Jahrzehnten konfrontiert. Theo Mechtenberg, Theologe und Germanist, deutsch-polnischer Übersetzer und Publizist, bezieht sich auf das Werk des Literaturnobelpreisträgers Czesław Miłosz kritisch, um Präventivmaßnahmen gegen totalitaristische Systeme zu entwickeln.

Vor 30 Jahren veröffentlichte der Amerikaner Francis Fukuyama seinen viel diskutierten Essay „Das Ende der Geschichte“. Noch war die Berliner Mauer nicht gefallen, doch in Polen war bereits die Macht der Kommunisten durch den überwältigenden Wahlsieg von „Solidarność“ in den halbfreien Wahlen vom 04. Juni 1989 gebrochen, und durch Gorbatschows Reformen im Zeichen von „glasnost“ und „perestroika“ deutete sich das Ende der Sowjetunion an. In dieser Phase schien die Zeit gekommen, das Ende der Geschichte in dem Sinn anzusagen, dass mit dem Untergang des totalitären Kommunismus die liberal-freiheitliche Demokratie einen endgültigen Sieg errungen hat und nunmehr, ganz in der Denkweise Hegels, das weltgeschichtliche Ziel erreicht sei.

Die Konsequenz dieser Geschichtsauffassung wäre eine Historisierung der Vergangenheit. Das gesamte Gedankengut geistiger Auseinandersetzung mit dem totalitären Kommunismus in Philosophie und Literatur hätte seine Aktualität eingebüßt und wäre nur noch von historischem Interesse. Heute wissen wir, dass sich Fukuyama geirrt hat. Die Vergangenheit ist nicht einfach vergangen. Wir erleben ihre Wiederkehr in neuer Gewandung: Den Aufschwung Chinas, eines marktwirtschaftlich orientierten kommunistischen Überwachungsstaates, das von Putin autoritär regierte Russland mit imperialen Ambitionen, theokratische Systeme des Islam, die Vereinigten Staaten unter einem populistischen, aus dem Bauchgefühl heraus entscheidenden Präsidenten Trump sowie eine Europäische Union, in der mit Polen und Ungarn zwei autoritäre Regierungen das Sagen haben und sich populistische Bewegungen und Parteien auf dem Vormarsch befinden. Die westlichen Demokratien mögen von außen (noch) nicht bedroht sein, ihre innere Bedrohung ist jedoch offensichtlich.

In dieser Situation mag es lohnend sein, auf das archivierte Gedankengut früherer Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus zurückzugreifen, um in den gegenwärtigen Herausforderungen Antworten und Orientierung zu finden. Dieser Meinung ist offenbar Adam Michnik, der Chefradakteur der „Gazeta Wyborcza“. Ihren Lesern hat er unlängst – durch Vermittlung des 2016 verstorbenen litauischen Philosophen Leonidas Donskis – die Lektüre von Czesław Miłosz Abhandlung „Verführtes Denken“ empfohlen.1

Verführtes Denken im kommunistischen Totalitarismus

 „Verführtes Denken“ erschien 1949. Der zu der Zeit bereits im Exil lebende spätere Nobelpreisträger für Literatur demaskiert in diesem Text die gemeinhin verborgenen Seiten des kommunistischen Totalitarismus. Ihm erlag selbst die geistige Elite des Landes zeitweise, indem es dem Regime gelang, sie ohne Anwendung von Gewalt dazu zu bringen, sich mit dem Verlust an Freiheit abzufinden. Nach den schrecklichen Erfahrungen der Okkupation im Zweiten Weltkrieg mit der Zerstörung all dessen, was den Menschen wert und heilig war, bot sich der verführerische Neue Glaube mit seinen Verheißungen an, die sich bald als trügerisch erweisen sollten. Doch weil das totalitäre System die Zeit genutzt hatte, sich zu etablieren, war man nunmehr gezwungen, unter seinen Bedingungen zu leben.

