Ärztliche Suizidbeihilfe - für und wider

Ärztliche Suizidbeihilfe ist seit Jahren ein kontroverses, breit diskutiertes Thema. Franz Josef Bormann, Professor für Moraltheologie an der Universität Tübingen, untersucht die Argumente pro und contra und benennt konkrete Desiderate für die Gesetzgebung und Gesundheitspolitik.

Fragt man danach, welchen Beitrag die katholische Moraltheologie zu der seit langem kontrovers geführten Debatte um die ärztliche Suizidbeihilfe leisten kann, dann stößt man zumindest auf fünf Funktionen: Sie hat erstens das Bewusstsein für die Vielschichtigkeit der Thematik wachzuhalten und fragwürdige Reduktionismen offenzulegen; zweitens die einschlägigen Hauptargumente kritisch auf ihre tatsächliche Überzeugungskraft zu untersuchen; drittens ein überzeugendes normatives Leitbild für einen zeitgemäßen gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Sterben zu begründen; viertens die Konturen der auf diesem Feld wichtigsten Handlungstypen möglichst präzise zu bestimmen, um die Handlungssicherheit insbesondere der ärztlichen Akteure zu erhöhen; und schließlich fünftens im Bewusstsein der Verschiedenheit von Moral und Recht konkrete Desiderate für die Gesetzgebung und die Gesundheitspolitik zu formulieren. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich im Blick auf die aktuelle Kontroverse um die Bewertung der ärztlichen Suizidbeihilfe auf die zweite und fünfte Funktion.

Für die moralische (und rechtliche) Bewertung der ärztlichen Suizidbeihilfe spielen mehrere Argumente eine Rolle, die sich sowohl hinsichtlich ihrer Voraussetzungslast wie auch ihres argumentativen Gewichts erheblich voneinander unterscheiden. Die folgenden Überlegungen beschränken sich allein auf solche Argumente, die nicht auf spezifisch religiösen Prämissen beruhen1, sondern über Religions- und Weltanschauungsgrenzen hinweg Anspruch auf rein rationale Zustimmung erheben.

Besondere Umstände

Ein nicht nur in der moraltheologischen Tradition bekanntes, besonders voraussetzungsarmes Argument, das in der aktuellen Diskussion viel zu wenig Beachtung findet, verweist auf die Umstände einer Handlung. Wir diskutieren Fragen der Sterbe- und Suizidbeihilfe nicht im luftleeren Raum, sondern stets in einer ganz bestimmten Konstellation, die zum einen von individuellen Faktoren (wie persönlichen Erfahrungen etwa mit dem Sterben Angehöriger, emotionalen Einstellungen oder dem Grad des [Nicht-]Wissens über Todesursachen, typische Sterbeverläufe und medizinisch-pflegerische Maßnahmen) bestimmt wird, in die zum anderen aber auch verschiedene gesellschaftliche Parameter eingehen.

Zu den relevanten überindividuellen Umständen der deutschen Sterbehilfe-Diskussion gehören nicht nur die historischen Lasten der nationalsozialistischen Vergangenheit, sondern mehr noch die krisenhaften Phänomene der Gegenwart und der zu erwartenden näheren Zukunft, die durch die bekannten Stichworte der demografischen Schieflage der Gesellschaft, der drohenden Altersarmut weiter Bevölkerungskreise, der wachsenden Instabilität sozialer Beziehungen (insbesondere familialer Strukturen), des schon heute bestehenden Mangels an qualifizierten Pflegekräften, der auffallend negativen Bewertung von altersbedingten Zuständen wachsender Abhängigkeit2 sowie einer im europäischen Vergleich hochgradig defizitären palliativmedizinischen Versorgung in der Fläche markiert sind.

Die möglichst umfassende Wahrnehmung der besonderen Umstände hat nun aber auch direkte Auswirkungen auf ein zweites Argument, das auf die Gefahren eines möglichen Missbrauchs abhebt. Obwohl der mögliche Missbrauch einer Sache ihren legitimen Gebrauch keineswegs aufhebt ("abusus non tollit usum") und ein Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe grundsätzlich ebenso unterlaufen werden kann wie deren Legalisierung, sollten wir uns vor abstraktiven Fehlschlüssen hüten, die meinen, aus der völlig anderen Ausgangslage in Ländern wie Holland oder im US-Bundesstaat Oregon Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit möglicher Dammbrüche bei uns ableiten zu können. Abgesehen davon, dass die Erfahrungen jener wenigen Länder, in denen überhaupt liberale Euthanasiegesetze in Kraft gesetzt wurden, sehr unterschiedlich sind und gerade die unter ungleich günstigeren medizinischen Voraussetzungen eingeführten Liberalisierungen in den Niederlanden eine Reihe extrem problematischer Ausweitungseffekte gezeigt haben3, würde eine naive Übertragung dortiger rechtlicher Regelwerke auf Deutschland im Ergebnis gerade nicht dazu führen, die Handlungsoptionen der Bürgerinnen und Bürger zu erweitern, da die dafür erforderlichen medizinischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen bei uns (noch) gar nicht gegeben sind.

