Ein Kommentar von Monika Schaarschmidt„Selbstbildungsprozesse sind nachhaltiger als eine isolierte Schulvorbereitung“

Wie Kinder in der Kita auf die Schule vorbereitet werden sollten, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Die Autorin plädiert dafür, alltagsintegrierte, selbstbestimmte Lernprozesse zu ermöglichen, anstatt Vorschulgruppen einzurichten.

Dass Kinder sich in der Kita auf die nächste Station ihres Lernweges vorbereiten, ist selbstverständlich. Ebenfalls unumstritten ist, dass Erzieherinnen, Lehrerinnen und Eltern durch eine enge Zusammenarbeit für eine tragfähige Brücke zwischen den Institutionen sorgen müssen und dass das gemeinsame Aktionen, Besuche, Elternabende usw. einschließt. Aber: Kinder müssen nicht auf das Lernen in der Schule vorbereitet werden. Kinder sind aktiv Lernende, sie bereiten sich während der gesamten Krippen- und Kitazeit auf die Schule vor, und zwar täglich und in allen Erfahrungsbereichen und Räumen der Einrichtung. Eine Schulvorbereitung beginnt nicht erst im letzten oder vorletzten Jahr vor der Einschulung mit der Etablierung von Vorschulgruppen (Forschergruppe, Schlaumäuse, Weltentdecker usw.). In solchen Kleingruppen treffen sich Kinder aus unterschiedlichen Kitagruppen zu festen Zeiten, um an Angeboten teilzunehmen, die meistens Erwachsene erdacht und vorbereitet haben, und um gezielt bestimmte Fertigkeiten zu „trainieren“. Das führt größtenteils zu Lernprozessen, die weder in den Kita-Alltag integriert sind, noch der Lebenswirklichkeit der Kinder entsprechen. Erwachsene wecken dadurch das Interesse der Kinder an einem Thema, gewähren ihnen anschließend aber nur eine begrenzte Zeit, um sich damit intensiv und auf ihre individuelle Weise, zum Beispiel in unterschiedlichen Erfahrungsräumen, auseinanderzusetzen. Neugierde und Forscherlust lassen sich jedoch nicht auf das nächste Treffen der Gruppe in einer Woche verschieben! Auch die beliebten Ausflüge und Besichtigungen im letzten Jahr vor der Einschulung machen nur dann Sinn, wenn die Kinder die Möglichkeit haben, sich vorher und nachher, wenn gewünscht täglich und über einen längeren Zeitraum mit dem angestoßenen Thema zu beschäftigen. Sind die üblichen Vorschulgruppen noch immer der Versuch, auf das Wunschdenken vieler Schulpädagogen zu reagieren, die so gerne in der Eingangsphase gleiche Lernausgangslagen hätten? Die wird und darf es nicht geben, wenn eine individuelle Entwicklungsbegleitung in beiden Institutionen das Ziel bleiben soll. Optimale Voraussetzungen für den gesamten weiteren Lernweg schaffen wir einerseits, wenn wir eine anregende Umgebung bereitstellen, die täglich zum Spielen und Lernen, zum Entdecken und Erforschen motiviert. Andererseits ist dafür auch eine Haltung Voraussetzung, die geprägt ist von Offenheit und Achtsamkeit für das einzelne Kind und die Situationen. Wo den Interessen und Impulsen der Kinder Beachtung geschenkt wird, entwickeln sich Selbstbildungsprozesse, die um ein Vielfaches nachhaltiger sind als eine isolierte Schulvorbereitung. Wir als pädagogische Fachkräfte haben das große Glück, die Kinder bei diesen Prozessen begleiten zu dürfen. Es ist auch unsere Aufgabe, sie ihrem Alter entsprechend zu unterstützen. Manchmal sind wir dabei sogar in der Rolle der „Expertin“ oder der „Meisterin“, wie es in der Reggio- Pädagogik heißt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Kinder die Lust am geschriebenen Wort entdecken und unsere Hilfe bei den ersten Schreibversuchen einfordern. Aber das passiert nicht planmäßig und zu festgelegten Zeiten, sondern dann, wenn eine schreibanregende Umgebung ihre Wirkung zeigt - und das geschieht verstärkt bei Kindern in den beiden letzten Kitajahren. Wenn Kinder einem neuen, interessanten Thema begegnen, erspielen und erforschen sie es, sie recherchieren und dokumentieren ihrem Alter entsprechend. Das tun sie manchmal selbstständig und manchmal mit der Bitte um die erforderliche Unterstützung. Es geschieht Schritt für Schritt, niemand kennt vorher die Lernwege und sogar die Ziele sind veränderbar. Die Nachhaltigkeit solcher Bildungsprozesse wird erst viel später deutlich. Gute Erfahrungen gibt es mit einem ganz anderen Modell von Vorschulgruppen, das nicht mit den oben genannten Kleingruppen zur Schulvorbereitung vergleichbar ist und einer alltagsintegrierten Förderung und Vorbereitung entspricht, in der Selbstbildungsprozesse ermöglicht werden. In Einrichtungen, die die „offene Arbeit mit Stammgruppen“ praktizieren, wechseln alle Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung in die sogenannte Vorschulgruppe. In dieser besonderen Stammgruppe nutzen die Kinder alle Erfahrungsbereiche der Kita, sind also immer auch in altersgemischten Gruppen aktiv. So lassen sich institutionsübergreifende Aktionen wie gemeinsame Projekttage von Vorschul- und Schulkindern leichter organisieren. Außerdem entwickeln sich bei den täglichen Treffen im Morgenkreis durch den gemeinsamen Blick auf die bald beginnende Schulzeit und durch die geteilte Vorfreude verschiedene Rituale, die so nur in der altershomogenen Gruppe möglich sind. Das können der Erfahrungsaustausch, das schriftliche Dokumentieren von Erlebnissen, Planungen oder auch philosophische Gespräche sein. Es gibt für die Kinder immer einen Anlass und eine Chance zur Entwicklung ihrer Selbstkompetenzen, ohne dass sie aus dem Gruppengeschehen geholt werden - und sie nutzen das auf ihre Weise. Ich wünsche mir, dass wir anstelle von Schulvorbereitung von der Vorbereitung auf ein weitgehend selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben im Einklang mit sich selbst, den Mitmenschen und der Natur sprechen und kindliche Lernprozesse in diesem Sinne betrachten und unterstützen.

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