Rezensionen: Theologie & Kirche

Mertes, Klaus: Wie aus Hülsen Worte werden. Glaube neu buchstabiert. Ostfildern: Patmos 2018. 160 S. Gb. 18,–.

Der Kirche ist eine großartige Botschaft anvertraut. Immer neu ist sie herausgefordert, diese in einer Sprache zu verkünden, die die Menschen verstehen können. Das gelingt nur, wenn die Verkündenden bei den Menschen sind, ihr Leben und ihre Sprache kennen. Diesen Weg ist Gott selbst gegangen. Wer in der Gesellschaft Jesu ist, kann keinen anderen Weg wählen. Das weiß der bekannte Jesuit Klaus Mertes, der mit seiner konsequenten Art in Kreisen aneckt, die sich abschotten und ängstlich die Traditionen der Kirche hüten.

Derweil wenden sich viele von der Kirche ab. Das ist sehr oft nicht eine Abwendung von ihrer Botschaft, sondern von der Art und Weise, wie diese Botschaft gelebt und verkündet wird. Der heilige Bischof Oscar Romero (1917-1980) sagte das schon vor Jahrzehnten in aller Deutlichkeit: „Wenn viele Menschen sich bereits von der Kirche entfernt haben, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die Kirche sich zu weit von der Menschheit entfernt hat. Eine Kirche, die die Erfahrungen der Menschen als ihre eigenen verspürt, die den Schmerz, die Hoffnung, die Angst aller, die sich freuen oder leiden, am eigenen Leib verspürt, diese Kirche wird zum gegenwärtigen Christus.“

Die Sprache, die die Menschen von Seiten der Kirche vernehmen, ist tatsächlich oft weit weg von ihren Alltagserfahrungen. Es mag zwar alles stimmen, aber es berührt nicht. „Lieber nicht von Gott reden als in der alten, verdreschten, verbrauchten Sprache“, bemerkt die dichtende Nonne Silja Walter (1919-2011).

Was tun? Wenn wir verstummen, verraten wir unsere Berufung. Klaus Mertes weist mit seinem neuen Buch einen anderen Weg: In den Worten des Glaubens das Leben erklingen lassen. Er verabschiedet sich nicht von 37 Schlüsselwörtern, die in der Tradition der Kirche eine große Bedeutung haben wie „Gott, Gnade, Hoffnung, Erlösung, Mission, Liebe“ usw. Vielmehr sucht er deren ursprüngliche Bedeutung, indem er sie neu buchstabiert – und damit den Glauben. Lebenserfahrungen werden zu Glaubenserfahrungen. Mertes hat den Mut, die eigenen Erfahrungen, auch das eigene Ringen, mit anderen zu teilen. So wird erfahrbar: Glaube ist Leben; er will jeden Menschen zum Leben in Fülle führen.

Wer nahe bei den Menschen und ihrer Sprache ist, muss sich auch aktuellen Fragen stellen. Diese werden nicht nur oberflächlich betrachtet und angegangen, sondern aus der Tiefe des Glaubens. So zum Beispiel der Abschnitt über Blasphemie: „Gotteslästerer und Empörer wider die Gotteslästerung sind sich ähnlicher, als ihnen lieb sein sollte. Hass ‚im Namen Gottes’ verzerrt die Gesichtszüge genauso wie Hass auf Gott.“ Indem der Glaube neu buchstabiert wird, werden plötzlich auch beim Hören des Wortes Gottes ganz neue Einsichten geschenkt. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Abschnitt über Engel.

Nicht alle Ausführungen über die aufgenommenen Begriffe überzeugen in derselben Weise. Einzelne bleiben stark in philosophischen Betrachtungen hängen. Aber gerade diese provozieren in besonderer Weise, eigene Erfahrungen in Erinnerung zu rufen, die aus Hülsen Worte werden lassen. Das Buch muss nicht einfach gelesen sein. Es ist auch kein Nachschlagewerk. Das ginge an der Absicht des Autors vorbei. Es will die Leserinnen und Leser ermutigen, auch selbst „dahinter“ zu schauen, die eigenen Erfahrungen im Licht des Glaubens zu betrachten. Diese Ermutigung gelingt. Beim Lesen realisiert man, dass das Buch im eigenen Leben weitergeschrieben wird. Ein anregendes Buch, das Anfänger und Fortgeschrittene mit auf den Weg nimmt, den Glauben neu zu buchstabieren.

 Martin Werlen OSB

 

 

Zulehner, Paul / Halík, Thomáš: Pro Pope Francis. Weltweite Unterstützung für den Papst aus dem Kirchenvolk. Ostfildern: Patmos 2018. 372 S. Kt. 20,–.