Es ist ein großer Unterschied, ob Länder mit gut ausgebauten palliativmedizinischen Versorgungsangeboten - wie zum Beispiel England oder Holland - einen rechtlichen Freiraum für die ärztliche Suizidbeihilfe schaffen oder ob das in einem palliativmedizinischen Entwicklungsland wie Deutschland geschähe, wo geeignete Hilfsangebote längst noch nicht in ausreichender Dichte vorhanden sind. Wer daher unter den gegenwärtigen deutschen Bedingungen die ärztliche Suizidbeihilfe legalisiert, provoziert medizinisch schlecht betreute Schwerstkranke dazu, sich in einer verzweifelten Notlage mit der Bitte um Suizidbeihilfe an Ärzte zu wenden, da dies nicht selten die einzige erreichbare "Unterstützung" wäre, die ihnen selbst derzeit überhaupt möglich erscheint.

"Selbstbestimmung" - Autonomie oder Autarkie?

Mit dem wichtigen Hinweis auf die wünschenswerte Erweiterung der individuellen Handlungsoptionen kommt bereits ein drittes Argument in den Blick, das sich auf die freiheitliche Selbstbestimmung des mündigen Bürgers beruft. Dieses wichtige Autonomie-Argument taucht im Kontext des Streites um die ärztliche Suizidbeihilfe in verschiedenen Varianten auf: mal mit Verweis auf einen unerträglichen Leidenszustand, unzumutbare Todesqualen oder die verständliche Angst des Patienten vor einem vermeintlich würdelosen Dasein angesichts schwindender Körperkontrolle und wachsender Abhängigkeit, mal mit Rekurs auf einen legitimen Pluralismus der Lebensführung innerhalb freiheitlicher Gesellschaften oder den Hinweis auf die unbestreitbare Existenz manifester Sterbewünsche, die auch im Rahmen einer optimalen palliativen Versorgung anzutreffen sind.

Ohne die hohe Bedeutung des Grundwertes der Selbstbestimmung sowohl im Rahmen unserer alltäglichen Lebensführung wie auch im Kontext einer zeitgemäßen Medizinethik hier auch nur im geringsten in Frage stellen zu wollen, ist aus ethischer Perspektive in diesem Zusammenhang jedoch gleich ein mehrfacher Differenzierungsbedarf anzumelden. Abgesehen von einem oft individualistisch verkürzten Verständnis von Selbstbestimmung, das Autonomie mit Autarkie verwechselt, und dem Umstand, dass der moralisch gebotene Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht eines Sterbewilligen keineswegs zwingend ein zureichendes Motiv für die aktive Unterstützung einer Suizidhandlung darstellt, sind hier wenigstens die folgenden vier Überlegungen beachtenswert:

Erstens ist die Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung an verschiedene körperliche und mentale Voraussetzungen gebunden, die keineswegs immer vollumfänglich erfüllt sind, so dass bereits die nähere Qualifizierung des Ausmaßes der Selbstbestimmungsfähigkeit eines Patienten auch für erfahrene Ärzte keineswegs eine triviale Aufgabe darstellt. Die Annahme, gerade der schwerstleidende Patient sei ohne Weiteres dazu in der Lage, frei über sein Leben und Sterben zu bestimmen, dürfte jedenfalls eine rationalistische Fiktion darstellen, die nach ärztlicher Auskunft so in der Realität kaum jemals anzutreffen ist4.

Zweitens findet das moralische Recht zur Selbstbestimmung nicht nur dort eine Grenze, wo die Freiheit und Selbstbestimmung Dritter bedroht oder deren Mithilfe zum Erreichen des gewünschten Zieles erforderlich ist, sondern auch dort, wo es um die Verletzung rational begründeter moralischer Pflichten gegen sich selbst geht. Dieselben Vernunftgründe, die mich moralisch dazu verpflichten, das physische Leben Dritter zu achten, gelten dem Grundsatz der Universalisierung zufolge unvermindert auch für das eigene Selbstverhältnis. Obwohl die katholische Kirche zu keinem Zeitpunkt eine "ausnahmslose Lebenserhaltungspflicht um jeden Preis" vertreten hat und die Möglichkeit des altruistischen Selbstopfers ebenso kennt wie die Legitimität der Ablehnung unverhältnismäßiger medizinischer Behandlungsformen5, hat sie den Suizid im Allgemeinen und die Selbsttötung zur Vermeidung der gewöhnlichen Beschwernisse des Alters im Besonderen - übrigens in Übereinstimmung mit dem jüdischen Erbe6 und den Hauptrepräsentanten der abendländischen Moralphilosophie7 - stets abgelehnt8.

