„Ich habe schon öfters mitbekommen, wie eine Mutter ihren Sohn übel beschimpft hat. Wie soll oder muss ich darauf reagieren?“

Elementarpädagogisches Arbeiten hat das Wohl und die gute Entwicklung des Kindes zum Ziel, das in enger Zusammenarbeit mit den Eltern verfolgt werden soll. Geprägt ist diese Arbeit immer von Beziehung. In der pädagogischen Triade ist dies die Beziehung Eltern - Kind, Kind - pädagogische Fachkraft, Fachkraft - Eltern.

Wenn also Ihre Mitarbeiterin oder auch Sie selbst Zeugin der oben beschriebenen Situation werden, konnten Sie in der Regel zuvor schon vielfältige Eindrücke vom Kind und seiner Familie sammeln und zusammentragen: bei der Anmeldung des Kindes, in Erstgesprächen mit den Eltern vor dessen Eintritt in Krippe und Kindergarten, in Tür- und Angelgesprächen und in Telefonaten. Die Familien gewähren Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen Einblicke in eine Situation, die sehr persönlich und für Mütter und Väter nicht immer leicht zu bewältigen ist. Sie lassen Sie als zunächst völlig fremde Personen in ihr Leben. Sie öffnen sich und teilen vertrauliche Informationen mit. Sie lassen sich auf Ihre Institution ein, weil sie Ihnen ihre Kinder anvertrauen wollen. Sie sehen in Ihnen die einfühlsame und kompetente Fachkraft, die sie sich für ihr Kind wünschen. Diese Anteilnahme an der Familiensituation, den Lebensumständen und den persönlichen Empfindungen ist so sensibel, dass die Fachkräfte und Sie als Leitung jeder Familie - unabhängig von ihrem sozio-kulturellen Hintergrund und/oder ihrer wirtschaftlichen Lebenslage - mit Wertschätzung und Respekt begegnen sollten. Wenn Ihr Team und Sie die Eltern bewusst als Experten für ihre Kinder wahrnehmen, schaffen Sie damit ein tragfähiges Fundament für die ganze weitere Zusammenarbeit mit den Eltern. Mit diesem Wissen und auf der Basis eines respektvollen Miteinanders kann Ihre Mitarbeiterin der beschriebenen Situation begegnen. Sie können Sie dabei unterstützen, indem Sie ihr Hilfe in Form der drei folgenden Schritte anbieten:

Schritt 1: Bewusstmachung: Was löst diese Mutter-Kind-Situation in mir aus? Befremden, Sorge, Unverständnis, Erschrecken, Empörung, Ärger, Wut …? Wenn sie sich die Zeit nimmt, sich ihre Gefühle in dieser Situation bewusst zu machen, kann sie eine vorschnelle, impulsive Reaktion vermeiden.

Schritt 2: Blickwinkel erweitern: Was könnten mögliche Gründe für den harschen Umgang der Mutter mit dem Sohn sein? Passt das Verhalten der Mutter zu den Eindrücken und Informationen, die sie bisher über die Familie gesammelt hat? In der Kita sieht die Mitarbeiterin immer nur einen kleinen Ausschnitt aus der Lebenswelt der Kinder und ihrer Familien. Sie weiß nicht, ob die Mutter, die ihren Sohn öfter anschreit, möglicherweise gerade selbst sehr belastet ist: eine Krise in der Partnerschaft, eine ernsthafte Erkrankung innerhalb des Familien- oder Freundeskreises, zu pflegende Angehörige, finanzielle Nöte … Eine voreilige Bewertung der Situation könnte also einer sachlichen und ehrlich interessierten Nachfrage im Wege stehen. Stattdessen sollte sie sich auch hier wieder Zeit nehmen, diesmal, um Hypothesen zu bilden. Wenn sie sich einen „Rundumblick“ auf potenzielle Auslöser dieser Mutter- Sohn-Situation erlaubt, wird sie feststellen, dass Empörung und Ärger nach und nach abebben. Auf diese Weise kann sie vermeiden, die Mutter vorab schon zu „verurteilen“, was wiederum das klärende Gespräch erleichtert.

Schritt 3: Handeln: Wie spreche ich die Mutter an? Nach den Überlegungen aus Schritt 1 und 2 ist schon deutlich geklärter, wie die Mitarbeiterin mit der Situation umgehen kann. Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch, wie sie die Mutter anspricht. Sie sollte sich Zeit nehmen und eine gute Atmosphäre schaffen, die ein Gespräch außerhalb der Hörweite anderer Eltern zulässt. Sie sollte konkret nachfragen und ruhig, aber offen ansprechen, was sie beobachtet hat. Sie kann ihre Wahrnehmung der Situation mitteilen und auf diese Weise deutlich signalisieren, dass das Verhalten der Mutter nicht unbemerkt geblieben ist. Mit Formulierungen wie „Frau M., ich habe Sie gestern mit Tim gesehen. Sie wirkten so angespannt mit ihm. Was war los? Ging es Ihnen nicht gut?“ oder „Sie hatten gestern Morgen so einen scharfen Tonfall mit Tim. Hatte das einen tieferen Grund?“ bietet sie ihr aber gleichzeitig die Möglichkeit, eben dieses Verhalten selbst in den Blick zu nehmen. So kann sich Frau M. damit auseinandersetzen, ohne dass die Mitarbeiterin sie persönlich angreift oder verurteilt. Ihre zugewandte Art erlaubt es der Mutter, sich ihr mitzuteilen und sich im Idealfall in einem vergleichbaren Augenblick dann selbst zu korrigieren. Die Mitarbeiterin sollte ihr Unterstützung anbieten, indem sie nachfragt, was ihr helfen könnte, ähnliche Situationen zukünftig anders zu gestalten. Und sie sollte den Blick der Mutter auf Tim lenken. Sie kann sie teilhaben lassen an seinem Kita-Alltag, indem sie ihr von positiven Erlebnissen und seinen Stärken berichtet. So bleibt das Wohlergehen des Kindes im Vordergrund. Die innere Haltung der Mutter zum Sohn verknüpft sich mit dessen vorteilhafter Entwicklung und bewirkt, dass sie gestärkt aus dem Gespräch gehen kann. Ein Gewinn für alle Beteiligten und eine Festigung der gesamten pädagogischen Beziehung!

Wichtig: Der erweiterte Blickwinkel bedeutet nicht, dass Ihre Mitarbeiterin den Umgangston der Mutter gutheißen oder sogar akzeptieren soll. Er verweist lediglich darauf, dass die beobachtete Szene nicht charakteristisch für den gesamten Umgang der Mutter mit dem Sohn ist. Und er ermöglicht es, der Mutter trotzdem mit der nötigen Wertschätzung zu begegnen, wenn sie sie anspricht. Ihre Mitarbeiterin wägt auf sachlich- fachliche Weise ab, wie sie die Situation für das Kind positiv beeinflussen könnte.

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