 Um diese Situation zu analysieren, greift Miłosz auf den aus dem Persischen stammenden Terminus „ketman“ zurück, ein Prinzip des frühen Islam, das seinen Anhängern das Recht zubilligt, angesichts von Bedrohung an Leib und Leben ihren wahren Glauben geheim zu halten und einen anderen, aufgezwungenen Glauben zu simulieren. Miłosz nutzt ketman zur Analyse des kommunistischen Totalitarismus in einem doppelten Sinn – als eine Form der Existenz unter seinen Bedingungen sowie als Ansatz seiner Entlarvung. Darüber hinaus kann ketman der Aufdeckung einer allgemeinen Programmierung von Menschen, ihrer Gehirnwäsche und massenhaften Manipulation dienen, wodurch dieser Terminus zu einem transideologischen und transzivilisatorischen Idiom wird, das sich auf eine religiöse wie auf eine säkulare Ideokratie anwenden lässt und alle Lebensbereiche zu umfassen vermag.

Es gibt sehr subtile Formen des ketman. So maskierten beispielsweise russische Intellektuelle ihre Ablehnung des Stalinismus durch eine besondere Hochschätzung russischer Literatur und Kunst. Sie betonten die Tradition einer harmonischen Einheit der russischen Nation im Gegensatz zur angeblich fragmentarischen, atomisierten westlichen Gesellschaft. Es entstanden Artikel und reihenweise Bücher zur rätselhaften und faszinierenden Natur des russischen Geistes, die ein Russlandbild vermittelten, das bei den russophilen Intellektuellen des Westens begeisterte Aufnahme fand, zugleich aber das menschenverachtende Antlitz des Stalinismus verbarg.

Ketman als Überlebensstrategie

Ketman ist eine Methode, in einem totalitären System zu leben und zu überleben. Miłosz sieht in ihr „die einzige Strategie, die den Menschen die Chance gibt, ihre Würde und Sicherheit zu wahren. Sie basiert auf der Überzeugung, dass der Mensch in der Sowjetunion oder in der Volksrepublik Tag für Tag unter einer Maske irgendwelche Rollen spielt, Treue und Loyalität vorgibt, um so das Regime in seinen tragischen Etappen zu überleben.“ Und das nicht nur in den „tragischen Etappen“, sondern auch im ganz normalen Alltag. So war es in der DDR üblich, morgens noch vor dem Gang zur Arbeit das „Neue Deutschland“ aufzuschlagen, sich anhand der Schlagzeilen über den politischen Tageskurs der Partei zu informieren, um sich ihrer bei Bedarf als Zeichen der Loyalität bedienen zu können. Diese Form rein äußerer Anpassung, die mit einer inneren Verweigerung einhergeht, ist eine Art Schauspielerei, wobei man seine Rolle nicht auf der Theaterbühne wahrnimmt, sondern mitten im Leben, im Büro, im täglichen Umgang mit den Arbeitskollegen, bei zufälligen Begegnungen sowie – dies vor allem – im direkten Kontakt mit den Machthabern. Genau genommen ist dies ein Leben in der Lüge.

Diese Methode ist anstrengend. Sie verlangt bei zunehmender Repression eine ständige Wachsamkeit, eine der Tarnung dienende geistige Akrobatik. Ein falsches Wort, ein Fehler in der Argumentation, und schon ist man demaskiert. Die Sicherheit, die ketman garantiert, hängt einzig und allein von der Maskerade ab. In einem totalitären System ist sie nicht auf einzelne Fälle persönlichen Verhaltens beschränkt, sondern geradezu ein öffentlicher Zustand. Sicher ist man daher nur, solange man ein Glied dieser öffentlichen Maskerade ist. Und sie macht den, der sich ihrer bedient, letztendlich von den Akteuren des Totalitarismus ununterscheidbar. So kann die Maskerade dazu führen, selbst Teil des totalitären Systems und seiner kollektiven Hysterie zu werden, selbst in das totalitäre Horn zu blasen, selbst die wahren oder nur erdachten Feinde des Systems zu verdammen, um nicht selbst für einen seiner Feinde gehalten zu werden.