Papst Franziskus begeistert die Menschen – Christen wie Angehörige anderer Religionsgemeinschaften. Gleichzeitig wächst die Kritik am Nachfolger Petri, auch in der katholischen Kirche. Auf der einen Seite muss er sich den Vorwurf der Häresie gefallen lassen, andererseits geht er vielen Katholiken nicht weit genug: Er spreche nur, verändere aber nichts. Diesen Vorwürfen wollten sich die beiden Theologen Paul Zulehner und Thomáš Halík entgegenstellen: Sie verfassten einen öffentlichen Brief, in dem sie ihre Sympathie für den Papst offen kundtaten. Gleichzeitig riefen sie dazu auf, mit Unterschriften ihr Anliegen und das Schreiben an den Papst zu unterstützen. Mit Erfolg, 75.000 Unterschriften kamen zusammen. Sie sind der Ansicht: „Papst Franziskus ist nun fünf Jahre im Amt. Er setzt nicht nur Zeichen. Er bewegt die Kirche.“ Und: „Ein neues Pfingsten ereignet sich.“

Damit noch nicht genug: Zulehner und Halík baten die unterzeichnenden Theologen um Essays, um dem Papst theologische Schützenhilfe zu geben. 150 Expertisen kamen zurück, und die beiden Theologen wollten noch weiter schürfen. Sie erstellten eine Online-Umfrage, in der sie die Meinung aller Unterstützer des Schreibens abfragten. Das Ergebnis der Essays sowie der Umfrage liegt nun in diesem Buch vor. Im Zentrum steht die von den Autoren skizzierte Theologie von Papst Franziskus, die um eine Kirche kreist, die nicht „bloß lehrt, sondern auch lernt.“

Thematisch sortiert stellen die Autoren vor, was die Unterstützer des offenen Briefes zur Theologie des aktuellen Pontifikates denken. Kaum eine der momentan bedeutsamen Debatten wird dabei ausgespart. Die Autoren beschäftigen sich etwa mit den für die Kirche relevanten Auswirkungen der Globalisierung: Migration und Streben nach Frieden, Ehe und Familie in der modernen Welt oder die Herausforderung der Kirche durch den Islam. Positiv bewertet wird vor allem der Leitungsstil des Papstes: „Klerikalismus ist ihm zuwider. Zentralismus ebenso, dagegen setzt er auf eine prozesshafte, bestens geleitete Synodalität.“

Die Autoren erkennen, dass die Kirche je nach Kontinenten eigene Herausforderungen hat und gehen auf die aktuellen Probleme ein. Auch die Debatten um die Ordination von Frauen oder den Zölibat finden Raum. Eine Befragte etwa schreibt: „Nicht der Zugang von Frauen zu den kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern der Ausschluss.“ Angesichts der Fülle an Themen verwundert es nicht, dass wenig Neues gesagt wird. Dennoch ist das Buch ein lebendiger Beweis für die hohe Aktualität der Theologie von Papst Franziskus. Er gebietet jenen Stimmen Schweigen, die in Franziskus einen Kirchenmann ohne besondere Theologie sehen wollen, und zeigt auf, wo nach Ansicht der unterstützenden Theologinnen und Theologen noch Handlungsbedarf ist.      

Benedikt Bögle

 

 

Elsner, Regina: Die russische orthodoxe Kirche vor den Herausforderungen der Moderne. Historische Wegmarken und theologische Optionen im Spannungsfeld von Einheit und Vielfalt. Würzburg: echter 2018. 407 S. Kt. 42,–.

Die vorliegende, sehr lesenswerte Dissertation geht der Frage nach den tieferen Gründen für die aktuelle Ablehnung von Modernisierung und (westlicher) Moderne in der russischen orthodoxen Kirche (ROK) nach. Der Kern besteht für die Autorin „in einem bestimmten Verständnis von Einheit. Im Verhältnis von Staat und Kirche kommt die Idee einer unauflösbaren, von Gott gesetzten Einheit von russischem Volk und orthodoxem Glauben zum Ausdruck, der die enge Zusammenarbeit und Verwiesenheit von geistlicher und weltlicher Macht verpflichtet ist. Die Wahrnehmung von Erneuerungen und Modernisierung als Gefahr wird argumentativ durch die zu wahrende Einheit mit der historischen Vergangenheit bis hin zur ursprünglichen Offenbarung Gottes gestützt“ (181).

