Redaktion Kleinstkinder:
Frau Lepold, Sie haben vor einiger Zeit eine Diskussion mit mehreren Expert(innen) zum Thema „Kinder verdienen Qualität“ geführt. Was hat Sie zu diesem Thema bewegt?
Marion Lepold: Wir beobachten die Situation in den Kitas schon seit einiger Zeit, hatten und haben das Gefühl, dass sich die Lage immer mehr zuspitzt. Politische Entscheidungen, die auf Bundes- und Landesebene getroffen wurden, erwecken bei uns nicht den Eindruck, dass die pädagogische Arbeit in den Kitas und die Bedarfe der Kinder im Fokus stehen. Vielmehr nehmen der Mangel an Kita-Plätzen und die Entlastung der Familien durch die Betreuung in der öffentlichen Diskussion den größten Raum ein. Daraufhin haben wir überlegt, welchen Beitrag wir in dieser Situation leisten können, denn, wie unser Name schon ausdrückt, wollen wir für die Qualität in Kitas einen Beitrag leisten. Also haben wir unser Netzwerk an Expert(innen) aktiviert, um mit ihnen fachlich fundiert auf die derzeitige Situation aufmerksam zu machen und die Fachkräfte so in der öffentlichen Diskussion zu unterstützen.
Sie haben das Gefühl, dass der Beruf der pädagogischen Fachkräfte zunehmend abgewertet wird. Woran lässt sich das Ihrer Meinung nach festmachen?
Marion Lepold: Wie eben schon erwähnt, liegt unseres Erachtens der Fokus in der öffentlichen Diskussion auf fehlenden Betreuungsplätzen statt den Rahmenbedingungen und der Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte. Dies hat Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung des Berufsfeldes Kita und damit auch des Berufs der pädagogischen Fachkräfte. Das lässt sich auch daran erkennen, dass ohne großes Aufsehen in der Gesamtbevölkerung zum einen in manchen Bundesländern nicht ausgebildete Personen in der Kita eingesetzt werden können, um die Betreuung aufrechtzuerhalten. Dass die Qualität der pädagogischen Arbeit und die dazu notwendige Qualifizierung nicht gesehen wird, kann man zum anderen auch daran ableiten, dass Quereinsteigerprogramme ins Leben gerufen wurden, die eine sehr verkürzte Qualifizierung bei gleichem Verdienst ermöglichen.
Die Proteste gegen unterbesetzte Kitas häufen sich. Die Gewerkschaft verdi spricht von 173.000 fehlenden pädagogischen Fachkräften und fordert dringend eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Wie könnten diese Ihrer Meinung nach aussehen?
Theresa Lill: Das A und O ist eine vernünftige Fachkraft-Kind-Relation. Sie reduziert die Belastung der pädagogischen Fachkräfte – und auch der Kinder – und stärkt damit deren psychische und physische Gesundheit. Außerdem wird dadurch die Qualität der pädagogischen Arbeit gesteigert. Dies führt wiederum zu einer Steigerung der Attraktivität des Berufsfeldes. Natürlich gehören zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch eine faire Bezahlung, ausreichende Verfügungszeiten zur Vor- und Nachbereitung, eine Leitungsfreistellung sowie gute Räumlichkeiten und Ausstattung. Hier muss man aber auch sagen, dass dies bei einigen Trägern durchaus schon gegeben ist.
Was macht der Fachkräftemangel mit den Fachkräften selbst?
Theresa Lill: Nicht erst seit Beginn der Pandemie, wenn auch dadurch verstärkt, laufen die engagierten pädagogischen Fachkräfte an der absoluten Belastungsgrenze. Vermutlich hat es bisher keinen Kita-Kollaps gegeben, da dort viele Menschen mit einem überdurchschnittlichen Verantwortungsgefühl arbeiten, die sich den Kindern und Familien gegenüber verpflichtet fühlen und daher eine hohe Schmerz- und Frustrationstoleranz gezeigt haben. Doch dies kann zu psychischen und körperlichen Beschwerden sowie langfristigen Erkrankungen führen, was wiederum die Situation in den Kitas verschärft und zu einer Abwärtsspirale führt. Die Pandemie und die jüngsten politischen Entscheidungen haben hier wie ein Brennglas gewirkt und den Abwärtsprozess beschleunigt.
Expert(innen) sind sich einig: Fachkräfte verdienen mehr Anerkennung. Wie sollte diese idealerweise aussehen?
Marion Lepold: In der öffentlichen Diskussion müssen die Bedingungen der pädagogischen Fachkräfte in den Mittelpunkt rücken. Der Fokus darf nicht weiter ausschließlich auf dem Mangel an Kita-Plätzen und der fehlenden Entlastung der Familien bzw. der Wirtschaft durch die Betreuung liegen. Der Blickwinkel muss darauf gerichtet werden, welche Auswirkungen die Situation auf die Bildungschancen der Kinder hat. Die in den vergangenen Jahren gegründeten Fachkräfteverbände in den Bundesländern leisten hier einen wichtigen Beitrag, um in der öffentlichen und politischen Diskussion zu zeigen, welch wichtige und wertvolle Arbeit von den pädagogischen Fachkräften geleistet wird.
Theresa Lill: Und selbstverständlich gehören zur Anerkennung der Fachkräfte auch geänderte Arbeitsbedingungen, wie bspw. die Fachkraft-Kind-Relation, die Rahmenbedingungen wie Verfügungszeiten und Supervision oder die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Die Fragen stellte Iris Erbach.