DebattenprovinzDie kirchliche Gottvergessenheit

Kirche, Kirche und nochmals Kirche. Die Wahrnehmung des Christentums dreht sich fast nur noch um eine imaginäre „Institution“, die angeblich den Anschluss an die Zeit verpasst hat und sich von einem Skandal zum nächsten wälzt.

Die Medien mischen emsig mit, Gestrigkeit anhand stets neuer, im Grunde immer gleicher, „Offenbarungen“ zu belegen. Die Gläubigen und die ernsthaft um den Glauben Ringenden sehen sich dadurch vehement in die Defensive gedrängt. Sie wagen schon gar nicht mehr aufzubegehren, gar offensiv dagegenzuhalten, warum die verhandelten Themen nicht die Ihren sind, die sie in Unruhe versetzen in ihrer christlichen Suchbewegung. „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“ Was reißt uns den Himmel auf? Was gibt den Mehrwert im todesverfallenen Diesseits? Gott, Christus, Auferstehung von den Toten? Wer wagt es – selbst unter der hohen Geistlichkeit – davon zu sprechen? Alles wirkt momentan eingeschüchtert, gehemmt, in die Öffentlichkeit zu tragen, was das letzte Konzil doch so prophetisch formuliert hatte: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die … eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist.“

Das ist Kirche – und das sind wir, bist du, bin ich. Es ist an der Zeit, aus der Einschüchterungsspirale des Debattenprovinzialismus auszubrechen, der so tut, als seien die Frauen-, Queer-, Sexualitäts-, Missbrauchs-, Macht- und vielen sonstigen Moral- und Reformfragen das Maß unserer religiösen Sehnsucht. Sind sie nicht! Entschieden wären die Verhältnisse zurechtzurücken auf den Verzweiflungs-Hoffnungs-Kern hin: warum wir an dem unverständlichen, „unmöglichen“ Gott zu scheitern drohen und doch allein durch ihn Plausibilität für das Mysterium von Sein und Zeit gewinnen können. Einzig, indem wir uns auf die Spur des unbekannten Gottes in Evolution begeben, lebensbejahend, voller Freude am Evangelium. Dieses ist nichts Beliebiges, was man per Interpretationswillkür zur Disposition stellen könnte. Es bleibt bei allen Deutungsversuchen die Wegmarkierung fürs christliche Voranschreiten, die „norma normans non normata“, die normierende Norm für den Glauben, die Grundlage, die selbst nicht normiert, eingegrenzt, weginterpretiert werden darf.

Der Schweizer Psychologe Allan Guggenbühl vermutet, dass die galoppierende religiöse Entfremdung von der spirituellen Dürftigkeit im organisierten Kirchenbetrieb – und wohl ebenso den provinziellen Kirchendebatten – mitverursacht ist. Das Eigentliche, das Heilige, das Innerliche werde vor lauter Geschäftigkeit dramatisch vernachlässigt. Die „sakrale Energie“ sei aus dem Raum der Kirche verschwunden. Sie biete keinen Ort mehr, „wo man zu Gott Kontakt aufnehmen und auf seine Botschaften hoffen kann“. Sie verliere sich in allerlei Dienstleistungen, um sich „für gute Sachen zu profilieren, statt das spirituelle Potenzial der Menschen zu nutzen“. Doch gerade Nachdenkliche wollen sich „mit der Frage nach Gott auseinandersetzen“, mit „der großen, offenen, existenziellen Frage“: „Was bedeutet Gott?“ Wenn sich Gott in den Kirchen nicht mehr finden lässt, bleiben sie leer, so Guggenbühl: „Nur Gott kann die Kirche retten.“ Die aber muss sich auch retten lassen wollen.

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