Geschichte der Religionen im MittelalterEin großes Landschaftspanorama

Die an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Historikerin Dorothea Weltecke hat mit ihrer jüngsten Monografie ein beeindruckendes und vielschichtiges Werk zur gemeinsamen und sich zugleich ausdifferenzierenden Geschichte von Judentum, Christentum und Islam vorgelegt. Darin geht sie der These nach, dass die Religionen in ihrer heutigen Ausgestaltung keineswegs Produkt der (Spät-)Antike, sondern vielmehr des Mittelalters seien.

Weltecke argumentiert dahingehend, dass die Kultgemeinden zunächst noch von Offenheit und Durchlässigkeit geprägt waren. Erst durch soziale Praktiken und die Definition sozialer und rechtlich ungleicher Gruppen seien geschlossene Formationen entstanden. „Der Exklusivitätsanspruch der drei Glaubenstraditionen war ein Produkt ihrer gemeinsamen Geschichte und nicht der Offenbarungstexte“, resümiert die Professorin für Europäische Geschichte des Mittelalters und zeichnet nach, inwiefern die gemeinsame Geschichte der drei monotheistischen Religionen stets von gegenläufigen Dynamiken (Austausch und Abgrenzung) und einer ihr innewohnenden Polyzentrik geprägt wurde.

Für ihre Ausführungen nimmt sie Orient und Okzident zwischen dem 7. und 15. Jahrhundert gleichermaßen in den Blick, geht auf Pilgerberichte, Glaubensansprüche und Erbauungsschriften ein, skizziert anhand verschiedener Ausführungen der Ringparabel unterschiedliche Ebenen von Glaubensdiskursen und geht den Verflechtungen von Macht, Gewalt, sozialer Hegemonie und Glaubenstraditionen nach. Glaube wurde demnach in einem durch ungleiche Machtverhältnisse strukturierten Umfeld gelebt, die Formulierung von Glaubenslehren richtete sich auch nach dem rechtlichen Status der Glaubensvertreter in der jeweiligen Region und Wahrheit im Glauben war eine Funktion politischer Herrschaft.

Auch wenn die finale Ausdifferenzierung der Religionen im Buch noch etwas vertiefter hätte dargestellt werden können – wie sich etwa Lehrautoritäten schlussendlich doch haben durchsetzen können – , so ist das von Weltecke vorgestellte große Panorama doch ungemein lesenswert.

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