Die Gefahr des Verlustes persönlicher Identität

Was somit zunächst als einzige Chance gilt, seine Würde und Sicherheit in einem repressiven, totalitären System zu wahren, kann am Ende zum Verlust dessen führen, was man bewahren will. Wer ständig ketman praktiziert, dem droht die Gefahr, sich gänzlich, wenngleich nur scheinbar und ungewollt, mit dem System zu identifizieren. Die Maske wird dann zur zweiten Natur. Damit ist ketman nicht nur eine Methode zum Überleben, sie birgt zugleich die Gefahr in sich, das Innerste im Menschen, seine personale Identität, preiszugeben. Um auch nur die geringste Möglichkeit auszuschließen, des Verrats überführt zu werden, wird die neue „Wahrheit“, die in ihr Gegenteil verfälschte moralische, politische und kulturelle Terminologie des Neuen Glaubens, zum eigenen Vokabular.

In letzter Konsequenz kann jemand, der ketman praktiziert, aus der Angst heraus, entlarvt zu werden, sich als ein besonders fanatischer Anhänger des Neuen Glaubens ausgeben. Er ist dann bereit, die erste beste Gelegenheit zu nutzen, Gegner des Systems, selbst solche unter seinen Freunden, zu verraten. Doch ohne Risiko ist ein solches Verhalten nicht. Denn er könnte dann selbst von denen, die er an das System ausliefert, auf gleiche Weise beschuldigt werden.

In derartigen Fällen haben wir es mit einem psychologischen Mechanismus zu tun. Wer durch den Verrat anderer sein Überleben in einem totalitären System zu sichern sucht, der weiß im Grunde um die Verwerflichkeit seines Handelns. Um es aber vor sich selbst nicht zugeben zu müssen, erfindet er irgendwelche Rechtfertigungsstrategien und verdrängt dieses Wissen auf diese Weise aus seinem Bewusstsein. Damit aber bestimmt es seine Gefühlswelt. Selbsthass ist die Folge, der – nach außen gelenkt – sich in einem aggressiven Verhalten entlädt. Eine derartige Verwandlung des Hasses lässt sich in einem totalitären System ganz allgemein beobachten. Das unter den Bedingungen des Totalitarismus erfahrene persönliche Unglück und das Erleben ständiger Frustration erzeugen Hassgefühle.

Doch eingedenk der eigenen Ohnmacht wenden sich diese nicht gegen den wahren Feind, nicht gegen das totalitäre System und seine Verursacher, sondern gegen Mitmenschen, die in gleicher Weise unter dem Totalitarismus leiden. Damit wird der Gipfelpunkt des Totalitarismus erreicht, indem die ihrer Freiheit Beraubten im gegenseitigen Hass bei sich und bei anderen jede autonome Individualität zerstören. Die dem Totalitarismus eigene radikale Indoktrination und der mit ihr verbundene Fanatismus führen somit zu einer Atomisierung der Gesellschaft und schaffen die Voraussetzungen dafür, die ihm ausgelieferten Menschen beliebig zu instrumentalisieren und für die Zwecke des totalitären Regimes zu einer willfährigen Masse zu kollektivieren. Und den auf solche Weise instrumentalisierten und kollektivierten Menschen fällt es in aller Regel extrem schwer zu erkennen, dass ihr durch die tägliche Indoktrination und Propaganda geschürter und gegen ihre Mitmenschen gerichteter Hass in Wahrheit eine Projektion ihres eigentlichen Hasses ist, der im Grunde den unmenschlichen Bedingungen gilt, unter denen sie zu leben haben.

Diese mangelnde Selbstreflexion erfährt zudem dadurch ihre Verhinderung, dass die eigentliche Feindschaft gegen das repressive Regime und den aufgezwungenen Neuen Glauben mittels einer kollektiven Hysterie kanalisiert und nach außen umgelenkt wird. Wer in dieser totalitären Welt lebt, der ist unter der Maske des ketman geneigt, diese Umlenkung selbst zu vollziehen. Ist dieses Verhalten genügend eingeübt, dann wird es nicht wie ein aus der Mode gekommenes Gewand abgestreift, wenn das totalitäre System einmal in sich zusammenfällt, sondern bleibt erhalten und befähigt dazu, nach seinem Zusammenbruch eine neue, den demokratischen Verhältnissen angepasste Rolle zu übernehmen. Auch dafür gibt es zahllose Beispiele ehemaliger Nationalsozialisten und Postkommunisten.