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Zwar gilt die moralische Pflicht zur Erhaltung des eigenen physischen Lebens - wie jede andere Tugend-Pflicht auch - nur im Rahmen der individuellen Leistungsfähigkeit des Betroffenen ("ultra posse nemo tenetur"), doch steht die seit neuerem immer wieder zu hörende Behauptung, es gebe schließlich "keine Pflicht zum Leben" insofern in eklatantem Widerspruch zur Tradition der abendländischen Ethik, als diese neben den Pflichten gegenüber Dritten stets auch an der Existenz verschiedener durchaus anspruchsvoller Pflichten gegen sich selbst festgehalten hat9. Selbst wenn solche Tugend-Pflichten sorgfältig von zivil- und strafrechtlichen Pflichten zu unterscheiden sind, können sie doch insofern rechtsethisch beachtliche Konsequenzen haben, als der Staat dazu verpflichtet ist, das Grundrecht auf Leben aller Bürger - insbesondere besonders vulnerabler Personengruppen - wirksam zu schützen und bestimmte vorhersehbare Gefahren abzuwehren, die etwa dadurch entstehen können, dass das Tötungstabu innerhalb der Gesellschaft immer weiter geschwächt wird.

Auch der an sich berechtigte Hinweis auf eine legitime Pluralität von Lebensformen ändert nichts daran, dass alle vernunftförmigen Konzepte des "guten Lebens" einen wirksamen Schutz elementarer moralischer Güter voraussetzen, zu denen zweifellos auch das physische Leben aller Menschen gehört, so dass zumindest fraglich erscheint, ob eine Lebensform begründeterweise als moralisch "gut" bezeichnet werden kann, die den suizidalen Abbruch des Lebens in der sogenannten Standardsituation der Sterbehilfe - also bei noch bestehenden Handlungspotenzialen des Patienten - einschließt10.

Drittens gilt es zu bedenken, dass mit der Ausweitung des individuellen Selbstbestimmungsrechtes bestimmter politisch einflussreicher Gruppen in Richtung einer Legalisierung ärztlicher Suizidbeihilfe mittel- und langfristig auch neue Gefahren und Zwänge für die Selbstbestimmung anderer besonders vulnerabler Personen entstehen können, die im Ergebnis auf eine empfindliche Beeinträchtigung ihrer individuellen Autonomie hinauslaufen. Da die Ausübung der Selbstbestimmung nie nur den einsamen Akt eines völlig isolierten Individuums darstellt, sondern immer auch auf vielfältige Weise sozial bedingt und vermittelt ist, schaffen neue Handlungsoptionen auch neue Erwartungen im Umfeld der Betroffenen. Denn wenn erst einmal innerhalb der Gesellschaft eine rechtliche Situation besteht, in der die ärztliche Suizidbeihilfe als eine sozial akzeptierte Form der Lebensbeendigung anerkannt ist, kann es im Laufe der Zeit zu einer Beweislastverkehrung für all diejenigen "zählebigen Alten und Kranken" kommen, die sich trotz aufwendiger und teurer Pflege bislang noch nicht dazu haben durchringen können, von dieser für die soziale Umwelt ungemein entlastenden Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ob und in welchem Ausmaß es zu einem solchen sozialen Druck kommt, dürfte maßgeblich von den jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Umständen abhängen, die in Deutschland freilich besonders prekär erscheinen.

Viertens verunklart der undifferenzierte Verweis auf die unleugbare Existenz manifester Sterbewünsche zahlloser Kranker, die im Namen der Selbstbestimmung endlich ernst genommen werden müssten, mehr, als er erhellt. Tatsächlich sind hier nämlich - soweit wir das beim derzeit noch sehr unvollkommenen Wissensstand und den vielfältigen kommunikativen Funktionen von entsprechenden Äußerungen sagen können - zwei ganz verschiedene Arten solcher Sterbewünsche voneinander zu unterscheiden11.

Während sogenannte aktuelle"gesteigerte Todeswünsche" in der Regel von Patienten mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen geäußert werden und ursächlich auf besonders belastende körperliche Symptome (wie starke Schmerzen, Atemnot, Übelkeit usw.), Depressionen, Hoffnungslosigkeit sowie die Angst davor, Anderen zur Last zu fallen, zurückzuführen sind12, wobei oft eine Gleichzeitigkeit von Lebenswille und Sterbewunsch vorliegt, treten sogenannte hypothetische Sterbewünsche vor allem bei solchen Patienten ganz am Anfang einer langwierigen Erkrankung auf, die einen Zustand fortschreitenden körperlichen und geistigen Verfalls für "unwürdig" erachten und deswegen unbedingt Kontrolle und Unabhängigkeit bewahren wollen. Abgesehen davon, wie sich eine solche sehr spezielle subjektive Würde-Vorstellung zur objektiven Idee der Menschenwürde in unserer Verfassung verhält, die gerade keine Stufung nach Leistungskriterien und Unabhängigkeitsgraden zulässt, sondern davon ausgeht, dass jedem Menschen als Menschen in allen Phasen seiner Existenz eine unveräußerliche Würde zukommt, wäre zunächst einmal zu prüfen, ob die Entscheidung zur beschleunigten Herbeiführung des Todes am Beginn - oder womöglich sogar vor Ausbruch - einer Erkrankung überhaupt anthropologisch sinnvoll ist und moralisch gerechtfertigt werden kann, da sie die Einheit des menschlichen Lebens zerstört, den Lebenswert verschiedener Lebensphasen anhand fragwürdiger Kriterien beurteilt und letztlich auf den (angstgetriebenen) gewaltsamen Abbruch einer noch unvollendeten Biografie hinausläuft.

