Biblische Erzählungen – menschliche ErfahrungenWenn neue Hoffnung aufblüht

Fazit

Die Erfahrung, dass etwas zum Blühen kommt oder wieder neu aufblüht, ist eine zentrale Metapher in den biblischen Texten. Sie findet in verschiedensten Kontexten Verwendung und wird auf unterschiedliche Weise variiert. Doch immer steht sie für das Neue, Lebensschaffende, Befreiende, Hoffnung Gebende, das Menschen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kontexten in ihrer Geschichte mit Gott erfahren haben.

Mit gutem Grund wurde in der spirituellen Tradition des Christentums die Rede vom Blühen und Keimen zu einer Metapher für geistliches Wachstum. Die entsprechenden biblischen Erzählungen und Motive können so zu Lebensbegleitern werden.

Neue Einsicht und Erkenntnis blüht auf: Jona und der Rizinusstrauch

Das Buch Jona ist kein Bericht über historische Ereignisse, sondern gattungsgeschichtlich ein Midrasch, eine Lehr-Erzählung. In diesem Sinne ist sie zu lesen und zu verstehen. Jona wurde von Gott berufen, den schlechten Bewohnern von Ninive das Gericht anzudrohen, wenn sie nicht zur Umkehr bereit sein sollten. Jona tat sein Bestes – und hatte Erfolg mit seiner Gerichtsprophetie, denn die Einwohnerschaft von Ninive bekehrte sich tatsächlich. Doch was für Jona Anlass zur Freude sein sollte, nämlich die Bereitschaft zur Umkehr und die Gnade, die Gott den bußfertigen Niniviten gewährt hatte, wurde ihm zum Anlass für Zorn. Empört verließ er die Stadt, setzte sich in der sengenden Sonne hin und wartete ab, was mit der Stadt geschehen würde. Im Grunde wirkt er dabei wie ein trotziges Kind. Da ließ Gott in einer Nacht einen Rizinusstrauch emporschießen, der ihm mit seinen großen gefingerten Blättern Schutz vor der Hitze spendete (Jon 4,6–10). Auch wenn der Text eine Steigerung ins Wunderhafte erkennen lässt, ist der im Mittelmeerraum heimische Rizinusstrauch in der Tat ein besonders schnellwachsender Strauch mit rispen- oder traubenartigen Blüten, der rasch eine Höhe von bis zu vier Metern erreichen kann. Jona war dankbar und freute sich über den Strauch. Doch am nächsten Morgen ließ Gott die Pflanze auch schnell wieder verdorren und gab Jona der Hitze preis. Dem zornigen Jona hielt er jedoch entgegen: „Dir ist es leid um den Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und so viel Vieh?“ (Jon 4,10–11). An der Stelle endet der Midrasch mit einer Frage; eine Antwort von Jona bleibt aus. Aber die Leser des Textes können sie geben – und sich ein Beispiel nehmen, wie Jona mit Hilfe eines schlichten Rizinusstrauches Mitleid gelernt hat durch das, was ihm da blühte – und noch mehr: dass er gelernt hat, dass sein Gott, der Gott Israels, nicht für sein Volk reserviert bleibt, sondern auch der Gott anderer Völker ist.

Gott kommt unauffällig wie ein junger Trieb in die Welt: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor“

Das beliebte Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ greift in besonderer Weise das Thema des Erblühens auf. Vielen ist seine biblische Grundlage vermutlich gar nicht bekannt: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“ (Jes 11,1a). Die Gegenwart wird hier verglichen mit einem scheinbar toten Baumstumpf. Nichts weist darauf hin, dass daraus neues Leben erblühen könnte. Zukunft lässt sich auf den ersten Blick kaum entdecken. Doch für den Propheten – wieder ist es Jesaja – wird ein unauffälliger kleiner grüner Zweig, der aus dem Holz sprießt, zu einem Sinnbild für die Zukunft. So wie Gott Elia nicht im Sturmwind begegnet, sondern in einem kleinen leisen Säuseln (1 Kön 19,1–13), so lässt er Neues aufblühen, unauffällig und zart. Es ist ein Kind, auf das sich die Hoffnung des Propheten richtet, nicht irgendein Kind, sondern der verheißene Messias, der mit Heiligem Geist Gesalbte, das aus dem Geschlecht Isais oder Jesses stammt und damit aus dem Geschlecht Davids, denn Isai bzw. Jesse war kein anderer als der Vater Davids. Das Matthäusevangelium greift dieses Motiv auf und zieht von Isai eine Abstammungslinie über König David bis zu Josef (Mt 1,16). Jesus geht demnach als „Reis“ aus dem „Stumpfe Isais“ hervor und werde als dessen „Schößling“ reiche Frucht bringen. Immer wieder haben die Propheten einen Heilsbringer und Retter angekündigt, der Gottes Gericht, aber auch eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil mit sich bringen werde. Keiner von ihnen hatte dieser Hoffnung so intensiv Ausdruck verliehen wie Jesaja in der damaligen absoluten Krisenzeit.
Die „Wurzel Jesse“ wurde in der christlichen Tradition und besonders in der darstellenden Kunst ein wichtiges Motiv zur Veranschaulichung der Heilsgeschichte. Sie signalisiert, dass Jesus Christus wirklich der verheißene Messias und der Sohn Davids ist. Aus dem „Reis“ ist im Laufe der Zeit ein „Ros“ geworden, weil man den ursprünglichen Begriff im Zuge einer sich wandelnden Sprache nicht mehr verstand. Die katholische Tradition deutet Jesse als die Wurzel, Maria als Rosenstock, der aus der Wurzel sprießt, und das Jesuskind als „Blümlein“. Die dritte Strophe aus einem anderen bekannten Weihnachtslied – „Maria durch ein Dornwald ging“ – variiert das Thema von den knospenden Blüten, die plötzlich an einem ganz unvermuteten Ort aufbrechen: „Da haben die Dornen Rosen getragen, Kyrie eleison. Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen. Jesus und Maria.“ In der evangelischen Fassung von „Es ist ein Ros entsprungen“, die sich von jeglicher Marienverehrung abzugrenzen suchte, bezeichnet sowohl das „Röslein“ als auch das „Blümlein“ Jesus. So oder so bleibt die Unauffälligkeit, Zurückhaltung, ja geradezu Zartheit erhalten, mit der Gott das Heil in der Welt wirkt und so einen neuen Anfang setzt.

