Bibel tiefer verstehenDer Kampf Jakobs mit Gott

Der Kampf Jakobs mit Gott (Gen 32,23- 33) ist eine dunkle Geschichte. Jakob war ein Betrüger, der seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht und um den Segen betrogen hat. Er hat sich mit Schlauheit durchs Leben gekämpft. Doch jetzt wird ihm gemeldet, dass ihm Esau, sein Bruder, entgegenkommt. Da bekommt er es mit der Angst zu tun. Esau, der behaarte dunkle Bruder, steht für den Schatten. Jakob hat immer seinen Schatten verdrängt, bzw. auf seinen Bruder projiziert. Jetzt muss er sich seiner eigenen Wahrheit stellen. Und das drückt die Geschichte mit dem Kampf gegen Gott aus.

Der Kampf Jakobs mit Gott
Das Ringen mit Gott steht für die Begegnung mit der eigenen Wahrheit, die schmerzlich sein kann.© jtanki - fotolia.com

Der eigenen Wahrheit begegnen

Wie kann Gott mit dem Menschen kämpfen? Was ist das für ein Gott, der einen Kampf um Leben und Tod mit Jakob führt? Die Geschichte lässt es offen, ob es ein unbekannter Mann ist, ein Engel oder Gott selbst, mit dem Jakob kämpft. Aber innerhalb der Jakobsgeschichte schildert uns dieser Kampf die innere Verwandlung des Jakob. Das Ringen mit Gott steht hier für die Begegnung mit der eigenen Wahrheit. Vor Gott kann ich mich nicht hinter meiner intellektuellen Fassade verstecken. Da muss ich mich stellen. Und diese Begegnung mit der eigenen Wahrheit, mit den eigenen Schattenseiten, kann sehr schmerzlich werden. Für die Bibel ist die Begegnung mit dem Schatten zugleich Begegnung mit Gott. Gott selbst ringt mit mir, um mir die eigene Wahrheit aufzuzeigen. Es ist eine schmerzliche Begegnung, aber sie wird zugleich zum Segen für mich.

Vom Schatten zur Sonne

Als die beiden Männer die ganze Nacht über kämpfen, ohne dass jemand den Sieg davonträgt, schlägt der fremde Mann dem Jakob aufs Hüftgelenk. Und er sagt zu ihm: „Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen.“ Doch Jakob entgegnete: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ (Gen 32,27) Das ist ein beliebter Satz, den mancher Konfirmand als Konfirmationsspruch bekommen hat. Aber es ist zugleich ein eigenartiger Satz: Wie kann Jakob den, der ihm ans Leben will, bitten, ihn zu segnen? Für mich wird darin eine tiefe Erfahrung sichtbar. Dort, wo wir mit uns und unserer Wahrheit ringen, wo wir durch ein äußeres Ereignis mit den eigenen Schattenseiten konfrontiert werden, dort erfahren wir auch Segen. Ich habe einen Mann begleitet, dessen Fehler öffentlich bloßgestellt wurde. Da ist ihm zunächst die ganze heile Welt zusammengebrochen. Aber mitten in dieser schmerzlichen Nacht hat er auch erfahren, dass er gesegnet herausgekommen ist. Er spürte, dass er künftig keine Fassade mehr brauchte. Seine Wahrheit war offenkundig geworden. Ab jetzt bekam sein Leben eine neue Qualität. Die neue Qualität schildert uns die Geschichte vom Jakobskampf in drei Bildern: „Die Sonne schien bereits auf ihn, als er durch Penuel zog; er hinkte an seiner Hüfte.“ (Gen 32,32) Für uns kann das heißen: Die Begegnung mit der eigenen Wahrheit und mit den Schattenseiten wird wie eine Sonne, die über uns leuchtet und unseren Weg in ein mildes Licht taucht. Es wird heller in uns. Und wir gehen über die Furt. Wir erreichen ein anderes Ufer. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Doch wir hinken. Wir sind gezeichnet durch die Schattenbegegnung. Wir gehen langsamer und achtsamer unseren Weg. Aber zugleich sind wir gesegnet und werden wie Jakob zum Segen für andere.  

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