Ärztliches Standesethos

Überdies wäre zu fragen, ob die hier stets als unproblematisch vorausgesetzte ärztliche Mitwirkung an solchen Lebensbeendigungsszenarien von der funktionalen Rolle des Arztes her überhaupt wünschenswert und verantwortbar erscheint, womit ein letztes wichtiges Argument in den Blick kommt, das auf das ärztliche Standesethos abhebt.

Auch der argumentative Verweis auf die Identität des Arztberufes und das historisch gewachsene spezifische Ethos dieses Berufsstandes ist differenziert zu betrachten. Zwar ist es unbestreitbar, dass der Arztberuf von seinem hippokratischen Erbe her primär dem Lebenserhalt, der Heilung und der Leidensminderung des Patienten verpflichtet ist, so dass eine Verstrickung in bestimmte lebensbeendende Handlungen - wie die Suizidassistenz oder die aktive Sterbehilfe - zumindest einen Traditionsbruch darstellen würde, doch werden dagegen gewöhnlich zwei Einwände geltend gemacht, von denen der eine auf die Uneindeutigkeit eben dieser Tradition verweist und der andere auf eine veränderte Problemlage in der Gegenwart abhebt. Tatsächlich habe es nämlich bereits in der Antike bei konkurrierenden Arztschulen eine Praxis gegeben, die es Ärzten erlaubte, unter ganz bestimmten Bedingungen lebensbeendende Handlungen vorzunehmen, so dass sich im Rückgriff auf diese heterodoxe Traditionslinie durchaus historische Anknüpfungspunkte für eine Fortschreibung einschlägiger standesethischer Weisungen finden ließen.

Angesichts einer mittlerweile veränderten Situation, in der Ärzte nicht nur faktisch von ihren Patienten in relevantem Umfang um Unterstützung bei Suizidhandlungen gebeten würden, sondern sich ein beträchtlicher Teil der Ärzteschaft aktuellen Erhebungen zufolge auch eine persönliche Mitwirkung an solchen Handlungen vorstellen könnte, sei es an der Zeit, die Teleologie ärztlicher Zuständigkeiten über die bisherigen Grenzen hinaus auszuweiten und zumindest jene Ärzte wirksam vor rechtlichen Sanktionen zu schützen, die eine entsprechende Suizidbeihilfe vor ihrem eigenen Gewissen verantworten können und dabei bestimmte Sorgfaltspflichten einhalten.

Allein gegen eine solche Gedankenführung sind aus ethischer Perspektive wenigstens drei gewichtige Einwände zu erheben: Erstens lassen sich aus solchen empirischen Befragungen zur Einstellung von Ärzten nur um den Preis krasser naturalistischer Fehlschlüsse Folgerungen über die moralische Unbedenklichkeit solcher Praktiken ableiten. Zweitens suggeriert diese Argumentation einen objektiven substanziellen Bedarf an ärztlicher Suizidbeihilfe, den man zumindest dann in Zweifel ziehen kann, wenn Patienten nicht nur hinreichend über alternative Unterstützungsangebote aufgeklärt werden13, sondern diese auch zeit- und ortsnah erreichen können, was zugegebenermaßen in Deutschland bislang keineswegs überall der Fall ist.

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Drittens entspringt das Plädoyer für die Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe einem reinen Dienstleistungsverständnis des Arztberufes, das manch einem vielleicht insofern modern, zeitgemäß und nicht zuletzt auch ökonomisch sinnvoll erscheint, als es sich stromlinienförmig der Erfüllung von Patientenwünschen anzupassen versteht. Jedoch übersieht ein solcher Ansatz, der ganz der Selbstbestimmung des Patienten als zwar notwendiger, aber keineswegs hinreichender Voraussetzung jedes zulässigen ärztlichen Handelns verpflichtet ist, die zweite wichtige Säule des ärztlichen Ethos, die in der nach objektivierbaren wissenschaftlichen Kriterien zu begründenden Indikation des jeweiligen ärztlichen Handelns besteht. Im Grunde sind hier nämlich nur zwei Alternativen denkbar, die jedoch beide für die Vorstellung einer "Indikation zur ärztlichen Suizidbeihilfe" gleichermaßen ungeeignet erscheinen. Denn entweder beruhen Sterbewünsche schwerkranker Patienten auf belastenden körperlichen Symptomen oder psychiatrisch relevanten Leidenszuständen, so dass deren Behandlung überhaupt in die ärztliche Kompetenz fällt, oder aber sie treten unabhängig von Krankheitsphänomenen auf und entziehen sich damit von vornherein der ärztlichen Zuständigkeit.