Die Verheißung des messianischen Heils: „ Jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie“

Wenn der Prophet Jesaja seinem Volk – und mit ihm uns heute – das zukünftige messianische Heil ansagt, bedient er sich verschiedenster aussagekräftiger Bilder. Bekannt ist das vom großen Tierfrieden oder das Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen. Eine andere Metapher ist diese: „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie. Sie wird prächtig blühen und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken“ (Jes 35,1f.). Die Freude ist förmlich aus dem Text heraus zu spüren. Die Wüste, das trockene Land und die Steppe sind Bilder für das in den Jahren 586 bis 538 vor Christus von den Babyloniern an Eufrat und Tigris verschleppte Volk Israel. Alles schien verloren. Doch die Propheten hielten den Glauben und die Überzeugung am Leben, dass der Gott Israels stärker ist als der babylonische Staatsgott Marduk. Lange hat die Verbannung im babylonischen Exil gedauert, bis den Israeliten eine neue Zukunft verheißen ist: Sie werden zurück in ihre Heimat gehen und das „verwüstete“ Israel wird vom Libanon bis zum Karmel und darüber hinaus bis zum Süden wieder herrlich aufblühen.
Damit wird ein Gegenbild inszeniert zum Motiv des Verdorrens und Verwelkens als Metapher für Tod und Sterben. Es findet sich vor allem in den Psalmen, wo über die „Feinde Israels und die Ungerechten gesagt wird: „Denn sie werden wie Gras verdorren und wie Blumen verwelken“ ( Ps 37,2). – „Die Bösen (…) werden zugrunde gehen. Die Feinde des Herrn verwelken wie die Blumen auf dem Feld – wie Rauch, der sich auflöst, vergehen sie“ (Ps 37,20).

Aus einem winzigen Samen erblüht Großes: Das Senfkorn und die Gottesherrschaft

Auch in der Verkündigung Jesu begegnet das Motiv vom Blühen. Das ist nicht weiter erstaunlich – sind doch gerade seine Gleichnisse, mit denen er deutlich zu machen versucht, was er meint, wenn er vom Reich Gottes oder von der Gottesherrschaft spricht, der Alltagswelt entnommen: Da ist die Rede von Einladung und vom Festmahl, vom Schatz und der Perle, vom Sauerteig und der Geldmünze. Das Gleichnis vom Senfkorn passt in diese Alltagsgeschichten: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als alle anderen Gewächse und wird zu einem Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten“ ( Mt 13,31– 32). Wenn es doch nur so einfach wäre mit der Gottesherrschaft! Diese Welt mit ihren Abgründen gleicht oft so wenig dem von Jesus verheißenen Reich, in dem nicht Menschen übereinander herrschen, sondern in dem Gott „alles in allem“ (1 Kor 15,28) ist. Und die Hoffnung, die Gottesherrschaft sei durch die Jahrhunderte eine Erfolgsgeschichte, die stetig bergauf führt, hat sich beileibe nicht bewahrheitet. Nun ist dies nicht das einzige Reich-Gottes- Gleichnis Jesu. Mehrere andere handeln vom Säen, Blühen, Wachsen und auch vom Verderben der Saat (Mt 13,1–43). Da ist alles enthalten, Erfolg und Misserfolg, und in ihrer Zusammenschau wirken sie „realistischer“. Aber das Senfkorn- Gleichnis gehört eben auch dazu. Und es verheißt: Aus Unbedeutendem, Unscheinbarem und Kleinem entsteht Großes und Unerwartetes, und zwar „einfach so“, ohne dass sich Menschen dafür unendlich anstrengen müssen. In gewisser Hinsicht erinnert das Senfkorn-Gleichnis an das „Reis“, das aus dem Stumpf wächst. Da keimt etwas auf und blüht, weil es gewissermaßen in der Natur der Sache – oder besser: des Samens – liegt. Darauf dürfen Christen hoffen und vertrauen – und hin und wieder können sie es in ihrem Leben erfahren.

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