LeitartikelBischöfe im römischen Frühlingswind

Viele haben sich schon an einer Schadensbilanz der „Causa Tebartz-van Elst“ versucht. Unübersehbar hat diese vor allem das Ansehen der anderen Bischöfe und des Bischofsamtes insgesamt beschädigt. Und mit aller Macht kamen sämtliche Fragen aufs Tapet, die sich auch viele Katholiken und Katholikinnen seit Langem schon stellen; gerade auch jene, die in ihrer Kirche engagiert und mit ihr nach wie vor stark identifiziert sind. Umgekehrt zeigt sich ebenso, welche enormen Erwartungen auf dem Bischofsamt lasten beziehungsweise wie groß die Fallhöhe ist angesichts des gewaltigen Selbstanspruchs der Bischöfe.

Drohen Teile der deutschen Ortskirche womöglich einer neuen Variante von „Ultramontanismus“ zu erliegen? Zumindest überrascht es, wie heftig seit März dieses Jahres gerade unter reformorientierten, eher basiskirchlich-demokratisch, in jedem Fall antiklerikal denkenden Katholiken und Katholikinnen offenkundig eine gewisse „Papolatrie“ grassiert. Zu groß ist offenbar der erlebte kirchliche Reformstau und Kirchenfrust und zu beflügelnd umgekehrt der frische Frühlingswind aus Rom. Der diesen Gruppen, wenn nicht gleich der ganzen deutschen Ortskirche oft unterstellte „antirömische Affekt“ scheint da nicht bremsen zu können. Aus der durchaus berechtigten Begeisterung für Papst Franziskus beziehungsweise den hohen Erwartungen und Hoffnungen, die man in ihn setzt, wird zudem kaum eine neue „Romhörigkeit“ erwachsen. Wir befinden uns nicht mehr im 19. Jahrhundert.

Vorzügliches „Opfer“ dieser neuen Papstbegeisterung ist die dem Papst nächsthöchste Führungsebene, also die Bischöfe. Man mag über die tatsächliche Repräsentativität der von säkularen Medien oft zur innerkirchlichen Opposition schlechthin stilisierten „Wir sind Kirche“-Bewegung streiten können. In diesem Punkt scheinen die unermüdlichen Anwälte für Kirchenreform doch auch einer Mehrheit von Katholikinnen und Katholiken hierzulande aus dem Herzen zu sprechen. Etwa, wenn sie in einer Pressemitteilung wenige Tage nach der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz mahnten: Es reiche nicht aus, wenn die Bischöfe erklären ließen, dass sie sich intensiv mit dem Denken von Franziskus befassen würden. „Die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland erwarten jetzt dringlichst, dass der Kurswechsel von Franziskus, der sich immer deutlicher abzeichnet, auch konkret spürbar wird im Lebensstil, im Handeln und bei den Entscheidungen ihrer Bischöfe.“ Offenkundig will man durch den neuen Papst die eigenen Bischöfe mit sanftem Druck unter Zugzwang setzen.

Dabei war Franziskus bei dieser ersten Vollversammlung der deutschen Bischöfe im neuen Pontifikat vielfach zitiert und beschworen im Geist omnipräsent. Gerade der Noch-Vorsitzende der Konferenz, der Freiburger Erzbischof beziehungsweise Apostolische Administrator Robert Zollitsch, betonte eindringlich die wichtigen Impulse, die auch die Kirche in Deutschland diesem Papst schon verdanke (vgl. HK, November 2013, 549 ff.). Und mancher deutsche Bischof hat sich schon längst öffentlich unter seine papstbegeisterten Landsleute gereiht. Er sei „mit dem Papst und vielen, vielen Bischöfen, Priestern und Laien auf einem neuen gemeinsamen Weg. Und das gerne!“, erklärte beispielsweise erst jüngst der Hamburger Erzbischof und Misereor-Bischof, Werner Thissen, in einem Interview (Frankfurter Rundschau, 2.11.2013).

Freilich, der „Kurswechsel von Franziskus“, der den deutschen Bischöfen jetzt zu Lehre und Vorbild gereichen soll, ist gegenwärtig noch ein ziemlich schillerndes Phänomen, eine Mischung aus unübersehbaren Indizien, Hoffnungen, Erwartungen, aber auch mancher Projektion.