Im ersten Fall wären sie Anlass zu einer lege-artis-Behandlung unter Einschluss einer umfassenden und für die überwältigende Mehrzahl der Fälle auch durchaus wirksamen palliativmedizinischen Symptomkontrolle bzw. psychiatrischen Intervention. Auch für die wenigen Härtefälle, in denen sich alle Leidensminderungsversuche als für den betroffenen Patienten selbst unzureichend erweisen, bliebe als ultima ratio immer noch die Handlungsoption der sogenannten "terminalen Sedierung"14, so dass der Arzt schon aus Gründen der medizinischen Qualitätssicherung dazu verpflichtet wäre, dieser auch ethisch überlegenen Alternative den Vorzug zu geben15. Im zweiten Fall eines manifesten Todeswunsches unabhängig von einer ausgeprägten Krankheitssymptomatik wäre der Arzt kaum der geeignete Ansprechpartner, weil das beklagte subjektiv unerträgliche "Leiden" des Patienten (z. B. an der Einsamkeit oder der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz) nun einmal per definitionem keine "Krankheit" darstellt, die sich nach naturwissenschaftlich-medizinischen Parametern objektivieren ließe. Dass ausgerechnet Ärzte, die seit Jahrzehnten an einer immer weiter fortschreitenden Medikalisierung des Sterbens gearbeitet und dabei vor allem die sogenannte sprechende Medizin weitestgehend aus den Augen verloren haben, jetzt auf einmal die geeigneten Ansprechpartner für den kompetenten Umgang mit solchen existenziellen Grenzsituationen sein sollen, erscheint wenig überzeugend. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Ärzte in solchen Fällen letztlich als "billige […] Tötungsmedikamentebeschaffer"16 missbraucht würden, was ihrer Reputation und Vertrauenswürdigkeit auf Dauer sicher kaum zuträglich sein dürfte17. Kurzum: Keines der für die ärztliche Suizidbeihilfe als wünschenswerter sozialer Praxis ins Feld geführten Argumente erscheint bei näherer Überprüfung wirklich stichhaltig.

Gesundheitspolitische Konsequenzen

Aus Sicht der katholischen Moraltheologie sollte sich das ärztliche Handeln schwerkranken und sterbenden Patienten gegenüber grundsätzlich am Ideal des "natürlichen Todes" orientieren, das die Einheit des menschlichen Lebens ernst nimmt und eine doppelte normative Stoßrichtung besitzt18: Zum einen besteht es darauf, dass der Patient all diejenige medizinische, psycho-soziale und spirituelle Unterstützung erhält, die es ihm erlaubt, seine personalen Handlungsmöglichkeiten möglichst umfassend auszuschöpfen und seinen letzten Lebensabschnitt trotz aller alters- und krankheitsbedingten Beeinträchtigungen als ganz individuellen Weg zu seinem "eigenen Tod" zu gestalten. Zum anderen folgt daraus aber auch eine klare Absage sowohl an alle Formen der Übertherapie, durch die das Sterben des Patienten unnötig hinausgezögert wird, als auch an jede Form der absichtlichen Tötung - sowohl der Fremdtötung im Sinne der aktiven Sterbehilfe wie auch des Suizids. Tötungshandlungen führen nicht nur dazu, dass objektiv vorhandene Handlungspotenziale des Betroffenen gewaltsam abgeschnitten werden, sie stellen auch eine Form der Lebensbeendigung dar, die der von der modernen Thanatologie aufgewiesenen Prozesshaftigkeit des Sterbens nicht angemessen ist19.

Das Postulat der notwendigen Unterstützung im Sterben durch eine kompetente Symptomkontrolle ist genauso unverzichtbar wie der wirksame Ausschluss jeglicher Hilfe zum Sterben, durch die der Tod des Patienten bewusst zeitlich beschleunigt wird. Beide Seiten sind notwendig und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. So wichtig es ist, dass der Ausbau und die Vernetzung der verschiedenen palliativmedizinischen Unterstützungsangebote von der Diagnose einer schweren Erkrankung bis zum Tod eines Patienten gerade auch im ländlichen Bereich energisch vorangetrieben werden, so wünschenswert erscheint es, dass der Gesetzgeber nicht nur die gewinnorientierte, sondern auch die vereinsmäßig organisierte Suizidbeihilfe in Deutschland konsequent verbietet, da der dortige routiniert-geschäftsmäßige Umgang mit der Selbsttötung an den tatsächlichen Bedürfnissen schwerkranker Menschen vorbeigeht und - wie nicht nur die Schweizer Erfahrungen belegen - zudem fragwürdige Ausweitungseffekte zeitigt, die unbedingt vermieden werden sollten20.

Man mag das Aufkommen solcher Vereine als Krisensymptom verstehen, die auf die hinlänglich bekannten Defizite unserer einseitig technisch optimierten medizinischen Infrastruktur aufmerksam machen. Sterbehilfe-Vereine wie "Dignitas" und "Exit" sind jedoch selbst Teil des Problems, nicht aber Teil einer konstruktiven Lösung vorhandener Defizite. Sie reagieren in moralisch fragwürdiger Form auf Missstände und Versäumnisse, die wir möglichst rasch auf andere und vor allem bessere Art und Weise überwinden sollten. Dazu bedarf es zum einen konkreter positiver Beispiele zum Aufbau einer an den tatsächlichen Bedürfnissen schwerkranker Patienten orientierten Sterbekultur21, zum anderen aber auch klarer standesethischer und rechtlicher Vorgaben für das medizinische Personal.

