EditorialUnvorstellbares

Dass es in Europa wieder Krieg und Kriegsverbrechen geben könnte, dass Millionen Menschen zur Flucht gezwungen würden: All das war vor einigen Wochen noch „unvorstellbar“.

Wird Putin die Ukraine tatsächlich angreifen? Vor zwei Monaten haben wohl die meisten von uns diese Frage als unrealistisch abgetan. Dass es in Europa wieder Krieg und Kriegsverbrechen geben könnte, dass Millionen Menschen zur Flucht gezwungen würden: All das war vor einigen Wochen noch „unvorstellbar“. Dieses Adjektiv war wahrscheinlich die am häufigsten gehörte Formulierung in den Reaktionen auf das Grauen. Es mag keine ganz korrekte, logische Verwendung des Begriffs sein. Denn, wie sagte mein Lateinlehrer immer: „Möglich ist vieles, denkbar ist alles.“ Aber wir wissen, was gemeint ist.

Unvorstellbar… Genau dieses Schlagwort haben die Kollegen der ZEIT jetzt ihrer Leserschaft vorgelegt. Verbunden mit der Bitte: Ergänzt doch, was euch sonst noch „unvorstellbar“ vorkommt. Wer weiß, ob auch nicht das noch Wirklichkeit wird… Eine spannende Aktion, die einige Resonanz erfahren hat. Sie förderte einerseits viel Trauer und Fatalismus zutage. Unvorstellbar sei für ihn das Ende menschlicher Dummheit, schrieb etwa ein Leser zerknirscht. Aber es gab auf der anderen Seite auch bemerkenswert viele positive Anknüpfungspunkte. „Es ist unvorstellbar, dass die Menschen aufhören zu hoffen“, schrieb jemand: „Dass Menschen sich dauerhaft unterkriegen lassen und aufhören, menschlich zu sein.“

Unvorstellbar... Der Begriff führt zum Kern des Ostergeheimnisses, das wir nach zwei Jahren Pandemie fast wieder unter Normalbedingungen feiern. Zuerst die Karwoche, in der wir mit Jesus auf seinem schweren Weg sind. Wir erleben, wie seine Botschaft der Barmherzigkeit und Liebe gnadenlos zerschellt ist an „Realpolitik“, Machtinteressen, Hass. Unvorstellbar eigentlich, dass die Welt nach wie vor unter diesen Plagen leidet. Das sind immer noch unsere Kreuze, bleibende Menschheitsthemen. Wie tragisch, wie traurig!

Und dann, am dritten Tag: Ostern. Gott bestätigt den, den wir aus Selbstsucht verworfen haben. Wie das geschehen ist, können wir allenfalls erahnen, erhoffen. Auch das bleibt in anderem Sinne unvorstellbar, es übersteigt unser Fassungsvermögen. Doch die Künste können uns helfen, uns dem Mysterium zu nähern, ist der Benediktiner Martin Werlen überzeugt. Lassen wir uns darauf ein und gehen wir mit den Frauen am Ostermorgen zum Grab. Und versuchen wir, uns poetisch, mit immer neuen Worten dem Unvorstellbaren zu nähern – eingedenk, dass Gott stets größer ist als unsere Vorstellungen, als unser Reden.

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gesegnete Ostern!

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