Unbestreitbar ist dabei, dass dieser Papst in sehr authentischer Weise seinen Bischöfen ebenso unverwechselbar wie unmissverständlichen einen Amts- und Führungsstil vorlebt. Verkürzt ließe dieser sich wohl am ehesten beschreiben als große Nähe zu konkreten Menschen und deren jeweiligen Lebenskontexten. Geprägt und getragen ist dieser Amts- und Führungsstil von ignatianisch-jesuitischer Spiritualität (die „Unterscheidung der Geister“ zuvörderst) ebenso wie von einem großzügig-weitherzigen theologischen Denken, dem die zeitgenössische westeuropäische Ausprägung von Theologie gelegentlich etwas fremd zu sein scheint.

In dem viel zitierten Interview mit dem Jesuiten-Journalisten Antonio Spadaro fordert der Papst, die Diener der Kirche müssten vor allem „Diener der Barmherzigkeit“ sein, sich der Menschen annehmen und sie begleiten. Oder er mahnt, das Volk wolle Hirten, nicht Funktionäre oder Staatskleriker. „Die Bischöfe speziell müssen Menschen sein, die geduldig die Schritte Gottes mit seinem Volk unterstützen können, so dass niemand zurückbleibt. Sie müssen die Herde auch begleiten können, die weiß, wie man neue Wege geht“. Vermutlich würden dieses Amts- und Führungsverständnis allerdings auch die meisten deutschen Bischöfe für sich beanspruchen.

Aber auch in vielen Äußerungen im direkten Gegenüber mit Bischöfen oder Priestern hat Franziskus schon unmissverständlich durchblicken lassen, das er seinen eigenen Führungs- und Amtsstil auch auf den nächsten Ebenen der kirchlichen Hierarchie gelebt sehen möchte. In seiner Anschaulichkeit unübertroffen ist dabei das Bild vom Hirten, dem der Geruch seiner Schafe anhaften soll; dieses Bild wurde auch dort begeistert aufgenommen, wo man der Hirten-Metapher in der traditionellen Amtstheologie schon wegen ihres leicht paternalistischen Untertons eher skeptisch gegenübersteht. In diesem Bild aber steckt eine gewaltige Herausforderung. Müssen unsere „Hirten“ demnach doch zuallererst den Geruch des modernen Zeitgenossen kennen und erkennen, vor allem den Geruch derer an der gesellschaftlichen und auch der kirchlichen „Peripherie“. Denn dort will Franziskus vor allem seine Bischöfe und Priester dienen sehen.

Die römische Kurie darf nicht Zensurzentrale der Weltkirche sein

Auch zu der schon seit Jahren und Jahrzehnten geforderten und jetzt endlich angegangenen Kurienreform hat Franziskus im Interview mit den Jesuitenzeitschriften seine Vorstellungen vorgelegt und damit direkt-indirekt Erwartungen an die Ortsbischöfe formuliert: Die römischen Dikasterien, Kongregationen, Räte und die anderen Ämter stünden im Dienst des Papstes und der Bischöfe. Sie sollten Einrichtungen sein, um Ortskirchen und Bischofskonferenzen zu helfen. Andernfalls sieht Franziskus ausdrücklich die Gefahr, dass sie stattdessen zur „Zensurstelle“ werden. Befremdet zeigt sich dabei der Papst beispielsweise, wie viele Anzeigen wegen mangelnder Rechtgläubigkeit in Rom eingingen. Solche Fälle „würden besser an Ort und Stelle behandelt“.

Für den Würzburger Pastoraltheologen Ernst Garhammer haben viele Ortsbischöfe zu dem gegenwärtig misslichen Zustand selbst beigetragen. Denn sie riefen eben nicht Dienstleistungen für ihre Ortskirchen ab, sondern machten selbst Rom zur „Zensurzentrale“, um sich dahinter verstecken zu können. Hätten die jetzt so Franziskus-begeisterten Bischöfe nicht auch schon früher in ortskirchlichem Selbstbewusstsein gegen manche zentralistischen Tendenzen der römischen Kurie opponieren können?

Ein durchaus verlockendes Gedankenexperiment vor diesem Hintergrund: Wie wäre wohl die Auseinandersetzung um den Ausstieg der kirchlichen Stellen aus der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland verlaufen, hätte die Glaubenskongregation in diesem Sinn agiert? Warum hat sie nicht den deutschen Bischöfen mit ihrer wohl unstrittig besseren Ortskenntnis in dieser fraglos hochkomplexen und schwierigen Frage den gebotenen Spielraum gewährt? Wären der deutschen Ortskirche dann dieses Grundtrauma, die vielen Verwerfungen und Spaltungen erspart geblieben? Bis heute scheint man sich davon noch nicht erholt zu haben.