Der Totalitarismus ist nicht unbegrenzt

Es ist eine düstere Welt, die Miłosz in „Verführtes Denken“ analysiert. Sie zeigt deutliche Gemeinsamkeiten mit George Orwells Roman „1984“ und dem Werk von Franz Kafka. Doch zugleich verweist Miłosz auf die Grenzen des Totalitarismus. Der sei zwar in der Lage, eine freiheitliche Bürgergesellschaft zu zerstören, pathologische zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen, Gewalt und Hass zu instrumentalisieren, doch die menschliche Seele voll und ganz sowie auf Dauer zu versklaven, das könne er nicht. Bei aller negativen Beschreibung der Welt des Neuen Glaubens bleibt Miłosz Optimist. Er ist überzeugt, dass der Mensch die Kraft besitzt, die vom Totalitarismus geschaffene Wirklichkeit zu überwinden. So sehr auch der ketman praktizierende Mensch sich selbst in den Totalitarismus verwickelt: Die Maskerade, der er sich bedient, ist zugleich der Beweis, dass der Totalitarismus letztlich nicht total ist, denn die Maske ist bei all ihrer Fragwürdigkeit doch auch ein Schutz, der dem Totalitarismus den Zugang zu dem verborgenen Denken und Fühlen zu verwehren vermag.

Dass Miłosz mit dieser Einschätzung Recht behalten sollte, zeigte sich Jahrzehnte später mit dem Zusammenbruch des Kommunismus. Ketman illustriert somit eine Situation, in der jemand zugleich Konformist, Kollaborateur und heimlicher Widerständler sein kann. Es ist dies die Loyalität der Ungetreuen, die jedoch nur solange anhält, bis der Augenblick gekommen scheint, sich der Maskerade zu entledigen. Für die Menschen in der DDR war dieser Zeitpunkt im Herbst 1989 erreicht, als sie aus dem schützenden Raum der Kirchen aufbrachen, sich zu Tausenden sammelten und mit ihrem Bekenntnis zur Freiheit das Ende der DDR-Herrschaft einleiteten.

Angesichts dieser Möglichkeit liegt es denn auch Miłosz fern, den sich einem unfreien System anpassenden Menschen aus einer scheinbar gesicherten Position heraus zu verurteilen. Damit schaffe man eine ungebührliche Distanz, womit sich die notwendige Frage erübrigen würde, wie man selbst in einer solchen Lage gehandelt hätte. Zu verurteilen seien einzig und allein die inhumanen Ideen und die sie instrumentalisierenden totalitären Regime.

Die Aktualität vergangener Erfahrungen

Wenngleich sich eine simple Übertragung der in „Verführtes Denken“ vorgenommenen und von Leonidas Donskis aufgegriffenen und interpretierten Analyse auf demokratische Verhältnisse verbietet, so lassen sich doch Analogien aufzeigen, die in Anbetracht eines zunehmenden Populismus eine Gefährdung der demokratischen Ordnung in der Europäischen Union offenlegt.

Diese auf die gegenwärtige Situation Polens anwendbaren Analogien hatte offenbar Adam Michnik im Sinn, als er den Lesern seiner Zeitung den Text von Leonidas Donskis zur Lektüre empfahl. Mit dem Bemühen der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) und ihrer Regierung, die Gerichte und Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, kommt es zu einer Zunahme autoritärer Strukturen und Denkweisen. Und damit gewinnt die von Miłosz beschriebene Existenzform des ketman an gesellschaftlicher Bedeutung.