Von daher begrüße ich ausdrücklich die gegenwärtige Politik der Bundesärztekammer, die nach einer ethisch irritierenden Neufassung der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahr 2011, der zufolge die Suizidbeihilfe lediglich "keine ärztliche Aufgabe"22 sei, nunmehr durch eine Verschärfung der Musterberufsordnung auf dem 114. Deutschen Ärztetag klar und deutlich festgestellt hat, dass in Deutschland praktizierende Ärzte "keine Hilfe zur Selbsttötung leisten [dürfen]"23. Die Bundesärztekammer setzt damit ein klares standesethisches Signal, das zumindest die offizielle Verstrickung von Ärzten in ihrer beruflichen Funktion als Ärzten in das Wirken von Sterbehilfe-Vereinen kategorisch ausschließt.

Gesetzliche Anforderungen

Der Gesetzgeber täte daher gut daran, an der gegenwärtigen im Wesentlichen sinnvollen Rechtslage - die den Suizid grundsätzlich ebenso straffrei stellt wie die private Hilfe dazu - nur das Allernotwendigste zu ändern, nämlich all jenen Sterbehilfe- Vereinen die rechtliche Existenzgrundlage zu entziehen, die aus einem falsch verstandenen Humanitätsgedanken heraus keinen Dienst am Leben leisten, sondern außerhalb des Kontextes enger sozialer Beziehungen routinemäßig die Herbeiführung des Todes organisieren.

Das von einer Minderheit der Ärzteschaft propagierte Ziel, entweder die Mitarbeit von Ärzten in solchen Sterbehilfe-Vereinen durch eine generelle Legalisierung ärztlicher Suizidbeihilfe zu befördern oder aber zumindest nach holländischem Vorbild eine ärztliche Suizidbeihilfe unter Wahrung bestimmter elementarer Sorgfaltspflichten per Gesetz zu ermöglichen24, ist gesundheitspolitisch aus wenigstens drei Gründen gefährlich und kontraproduktiv:

Erstens verharmlost es den Suizid, den wir aus guten Gründen nicht als normale und wünschenswerte Form der Lebensbeendigung, sondern als ein Unglück ansehen, auf das zumal die Hinterbliebenen in aller Regel mit Betroffenheit und Schuldgefühlen reagieren25. Wir sollten uns kein allzu familiäres Verhältnis zur Selbsttötung angewöhnen, das vorgibt, diese elementaren emotionalen Reaktionen überspringen zu können, und das überdies im Widerspruch zu den vielfältigen und in fast allen Bereichen erfolgreichen Bemühungen einer Suizidprophylaxe steht.

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Zweitens würde die Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe ein falsches gesundheitspolitisches Signal darstellen, das insofern faktisch einer zynischen Ersatzhandlung gleichkäme, als die vermeintliche Beförderung der Patientenautonomie in Wahrheit vor der dringend überfälligen Lösung der realen Probleme in der angemessenen medizinischen Versorgung, Pflege und Begleitung schwerstkranker Bürgerinnen und Bürger in unserem Land kapituliert. Die Beteuerung der Propagandisten einer ärztlichen Suizidassistenz, man dürfe den notwendigen Ausbau der Palliativmedizin nicht gegen die rechtliche Stärkung der Patientenautonomie ausspielen, sondern müsse beides zugleich vorantreiben, ist allein schon deswegen wenig glaubwürdig, weil die beiden Projekte in einer zunehmend durchökonomisierten Gesundheitswirtschaft nicht zuletzt aus der Perspektive der Kostenträger keineswegs gleichwertig sind. Die rechtlich eröffnete Möglichkeit zur kostengünstigen Entsorgung teurer Patienten dürfte daher nicht wenigen viel attraktiver erscheinen als der - auch innerhalb der Ärzteschaft - oft mühsame Kampf um den Aufbau ausreichender palliativer Versorgungsangebote26. Statt eines vermeintlichen Rechtes auf die ärztlich assistierte Selbsttötung sollte derzeit die gesetzliche Stärkung des Rechtes auf angemessene bezahlbare Pflege die gesundheits- und rechtspolitische Agenda bestimmen!

Drittens wäre die Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe auch deswegen ein Schritt in die völlig falsche Richtung, weil sie in der Praxis - gewollt oder ungewollt - die Grenze zur aktiven Sterbehilfe noch weiter verwischen würde als dies durch das Patientenverfügungsgesetz in Ermangelung einer Reichweitenbegrenzung ohnehin bereits heute der Fall ist.

Man braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass es eine zahlenmäßig sehr kleine Gruppe von Patienten gibt, die aufgrund der Art ihrer Erkrankung (z. B. aufgrund von Lähmungen usw.) gar nicht mehr selbst dazu in der Lage ist, bestimmte für die Tatherrschaft konstitutive Akte auszuführen, so dass die Ärzte im Falle einer Suizidbeihilfe zwangsläufig in einer Art und Weise tätig werden müssten, die die Grenze zur Tötung auf Verlangen überschreitet. Solche seltenen Ausnahmen könnten dann leicht dazu missbraucht werden, um weitergehende Rechtsansprüche auf die aktive Sterbehilfe zu begründen, die unser derzeitiges Strafrecht aus guten Gründen gerade ausschließt. Wer daher eine Rechtsentwicklung in dieser Richtung für verfehlt hält, tut gut daran, sich gegenwärtig gesetzlichen Regelungen zu widersetzen, die schon jetzt vorhersehbar dazu führen, die aktive Sterbehilfe durch die Hintertür salonfähig zu machen.

