Geistesgegenwärtig durch die FastenzeitDurch die Fastenzeit mit Annette Schavan

Schon der Beginn seines öffentlichen Wirkens in Nazaret ist ernüchternd. Jesus geht in den Tempel, liest in der Heiligen Schrift und legt sie aus. Anfänglich bekommt er Beifall; dann aber werden die, die ihm zuhören, skeptisch.

Die Begegnungen Jesu mit Menschen – wie sie in den Evangelien überliefert sind – waren damals und sind heute eine Provokation für die Wächter über Einflusssphären und Regelwerke. Diese Begegnungen entwickeln eine unerwartete Dynamik und werden häufig mit ebenso überraschenden Botschaften verbunden (...) In diesen Begegnungen wird ein neuer Geist spürbar, der dem Leben gegenüber eine Wertschätzung und eine Präsenz zeigt, die eine Priorität gegenüber den althergebrachten Regeln beanspruchen – ohne mit ihnen zu brechen. Jesus will keinen Bruch mit dem Bisherigen. Er überzeugt die, die ihm folgen, durch einen anderen Zugang zu den bestehenden Ordnungen.

Aus Gewohnheiten sollen Überzeugungen werden. Die selbstkritische Frage wird wichtig: Von welchem Geist sind unsere Ordnung und unser Handeln geprägt? Genau daran scheiden sich dann auch die Geister. Die einen folgen Jesus nach und erkennen in ihm und in den Begegnungen mit ihm eine neue Lebensperspektive; die anderen fürchten um ihren Einfluss und wollen sein Ende.

Schon der Beginn seines öffentlichen Wirkens in Nazaret ist ernüchternd. Jesus geht in den Tempel, liest in der Heiligen Schrift und legt sie aus. Anfänglich bekommt er Beifall; dann aber werden die, die ihm zuhören, skeptisch. Es kann nicht „einer von uns“ so reden, wie er es tut – von Freiheit und Veränderung, von einer Lebendigkeit, die vor Verengungsgeschichten bewahrt –, und der dazu ermutigt, sich auf Neues einzulassen. Der Überlieferung nach erlebt Jesus bereits am Anfang seines Wirkens, was sich am Ende ereignet: Die Hüter der Ordnung, die genau beobachten, wie geistesgegenwärtig er ist und wie sein Einfluss zunimmt, lehnen ihn ab (...)

So jedenfalls ist jenen, die die Evangelien geschrieben haben, aus Erinnerungen berichtet worden. Es muss verstörend gewesen sein und doch auch so, dass sich daraus für Menschen neue Möglichkeiten für ihr Leben eröffnet haben. Das ist in Zeiten umfassender Transformationsprozesse ein Schlüssel für das Wirken des Christentums: Veränderungen von Lebensperspektiven in den Blick zu nehmen und daraus besser zu verstehen, warum manche kirchliche Lehre und Praxis heute ins Leere läuft.

Aus: Annette Schavan, „geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums“, © Patmos Verlag, Ostfildern 2021

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