Neuer Mann, was nun?

Vor zehn Jahren wurde erstmals der "Welttag des Mannes" ausgerufen. Er machte ursprünglich auf die häufigeren Berufskrankheiten und die kürzere Lebenserwartung des angeblich "starken Geschlechts" aufmerksam und forderte mehr männermedizinisches Engagement. Inzwischen wurden auch in anderen Bereichen Benachteiligungen von Männern benannt: etwa die geringere Förderung von Jungen in der Schule, die Wehrpflicht (nur) für Männer, die Schlechterstellung von Scheidungsvätern beim Sorge- und Umgangsrecht oder die Diskriminierung als Problemfall - dies alles mit dem Vorwurf, die Gleichstellungspolitik, die Geschlechterforschung und der öffentliche Diskurs vernachlässigten männliche Notlagen und Rollenkonflikte.

Darum wurde damals auch der Wunsch geäußert, die Forderungen und Ideen der noch relativ schwachen Männerrechts-, Väter-, "Neue Mann-" und ähnlichen Bewegungen mögen sich zu einer kraftvollen Männerbewegung bündeln, die den etablierten Feminismus ergänzt und dessen Deutungshoheit über die Rolle des Mannes beendet. Dabei bezweifeln die wenigsten, daß der Kampf gegen die Benachteiligung von Frauen auf vielen Gebieten fortgeführt werden muß.

Wie geht es weiter mit den Männern? Die sozialwissenschaftliche Männerforschung - zumal die Studien "Sinus Sociovision: Rollen im Wandel - Strukturen im Aufbau" (2007) und "Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland" (2009) - könnte helfen, ihre Situation differenziert und ohne Frontenbildung zu sehen.

Demnach vertritt die Mehrheit der Männer weder ein rigide traditionelles noch ein radikal modernes Rollenverständnis von Mann und Frau, vielmehr ist angesichts gewandelter Bedingungen gut die Hälfte auf der Suche: Entweder verbinden sie herkömmliche und moderne Vorstellungen. Oder sie lehnen die traditionellen Rollen ab, fühlen sich aber noch unsicher. Die Zahl der eher Traditionellen blieb zwar in den letzten Jahren stabil, doch bewerten diese die Berufstätigkeit von Frauen und deren Auswirkung auf die Kinder günstiger als früher. Von der Gesamtbevölkerung möchten nur (oder immerhin?) 16 Prozent am liebsten eine Familie, in welcher der Mann das Geld verdient und die Frau sich ohne Erwerbsarbeit um Haushalt und Kinder kümmert. Doch wünschen sich 34 Prozent, daß sich die Frau "etwas dazuverdient" und 35 Prozent, daß Mann und Frau etwa gleich viel arbeiten und sich etwa gleich viel um Haushalt und Kinder kümmern. Eine starke Mehrheit akzeptiert also, in unterschiedlichem Ausmaß, die Berufstätigkeit der Frauen - sei es aus Gründen der Gleichberechtigung oder weil ein Einkommen nicht ausreicht.

Allerdings hat in erster Linie immer noch der Mann für das Einkommen und die Frau für die Kinder zu sorgen: Den reinen Hausmann, der sich um Haushalt und Kinder kümmert und kein Geld verdient, wünscht sich nur ein Prozent der Bevölkerung. Zur Betreuung eines Kleinkindes in Elternzeit zu gehen, empfindet zwar nur ein Viertel der Männer als "Zumutung", doch betrachten dies (sowie Arbeit in Teilzeit) viele als karriereschädigend und meinen auch, Pflege daheim sei nicht ihre Aufgabe; dafür gebe es Kindergärten und Pflegeheime. Doch was sagen die Frauen dazu?

Der neue Mann findet seinen Sinn und seine Identität aber nicht nur in der Erwerbsarbeit, sondern auch in Partnerschaft und Familie: 70 Prozent der Männer betrachten als ihre "ideale Lebensform" eine dauerhafte Beziehung mit Kindern; nur fünf Prozent wollen bloß "kurze Partnerbeziehungen". Das gewachsene Selbstbewußtsein von Frauen scheint allmählich zum artgerechten Umgang miteinander zu gehören, erklärt doch fast die Hälfte der Männer, sie suchten bei Beziehungsschwierigkeiten gemeinsam mit der Partnerin eine Lösung. Ebenso viele sagen, Männer ließen eher andere Meinungen gelten und äußerten mehr Gefühle als noch vor Jahren. Gleich viele meinen aber auch, Männern falle der Zugang zu ihren Gefühlen schwer. 43 Prozent gestehen, sie hätten Schwierigkeiten, mit ihrer Partnerin über Sexualität zu sprechen. Ist intensive emotionale Kommunikation ein Ideal von Frauen, die allein zu bestimmen haben, wie sich Liebe ausdrückt? Und stimmt die Behauptung, das Gefühlsleben der Männer sei durch ihre Außenorientierung verkümmert? Was an den bleibenden Unterschieden in den Interessen und Verhaltensmustern ist genetisch verankert und was lediglich sozialisationsbedingt und veränderungsbedürftig? Sollen Männer weiblicher werden? Und warum halten es heute mehr Männer als früher (60 Prozent) für ein wichtiges Thema, "daß sich die Männer nicht durch Frauen unterdrücken lassen"?

Die anstehenden Fragen sind nicht durch einen Geschlechterkrieg, sondern idealerweise durch Verhandlungen und Koevolution zu lösen: in der öffentlichen Geschlechterdebatte, in der Bildungsarbeit und privat. Die Kirchen können dazu einen ansehnlichen Beitrag leisten, unterhalten sie doch mit ihren Einrichtungen, Verbänden und Bewegungen ein breites Angebot an Männerberatung, Männerbildung und Männerarbeit, wie sonst keine Institution - und dies in freundlicher Nachbarschaft zur Frauenarbeit.

Zwar wünschen 31 Prozent der Männer, daß sich die Kirche für den Erhalt des traditionellen Verhältnisses zwischen Männern und Frauen einsetzt. Aber erstaunlicherweise erwarten praktisch ebenso viele von ihr "einen Beitrag zur Neugestaltung der Männerrolle". Die Kirchen dürfen sich nicht fundamentalistisch auf den zeitbedingten, patriarchalen Denkrahmen biblischer Texte festlegen und davon unveränderliche Wesenseigenschaften von Mann und Frau ableiten. Vielmehr sollten sie die weitere situationsgerechte Ausgestaltung der Geschlechterrollen offen begleiten und sie mit der Vision inspirieren, daß die Geschlechter für den christlichen Glauben gleichwertig in (selbstbestimmter) Differenz sind und darum die gleichen Rechte auf Zugang zu Lebenschancen haben. Denn Gott schuf sein Ebenbild als Mann und als Frau (vgl. Gen 1,27).

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