Anmerkungen

1 Wie z. B. der Verweis auf die "Heiligkeit des Lebens" oder die "begrenzte Verfügungsgewalt" des Geschöpfes über das vom Schöpfer anvertraute "Gut des Lebens", die schon semantisch an einen religiösen bzw. theistischen Verstehenshorizont gebunden sind. 2 Vgl. Andreas Kruse, Altersbilder in anderen Kulturen, in: Karl Gabriel / Willi Jäger / Gregor Maria Hoff (Hg.), Alter und Altern als Herausforderung. Freiburg 2011, 10. 3 Vgl. Paul J. van der Maas et al., Euthanasia, Physician-Assisted Suicide, and other Medical Practices Involving the End of Life in the Netherlands, 1990-1995, in: NEJM 335 (1996) 1699-1705; Gerrit van der Wal / Bregje D. Onwuteaka-Philipsen, Cases of Euthanasia and Assisted Suicide Reported to the Public Prosecutor in North Holland Over 10 Years, in: BMJ 312 (1996) 1706-1711. 4 Die Kombination des Selbstbestimmungs-Argumentes mit dem Leidens-Argument ist insofern problematisch, als sich beide Parameter in der Regel umgekehrt proportional zueinander verhalten: Der weithin selbstbestimmungsfähige Mensch ist in der Regel nicht schwer leidend, während umgekehrt der schwer körperlich oder seelisch leidende Mensch selten wirklich selbstbestimmungsfähig ist. 5 In diesem Sinne hat das katholische Lehramt wiederholt vor "therapeutischem Übereifer " (Johannes Paul II., Evangelium vitae, Nr. 65) und "therapeutischer Verbissenheit" (Päpstlicher Rat für die Seelsorge im Krankendienst [Hg.], Charta der im Gesundheitsdienst tätigen Personen. Vatikanstadt 1995, Nr. 119) gewarnt und die Pflicht der Gläubigen zur Nutzung therapeutischer Angebote allein auf die sog. remedia ordinaria begrenzt. 6 Vgl. Walter Groß, Zum alttestamentlich-jüdischen Verständnis von Sterben und Tod, in: Franz-Josef Bormann / Gian Domenico Borasio (Hg.), Sterben. Dimensionen eines anthropologischen Grundphänomens. Berlin / Boston 2012, 465-480, bes. 476 f. 7 Vgl. Otfried Höffe, Der Tod von eigener Hand: Ein philosophischer Blick auf ein existentielles Problem, in: Bormann / Borasio (Anm. 6) 411-427, bes. 415-419. 8 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes", Nr. 27; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur Euthanasie (5. Mai 1980), Abschnitt II, Abschnitt I3; Johannes Paul II., Evangelium vitae, Nr. 66 sowie Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2281-2283. 9 Vgl. Matthias Hoesch, Pflichten gegen sich selbst und die Frage nach dem guten Leben, in: ders. / Sebastian Muders / Markus Rüther (Hg.), Glück - Werte - Sinn. Metaethische, ethische und theologische Zugänge zur Frage nach dem guten Leben. Berlin 2013, 219-241. 10 Dies gilt a fortiori für rein hedonistische Lebenskonzepte, deren Anhänger sich möglichst noch vor der Manifestation erster Krankheitssymptome mittels professioneller Hilfe entweder selbst das Leben nehmen oder auf ihr Verlangen hin töten lassen wollen. - Zum Problem des moralischen Perfektionismus in der zeitgenössischen Debatte um das "gute Leben" vgl. Franz-Josef Bormann, 'Handlungsfähigkeit' und 'gutes Leben'. Plädoyer für einen schwachen Perfektionismus, in: Hoesch / Muders / Rüther (Anm. 9) 177-194. 11 Vgl. Maren Galushko / Raymond Voltz, Todeswünsche und ihre Bedeutung in der palliativmedizinischen Versorgung, in: Bormann / Borasio (Anm. 6) 200-210, bes. 203-207 sowie Stephanie Stiel / Frank Elsner / Martina Pestinger / Lukas Radbruch, Wunsch nach vorzeitigem Lebensende. Was steht dahinter?, in: Der Schmerz 2 (2010) 177-189. 12 Vgl. William Breitbart et al., Depression, Hopelessness, and Desire for Hastened Death in Terminally Ill Patients with Cancer, in: JAMA 284 (2000) 2907-2911 sowie Rinat Nissim et al., The Desire for Hastened Death in Individuals with Advanced Cancer: A Longitudinal Qualitative Study, in: Soc Sci Med 69 (2009) 165-171. 13 In diesem Sinne stellt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, mit Blick auf die krasse Diskrepanz zwischen jährlich 840 000 Sterbefällen gegenüber 150 Personen, die zur Sterbehilfe in die Schweiz gefahren sind, zu Recht fest: "Das Verhältnis rechtfertigt keine Gesetzesänderung von so weitreichendem Ausmaß, die - einmal konsequent zu Ende gedacht - dazu führen könnte, die Lebenschancen Alter, Behinderter, Dementer und Schwerkranker dramatisch einzuschränken." (FAZ, 9.11.2014, 4). 