So muss beispielsweise bei jedem Katholikentag von Neuem diskutiert werden, welchen Platz der gastgebende Bischof „Donum vitae“ einzuräumen bereit ist, jener nach dem Ausstieg der Bischöfe von katholischen Laien gegründeten Initiative zur Fortsetzung der Schwangerschaftskonfliktberatung im christlichen und auch kirchlich-katholischen Sinne im Dienst am konkreten menschlichen Leben.

Kaum verwunderlich werden jetzt aber auch Stimmen laut, die sich eine Reform nach solchen Maßstäben ebenso für die bischöflichen Kurien wünschen. Denn offenbar scheinen auch dort gelegentlich der Dienst- oder Hilfecharakter und die Bedürfnisse der Gemeinden und Dekanate vor Ort im täglichen Geschäft in Vergessenheit zu geraten.

Anfang November haben auch die deutschen Bischöfe zur Vorbereitung der außerordentlichen Bischofssynode im Oktober nächsten Jahres Post vom Generalsekretär der Synode erhalten: einen Fragenkatalog zu Familienpastoral und Sexualmoral. Rasch entbrannte ein Streit um die rechte Interpretation dieses Vorgehens, vor allem nachdem die Medien auch in Deutschland nonchalant von einer „Umfrage“ des Vatikans unter den Gläubigen weltweit sprachen (vgl. dieses Heft, 598.).

Welche Botschaft dieser Vorgang für die Bischöfe hat, brachte treffend auf den Punkt Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und Mitglied der Kardinalskommission, die den Papst in Sachen Kurienreform beraten soll: Es sei offenbar der ausdrückliche Wunsch Roms, „dass wir schauen, wie unsere Gläubigen denken“. Dabei ist kaum vorstellbar, dass die deutschen Bischöfe nicht sehr genau wissen, wie die Mehrheit der Katholiken und Katholikinnen gerade in diesen Fragen zu Familienpastoral und Sexualmoral denkt. Spannend wird sein, wie sie dieses Wissen bei der Synode einbringen werden können und wollen.

Es waren keinesfalls nur Journalisten und Kommentatoren von außen, die das weitere Schicksal des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst quasi nun umgekehrt zur Bewährungsprobe für Papst Franziskus erklärten. Auch im Bistum selbst richteten Priester und Laien hohe Erwartungen an den Papst, sah man in der Amtsenthebung und „Befreiung“ vom ungeliebten Bischof eine Art Nagelprobe für Franziskus beziehungsweise im unseriösen Finanzgebaren des eigenen Bischofs die Glaubwürdigkeit des Papstes der „armen Kirche für die Armen“ beschädigt.

Entsprechend war dann mancher im Bistum aber auch enttäuscht über die eher salomonische Lösung des Papstes: Bis zur vollständigen Aufklärung seines Verhaltens durch eine Kommission der Deutschen Bischofskonferenz bekam Bischof Tebartz-van Elst eine Auszeit verordnet; die Leitung des Bistums übernimmt so lange der neu ernannte Generalvikar Wolfgang Rösch.

Welche Kriterien hat die Kirche für die Auswahl ihres höchsten Führungspersonals?

Ohne den „Kurswechsel von Papst Franziskus“ hätte das Geschehen am Limburger Domberg vor allem jedoch nicht diese Sprengkraft und enorme, gelegentlich fast bizarre (Medien-)Aufmerksamkeit erhalten. Es ging ja nicht nur um die kostspielige Ästhetik eines Bischofs. Der Kontrast im Amts- und Führungsstil insgesamt ist zwischen Bischof Franz-Peter und Papst Franziskus offenkundig kaum größer denkbar.

Viele haben sich schon an einer Schadensbilanz der „Causa Tebartz-van Elst“ versucht. So sind es beileibe nicht nur eingefleischte Laizisten, die jetzt das ganze System der Kirchenfinanzen auf den Prüfstand stellen wollen. Das pflichtschuldige Offenlegen der Haushalte und Vermögensverhältnisse durch mittlerweile fast alle Diözesen hat nur wenig Druck aus der Diskussion genommen. Auch nahmen die Kirchenaustritte wieder spürbar zu. Die kirchlichen Hilfswerke und der Caritasverband fürchten einen Spendeneinbruch, nach dem Motto: Wenn die Kirche soviel Geld hat, dass ihre Bischöfe so verschwenderisch damit umgehen ….