Tradition, auf die man sich beruft, ist immer schon gedeutete Tradition. Elser weist an sieben historischen „Momentaufnahmen“ nach, wie die Entwicklungen der russischen Orthodoxie jeweils mit unterschiedlichen Berufungen auf Tradition verknüpft waren. Besonders hilfreich für das Verständnis der heutigen ROK sind die Passagen, die der Zeitspanne zwischen 1905 bis 1917 gewidmet sind. Mit den revolutionären Veränderungen dieser Jahre entstand ein Freiraum für „Erneuerung“ (russ. obnowlenije). Perspektiven dafür hatten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts schon vorbereitet, insbesondere in den Reihen der „kirchlichen Slawophilie“ (Alexander Men). Alexej Chomjakows Konzept der „Sobornost“ (Gemeinschaft aller Gläubigen) drängte mit reformerischen Impulsen in das Landeskonzil 1917 hinein: Stärkere synodale Struktur, größere Distanz zum Staat, Liturgiereform. Zwar setzte sich auf dem Konzil die traditionelle Sicht auf die Kirche mit der Wahl des Patriarchen Tichon durch. Trotzdem „gewann das Konzil „seine nahezu revolutionäre Bedeutung […] durch seinen völlig neuen Umgang mit der Vielfalt der Meinungen innerhalb der Kirche“ (113). Die Entwicklung wurde 1917 mit der Oktoberrevolution abgewürgt und führte auch deswegen zu einer langfristigen Diskreditierung des Begriffs der „obnowlenije“, weil sich „Erneuerer“ zu Handlangern der Unterdrückung der Kirche durch die Sowjetmacht machten.  Patriarch Alexej II. führte vor diesem Hintergrund 1993, also schon zu der Zeit der Perestroika, den Kampfbegriff „Neo-Erneuertum“ in der Kirche ein, um ihn gegen Modernisierer zu wenden, z.B. gegen den Priester Georgij Kotschetkow (147 f.). Im Jahre 2000 verabschiedete die Synode schließlich die „Grundlagen der Sozialkonzeption“. Dort wird in Abgrenzung von westlichem Menschrechtsverständnis „Gewissensfreiheit als kollektiver Wert und nicht als Element individueller Freiheiten ausformuliert.“ (144 f.)

Dass sich die ROK mit ihrem antimodernen Einheitsverständnis in einen Selbstwiderspruch zu dem inhaltlichen Potential ihrer eigenen dogmatischen Tradition und auch ihrer inneren Pluralität befindet, entfaltet Elsner ausführlich. Genau in diesem Befund liegt aber auch Hoffnung für die Zukunft.             

Klaus Mertes SJ

 

 

Koch, Kurt Kardinal: Erneuerung und Einheit. Ein Plädoyer für mehr Ökumene. Ostfildern: Patmos 2018. 272 S. Gb. 24,–.

Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hat sich im Laufe der Jahre in Vorträgen, Aufsätzen und Büchern häufig zu Fragen der Ökumene geäußert. So auch in dem vorliegenden Band, der nach einer längeren Einleitung, in der Koch seine Reflexionen auf die ökumenische Situation nach dem Reformationsjubiläum 2017 bezieht, neun Texte enthält – ursprünglich Vorträge oder Aufsätze.

Was der Verfasser in diesem Band vorlegt, bewegt sich weitgehend im Bereich des katholisch-evangelischen Dialogs; die katholisch-orthodoxen Beziehungen werden nur am Rande berührt. Er entfaltet seine Gedanken ebenso kenntnisreich wie ökumenisch engagiert. Oft beruft er sich auf Äußerungen, die von anderen Theologen stammen. Auffallend oft kommt dabei Josef Ratzinger/Benedikt XVI. zur Sprache, dessen theologisches Werk von ökumenischen Hoffnungen getragen gewesen ist. Das Panorama der in diesem Buch bearbeiteten Themen ist weit, ja umfassend. Gleichwohl fällt auf, dass ein Bereich, der doch ökumenisch durchaus relevant ist, weitgehend unbehandelt bleibt: die innere Verwobenheit des christlich-ökumenischen Dialogs mit dem christlich-jüdischen Gespräch.

Bei den meisten der im vorliegenden Band gesammelten Texte geht es um einen konkreten, ökumenisch relevanten Problembereich: die Theologie des Wortes Gottes, die Rechtfertigungslehre, die Theologie des Ablasses, die Bedeutung des Papsttums in der Kirche, die Rolle des „Heidelberger Katechismus“ usw. Die Grundentscheidungen Kardinal Kochs kommen besonders deutlich in dem Aufsatz „Die apostolische Dimension der Kirche im ökumenischen Gespräch“ (151-184) zur Sprache. Hier macht der Autor deutlich, dass es ein ökumenisch besonders wichtiges Anliegen des II. Vatikanischen Konzils gewesen ist, die Apostolizität der Kirche biblisch und theologisch neu zur Sprache zu bringen. Diese kommt schon früh in vier, das biblische Erbe aufgreifenden und so die im Weg und im Werk Jesu sich erfüllende Selbstmitteilung Gottes beantwortenden Grundentscheidungen der Kirche zum Tragen: in der Umgrenzung des Kanons der biblischen Schriften, in der Benennung des trinitarischen Gottesverständnisses in den Glaubenssymbolen, in der Festlegung der im dreigestuften Amt konkret werdenden sakramentalen Verfasstheit der Kirche, schließlich in der folgenreichen Entscheidung, dass die Mysterien des Glaubens vor allem in der gemeindlichen Feier der Eucharistie vergegenwärtigt werden. Der Verfasser macht deutlich, dass der ökumenische Weg der Kirchen in dem Maß an sein Ziel kommt, als sie in der gelehrten und gelebten Annahme dieser im Evangelium gründenden Wahrheiten übereinkommen.

Es ist zu wünschen, dass das Buch des Kardinals den ökumenischen Dialog belebt und das Aufeinanderzugehen der Kirchen um einige Schritte nach vorn bringt.

Werner Löser SJ

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