14 Vgl. Gerald Neitzke / Andreas Frewer, Sedierung als Sterbehilfe? Zur medizinethischen Kultur am Lebensende, in: Ethik Med 16 (2004) 323-333 sowie H. Christof Müller-Busch, "Terminale Sedierung". Ausweg im Einzelfall, Mittelweg oder schiefe Ebene?, in: ebd. 369-377. 15 Zur notwendigen Unterscheidung der unterschiedlichen Perspektiven von betroffenen Patienten, Angehörigen, Ärzten und Gesellschaft in dieser Angelegenheit vgl. Dieter Birnbacher, Terminale Sedierung, Sterbehilfe und kausale Rollen, in: Ethik Med 16 (2004) 365-367. 16 Montgomery (Anm. 13) 4. 17 Gegen eine "Koppelung des straflosen assistierten Suizids an den Arztberuf" spricht nach Auffassung von Gian Domenico Borasio auch die Gefahr nachhaltiger negativer Veränderungen des Arzt-Patienten-Verhältnisses, "weil die Hilfe beim Suizid dann quasi als ärztliche Leistung vorhanden wäre, die man einfordern könnte. Dies verstößt gegen das Prinzip des Lebensschutzes und kann zu einer schweren Interessenkollision bei den Ärzten führen: Es ist heute in Deutschland für die Ärzteschaft, insbesondere im ambulanten Bereich, aufwändiger, zeitraubender und auch finanziell nachteilig, einen Patienten am Lebensende adäquat palliativmedizinisch zu behandeln (einschließlich Schmerztherapie, Hausbesuche, Angehörigenbetreuung etc.), als ihm ein Rezept für eine tödliche Medikamentendosis auszuhändigen. Eine solche Interessenkollision gilt es unbedingt zu vermeiden": Der assistierte Suizid aus palliativmedizinischer Sicht, in: ZME 55 (2009) 241. 18 Vgl. Franz-Josef Bormann, Ein natürlicher Tod - was ist das? Ethische Überlegungen zur aktiven Sterbehilfe, in: ZME 48 (2002) 29-38; ders., Ist die Vorstellung eines 'natürlichen Todes' noch zeitgemäß? Moraltheologische Überlegungen zu einem umstrittenen Begriff, in: ders. / Borasio (Anm. 6) 325-350. 19 Vgl. H. Christof Müller-Busch, Abschied braucht Zeit. Palliativmedizin und Ethik des Sterbens. Berlin 2012. 20 Während das Schweizer Strafgesetzbuch in Art. 115 allein die Suizidbeihilfe "aus selbstsüchtigen Gründen" verbietet, um die uneigennützige Suizidassistenz in engen privaten Beziehungen straffrei zu stellen, nutzen Sterbehilfe-Vereine eine rechtliche Grauzone im Betäubungsmittelgesetz mittlerweile gezielt dazu, um die Suizidbeihilfe als 'Dienstleistung' für immer größere Zielgruppen anzubieten; vgl. Höffe (Anm. 7) 424-427. 21 Vgl. Harvey Max Chochinov, Dignity-Conserving Care - A New Model for Palliative Care. Helping the Patient Feel Valued, in: JAMA 287 (2002) 2253-2260. 22 Dtsch Ärztebl 108 (2011) A346. 23 Bundesärztekammer, Musterberufsordnung § 16. Ganz ähnlich hatte die Ethic Task Force der European Association for Palliative Care (EAPC) unmissverständlich festgestellt, dass die Durchführung von aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid nicht im Versorgungsangebot der Palliativmedizin vorgesehen ist; vgl. Lars Johan Materstvedt u.a., Euthanasia and pysician-assisted suicide: a view from an EAPS Ethics Task Force, in: Palliat Med 17 (2003) 97-101. 24 Vgl. Gian Domenico Borasio / Ralf J. Jox / Jochen Taupitz / Urban Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben - Fürsorge zum Leben. Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids. Stuttgart 2014. - Angesichts gegenläufiger früherer Äußerungen Gian Domenico Borasios (vgl. Anm. 17) muss seine Mitwirkung an diesem Vorschlag um so mehr überraschen, als er sich damit in klare Opposition zur Auffassung der Deutschen und Europäischen Gesellschaft für Palliativmedizin setzt. 25 Vgl. Adrian Holderegger, Suizid, Schuld und Schuldgefühle, neue Aspekte einer alten Problematik, in: ZME 48 (2002) 28-42. 26 Die Frage, ob es für diejenigen, die sich trotz ausreichender palliativmedizinischer Angebote frei für einen sogenannten Bilanzsuizid entscheiden, da sie - aus welchen Gründen auch immer - der Überzeugung sind, dass der noch vor ihnen liegende Lebensabschnitt für sie persönlich nicht mehr lebenswert erscheint, eine ärztliche Suizidbegleitung geben sollte, ist angesichts der gegenwärtig existierenden Versorgungsprobleme schwerstkranker Patienten weitgehend hypothetischer Natur und damit für die praktische Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen letztlich bedeutungslos.

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