In diesem Kontext dürfte es Michnik vor allem um eine Analogie gegangen sein, um die des Hasses. Schließlich ist er seit Jahren einer der wichtigsten Mahner vor einem zerstörerischen und selbstzerstörerischen Hass, der sich in der polnischen Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür ausbreitet: In der politischen Debatte gibt es kaum Gegner, sondern fast nur noch Feinde, die es mit aller Macht zu bekämpfen gilt. Kein geringerer als Jarosław Kaczyński hat wiederholt Politiker der Opposition als „Feinde Polens“ und „Verräter der polnischen Nation“ betitelt. In einem solchen politischen Klima können die Rechtsextremisten ihrem Antisemitismus ungestraft freien Lauf lassen und in dem von ihnen organisierten „Marsch der Unabhängigkeit“ am 11. November eines jeden Jahres auf Plakaten „Tod den Feinden Polens“ fordern. Die von Miłosz beschriebene Umlenkung des Hasses ist in Polen inzwischen zu einem Massenphänomen geworden.

Doch wer Hass sät, der wird Mord ernten. Der vor allem in den sozialen Medien verbreitete Hass war denn auch der Ermöglichungsgrund für den am 13. Januar während der bedeutendsten polnischen Wohltätigkeitsveranstaltung auf offener Bühne verübten Mord an dem Danziger Stadtpräsidenten Paweł Adamowicz, wobei der Mörder seine Bluttat öffentlich als Racheakt an der oppositionellen Bürgerplattform ausgab – wofür er in den sozialen Medien, nicht einmal anonym, als „nationaler Held“ gefeiert wurde.

Die Danziger Trauerfeier mit Tausenden von Bürgern wurde zu einer Manifestation, den Hass zu überwinden. Doch als der Dominikaner Ludwik Wiśniewski in seiner Rede den allgemeinen Hass verurteilte, fing die Kamera des staatlichen Fernsehens das Gesicht von Donald Tusk ein, den Chef der Vorgängerregierung und jetzigen EU-Ratsvorsitzenden, für PiS der Feind Nr. 1. Damit wurde, ganz entgegen der Intention des Dominikaners, suggeriert, er sei für den Hass in Polen verantwortlich. Angesichts solcher Manipulation besteht wenig Hoffnung, dass die Ermordung des Danziger Stadtpräsidenten zu einem den Hass überwindenden Wendepunkt wird.

Das Beispiel Polen zeigt, welche Bedeutung heute den sozialen Medien zukommt, um in einer Gesellschaft bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Zusammenhang des Totalitarismus mit dem digitalen Zeitalter. Das ist weitgehend geprägt durch die Schaffung imaginärer Wirklichkeiten, auch solcher politischer Art und politischer Einflussnahme. Derartige Manipulationen stellen eine direkte Bedrohung der Demokratie dar. Bereits jetzt befinden wir uns in einer Art Cyberkrieg. Hacker ausländischer Mächte bringen sich in den Besitz sensibler Daten führender Politiker und nutzen sie unter Einsatz von Softwarerobotern zu ihrer millionenfach verbreiteten Diskreditierung, wie dies im amerikanischen Wahlkampf der Fall war, in dem auf diese Weise Hillary Clinton absichtlich geschadet wurde, um Donald Trump an die Macht zu bringen. In diesem Zusammenhang spielen auch Fake News eine wichtige Rolle, die erfahrungsgemäß selbst dann nicht ihre Wirkung verfehlen, wenn sie als solche enttarnt werden.

Auf solche Weise lassen sich im Interesse bestimmter Mächte, etwa Russlands, populistische Bewegungen und Parteien unterstützende Stimmungen erzeugen und fördern, die eine Destabilisierung europäischer Staaten und der Europäischen Union im Ganzen zum Ziel haben. Das digitale Zeitalter eröffnet somit neue Möglichkeiten eines Totalitarismus, der mit Hilfe seiner Manipulationstechniken über die sozialen Medien eine simulierte Wirklichkeit zu schaffen vermag, die den Empfänger auf sehr subtile Weise unfrei macht, indem er sie kritiklos und unreflektiert übernimmt.

Ist dieser Zustand erreicht, dann ergibt sich eine deutliche Parallele zu den in Miłosz „Verführtes Denken“ analysierten Mechanismen des Totalitarismus, insofern der heutige Mensch genötigt ist, unter den Bedingungen eines digitalen Totalitarismus zu leben. Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, die sich als eine der größten Herausforderungen der Demokratie erweisen dürfte.

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