Unübersehbar hat der Fall Tebartz-van Elst aber auch das Ansehen der anderen Bischöfe und des Bischofsamtes insgesamt beschädigt. „So ungemütlich wie jetzt war es schon lange nicht mehr, in Deutschland Bischof zu sein.“ So resümiert Paul Badde – bis zum Pontifikat von Franziskus einer der besonders Papsttreuen unter den deutschsprachigen Vaticanisti – ein vor Kurzem geführtes Gespräch mit Bischof Tebartz-van Elst (Vatican-magazin 11/2013).

In jedem Fall brachten die Limburger Geschehnisse mit aller Macht sämtliche Fragen aufs Tapet, die sich auch viele Katholiken und Katholikinnen seit Langem schon stellen; gerade auch jene, die in ihrer Kirche engagiert und mit ihr nach wie vor stark identifiziert sind. Umgekehrt zeigt sich ebenso, welche enormen Erwartungen auf dem Bischofsamt lasten beziehungsweise wie groß die Fallhöhe ist angesichts des gewaltigen Selbstanspruchs der Bischöfe.

So stellte sich mit den Limburger Vorgängen einmal mehr die Frage, wie eigentlich die Bischöfe zu ihrem Amt und Bistum kommen. Welche Kompetenzen bringen sie mit oder sollten sie mitbringen? Welche Kriterien hat die Kirche für die Auswahl ihres höchsten Führungspersonals und warum sind diese nicht transparenter? Im Konfliktfall werden dem Bischof Fehler und böse Absicht unterstellt, wo möglicherweise „nur“ persönliches Unvermögen die Ursache ist oder schlichte Überforderung durch die Aufgaben in einem – neudeutsch gesprochen – fast unmöglichen Job.

Und sollten die, die wie auch im Fall des Bistums Limburg, aus einem Vorschlag Roms den Bischof wählen sollen, die Kandidaten nicht vor der Wahl kennen (lernen)? Und müsste nicht auch der Kandidat selbst sein künftiges Bistum kennen?

Schonungslos zeigte sich in Limburg aber auch, wie sehr das ganze Leben und Schicksal eines Bistums abhängig ist vom jeweiligen persönlichen Amtsverständnis und Führungsstil des Bischofs. Auch hier war der Kontrast zwischen Bischof Tebartz-van Elst und seinem Amtsvorgänger, Bischof Franz Kamphaus, kaum größer zu denken.

Dabei sollte nicht aus dem Blick geraten, dass auch Bischof Tebartz-van Elst durchaus seine Anhänger im Bistum hatte und immer noch hat. Auch solche, die ihn allein wegen seines aufrechten und legitimen Amtsanspruchs angefeindet und verfolgt sehen. Je pluraler auch die katholische Kirche in Deutschland wird und je mehr man bereit ist, sich diese Pluralität einzugestehen, umso herausfordernder wird der „Dienst an der Einheit“, der dem Bischof undelegierbar aufgetragen ist.

Oftmals fassungslos staunten nicht nur die Katholiken im Bistum Limburg wieder einmal, welche enorme Machtfülle einem Bischof, kirchenrechtlich durchaus legitim, zukommt. Wie schnell gerät die Forderung nach Transparenz, Dialog und demokratischeren Strukturen an Grenzen, wenn der Bischof das eben nicht will. Und die, die dem Bischof offenbar doch rechtzeitig hätten in den Arm fallen sollen – hatten sie womöglich Angst oder blockierte sie das eigene, völlig überhöhte Klerikerbild?

Nicht zuletzt aber wirft die „Causa Tebartz–van Elst“ ein scharfes Licht auf das schwierige Miteinander unter den Bischöfen selbst. Selbstkritisch fragte beispielsweise der Trierer Bischof Stephan Ackermann, ob die deutschen Bischöfe nicht vielleicht doch die Möglichkeit gehabt hätten, helfend einzugreifen.

Für die deutsche Ortskirche wird sich dabei sehr bald die Frage nach dem Kurswechsel durch Papst Franziskus von Neuem stellen: Wer wird Bischof in Erfurt, in Passau und wer in Freiburg? Wer wird Kardinal Karl Lehmann in Mainz beerben? Und vor allem, wer rückt demnächst nach im großen und mächtigen Erzbistum Köln? Wie kein anderer hat Kardinal Joachim Meisner das Geschick der deutschen Ortskirche und das seiner Mitbrüder in den letzten Jahrzehnten geprägt und bestimmt und dabei oft „über Bande“ gespielt, mithilfe der römischen Kurie. Immer wieder war Bischof Tebartz-van Elst als Kardinal Meisners möglicher Nachfolger gehandelt worden.

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