Auf eigene Weise

Der bemerkenswerte Umbau des Dikasteriums für die Glaubenslehre reicht noch nicht aus.

Victor Manuel Fernandez
© Arzobispado de La Plata

Man reibt sich die Augen. Papst Franziskus weiß auch noch im elften Jahr seines Pontifikats zu überraschen. Von Anfang an wollte er der katholischen Kirche mit seinen Lehrschreiben einen neuen Stil ans Herz legen. Seit dem Beginn seiner Amtszeit lag ihm daran, der Verkündigung des Evangeliums im 21. Jahrhundert einen neuen Drive zu verleihen, anstatt mit der Chiffre Neuevangelisierung abermals alte Vorschriften, Ausdruck einer erstarrten Lehre, einzuschärfen.

Angesichts seines mangelnden Interesses an Strukturen tut er sich jedoch schwer damit, den Neuaufbruch schon in der Kurie zu verankern. Das betrifft nicht zuletzt das Dikasterium für die Glaubenslehre. Erst beließ er Kardinal Gerhard Ludwig Müller als Präfekt der Glaubenskongregation vier Jahre im Amt. Dessen Nachfolger Kardinal Luis Ladaria war zwar milder im Ton und weniger angriffslustig, ließ aber in der Sache keine Zweifel aufkommen, dass hier einer in der Tradition des ehemaligen Präfekten Kardinal Joseph Ratzinger agiert. Das Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare als Auslöser von „Out In Church“ und nicht zuletzt die kritischen Äußerungen zum Synodalen Weg in Deutschland beim letzten Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe belegen dies.

Nun hat Franziskus Anfang Juli bekanntgegeben, wer dem 79-jährigen Ladaria nachfolgen wird. Es ist der argentinische Erzbischof Victor Manuel Fernandez, derzeit Ortsordinarius in der zweitgrößten Diözese des Landes, La Plata. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Personalie. Zum einen gilt der 61-jährige Fernandez als „Ghostwriter“ des Papstes, der für die Enzykliken des Pontifikats maßgeblich verantwortlich ist. Schon bei der für den jetzigen Papst entscheidenden lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Aparecida 2007 stand er an dessen Seite. Es erscheint nur konsequent, ihn nun auch zum Chef jener Behörde zu ernennen.

Franziskus hat, ebenfalls durchaus ungewöhnlicherweise, einen persönlichen Brief an den neuen Amtsinhaber veröffentlicht, in dem er seine Entscheidung erläutert. „Die Glaubenskongregation, der du vorstehen wirst, ist in früheren Zeiten so weit gegangen, unmoralische Methoden zu verwenden. Es waren Zeiten, in denen – anstatt das theologische Wissen zu fördern – vor allem mögliche lehrmäßige Irrtümer verfolgt wurden. Was ich von dir erwarte, ist ohne Zweifel etwas anderes.“ Gerade angesichts der Warnungen einer „Diktatur des Relativismus“ durch den damaligen Präfekten Ratzinger, die entscheidend zur Wahl als Papst beigetragen haben, ist ein weiterer Hinweis bemerkenswert: Der neue Amtsinhaber dürfe nicht einfach „eine einzige Weise“ durchsetzen, „Wahrheit auszudrücken“. Ein harmonisches Wachstum werde, so Franziskus, die christliche Glaubenslehre viel effizienter schützen als jeder Kontrollmechanismus.

Auch Fernandez selbst fällt durch eine ungewöhnliche Offenheit in der Diktion auf. In einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines neuen Wirkungsfeldes hat er seinen Vorgänger gelobt, gleichzeitig aber schon angekündigt, dass er sein Amt „auf seine Weise“ ausüben werde. Denn manches Mal habe man den Eindruck bekommen, dass bereits bekannte theologische Argumentationen weiterhin wiederholt würden, als ob Franziskus „nichts habe verlautbaren lassen“, so der neue Präfekt in einem Interview mit „katholisch.de“. Spektakulär ist nebenbei sein frühes Buch über das Küssen, in dem er menschliche Zärtlichkeit spirituell reflektiert – und darauf verweist, dass sein Praxiswissen aus Gesprächen stamme.

Ist es Zufall, dass wenige Tage nach der Ernennung publik wurde, dass die Entscheidung des Dikasteriums für Kultur und Bildung, dem Brixener Moraltheologen Martin Lintner das Nihil obstat zur Ernennung als Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule zu verweigern, möglicherweise noch einmal revidiert wird (vgl. HK, dieses Heft, 16)? Fernandez musste zu seinem Ärger selbst 17 Monate auf die Bestätigung als Rektor der katholischen Universität in Buenos Aires (2009–2018) warten.

Die Personalie stützt durchaus die Vermutung, dass Franziskus im ersten Jahrzehnt seines Pontifikats unter dem Einfluss seines emeritierten Vorgängers stand. Erst nach dem Tod von Benedikt XVI. hat er nun nicht nur den bereits suspendierten Präfekten des Päpstlichen Hauses, Erzbischof Georg Gänswein, in sein Heimatbistum zurückgeschickt, sondern auch das Dikasterium für die Glaubenslehre mit der Person seiner Wahl besetzt.

Mit großer Spannung darf man erwarten, was die Neubesetzung für die Arbeit der Behörde bedeutet. Gleichzeitig bleibt allerdings klar, dass Entscheidendes noch aussteht. Bisher schon war es keine gute Regelung, dass die auf weltkirchlicher Ebene so eminent wichtige Beschäftigung mit sexualisierter Gewalt gerade im Glaubensdikasterium angesiedelt ist. Fernandez ist in dieser Hinsicht eine denkbar problematische Neubesetzung. Ihm wird vorgeworfen, entsprechende Fälle in Argentinien schlecht gemanagt zu haben. Das hat er zwischenzeitlich auch selbst eingeräumt. Ausdrücklich hat er zu erkennen gegeben, dass er sich schon aufgrund seiner Ausbildung als Theologe der Zuständigkeit für die Verfolgung von Missbrauchstätern und Vertuschern nicht gewachsen fühlt.

Franziskus hat in seinem Begleitschreiben zur Ernennung festgehalten, der neue Präfekt solle sich dem Glauben als wichtigsten Zweck widmen und die disziplinarischen Angelegenheiten den „sehr kompetenten Professionellen“ überlassen. Das darf nur auf keinen Fall dazu führen, dass das zentrale Thema Missbrauchsaufarbeitung nicht bestmöglich und damit auch hochrangig in der Kurie angesiedelt wird. Man sollte hier die Zuständigkeiten noch einmal neu ordnen. Das ändert nichts daran, dass Fernandez, der gleich beim nächsten Konsistorium Kardinal wird (vgl. HK, dieses Heft, 41), eine bemerkenswerte Neubesetzung ist.

orth@herder.de

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