Fachkräftemangel in KitasDauernd fehlt eine!

Erziehermangel und hohe Fluktuation treffen viele Kitas. Dies ist für alle Beteiligten eine Herausforderung

Dauernd fehlt eine
Bezugspersonen sind wichtig für Kinder, der Fachkräftemangel macht es schwer, dem gerecht zu werden © iStock

Am Ende hat Anjali D’Souza ihren 14 Monate alten Sohn Philipp einfach dem Hausmeister der Kita in den Arm gedrückt. „Hier ist meine Telefonnummer, bitte rufen Sie mich an, wenn etwas ist“, sagte sie und eilte zu ihrem Termin. Die Potsdamer Kita war seit Wochen unterbesetzt, die Gruppenerzieherin krank, neue Kinder wurden eingewöhnt. Die Mutter von drei Kindern hatte ein schlechtes Gewissen, ihren Jungen so zurückzulassen. Aber es war der erste wichtige Arbeitstermin nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit. Eine Zwickmühle, wie D’Souza erklärt: „Einerseits möchte ich meinen Sohn gut aufgehoben wissen, andererseits habe ich auch Verpflichtungen meinem Arbeitgeber gegenüber“.

Die personell angespannte Situation in dieser Einrichtung ist kein Einzelfall. Viele Eltern klagen darüber, dass Erzieher ausfallen oder häufig wechseln und sich ihr Kind permanent an neue Bezugspersonen gewöhnen muss. Oder dass sich eine Erzieherin plötzlich um doppelt so viele Kinder kümmert als eigentlich vorgesehen. Kann das gut gehen? Darf das sein?

Grundsätzlich gilt: Um die gesetzliche Aufsichtspflicht zu erfüllen, muss in jeder Kita je nach Bundesland ein bestimmter Mindestpersonalschlüssel eingehalten werden - ein bundesweites Gesetz mit einheitlichen Standards gibt es (noch) nicht. Wird dieser Personalschlüssel unterschritten, ist die Kita verpflichtet, ihren Träger zu informieren, etwa durch eine Überlastungsanzeige. Der sollte dann entsprechend reagieren können.

Schnelle Hilfe bei Überlastung

Doch wie kann dieser gut gemeinte Anspruch näher in die Realität rücken? Verschiedene Lösungen sind hier denkbar, sagt Ulrike Wehinger, Fachberaterin vom Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg. Der Träger kann beispielsweise die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten aufstocken. In manchen Kommunen gibt es eine Art Vertretungspool mit Springerkräften. Einige Bundesländer haben eingeführt, dass auch nicht ausgebildete Fachkräfte oder Eltern als Betreuer hinzugezogen werden können. Wehinger rät allen Kindertagesstätten, in enger Abstimmung mit ihren Trägern eine Art Notfallplan zu entwickeln: Wer übernimmt die Betreuung, wenn plötzlich Facherzieher ausfallen? Kann man Eltern eine verkürzte Schließzeit zumuten? „Selbstverständlich ist es auch wichtig, diese Ersatzregelungen den Eltern mitzuteilen“, betont die Fachberaterin.

Im Extremfall, wenn sich partout kein Ersatz finden lässt, kann es vorkommen, dass eine Kita wegen Personalmangel schließen muss. Aber auch im Alltag jonglieren die Einrichtungen oft am Rande der Überlastung. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Erni Schaaf-Peitz. Die Kita-Leiterin aus Rheinland-Pfalz macht ihrem Frust Luft: Sie erzählt, dass Personalmangel in ihrer Einrichtung ein Dauerzustand ist. Seit vielen Jahren kann sie ein bis zwei Stellen im Haus, in dem 107 Kinder betreut werden, nicht besetzen. Das wirkt sich besonders negativ aus, wenn weitere Kollegen ausfallen – so wie heute. Zwei hat sie mit Grippe nach Hause geschickt. Eine Kollegin ist langzeiterkrankt. Zwei weitere sind auf einer wichtigen Fortbildung. „Ich muss jetzt entscheiden, ob ich die Beratungsgespräche mit den Eltern absage oder den Ausflug, auf den sich die Kinder schon lange freuen.“ Mit der personell angespannten Situation sei es zunehmend schwierig, Bildungsangebote wie gezielte Sprachförderung aufrechtzuerhalten. Dass Eltern sich darüber beschweren, kann die Kita-Leiterin nachvollziehen. „Wir sprechen offen darüber, wie die Situation aussieht und dass wir alles daransetzen, um den Alltag gut zu gestalten.“

Fachkräftemangel spitzt sich zu

Seit dem bundesweiten Kita-Ausbau hat sich der ohnehin bestehende Fachkräftemangel noch einmal verschärft. Die Bertelsmann Stiftung spricht von bundesweit 120.000 ErzieherInnen, die fehlen. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt dagegen in einem aktuellen Bericht, dass ein flächendeckender Fachkräfteengpass momentan nicht erkennbar sei. Allerdings weist sie auch darauf hin, dass es große regionale Unterschiede gibt. Insbesondere in Süddeutschland werden Fachkräfte händeringend gesucht.

Die Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung ist die eine Seite. Doch die teilweise sehr schlechten Rahmenbedingungen treffen vor allem auch die pädagogischen Fach- und Leitungskräfte selbst. Studien zeigen, dass ihr Gesundheitszustand belastet ist. Auch dies ist ein Grund für die hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern. Ein Teufelskreis. Hinzu kommt die unzureichende finanzielle Anerkennung. Nicht wenige ErzieherInnen bilden sich weiter, studieren und kommen nicht mehr in die Kita zurück, weil sie eine besser bezahlte Tätigkeit gefunden haben. Personallücken entstehen ohnehin schnell in einem Beruf, den zu rund 95 Prozent Frauen ausüben, die ihre Berufstätigkeit unterbrechen, weil sie Kinder zur Welt bringen oder Angehörige pflegen.

Bei Familie D’Souza in Potsdam hat sich die Lage inzwischen wieder entspannt, die Gruppenerzieherin ist nach langer Krankheit zurückgekehrt. Der Kita macht die Mutter keinen Vorwurf: „Ich hätte mir nur gewünscht, dass das Team mehr Unterstützung von höherer Ebene bekommt.“

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