Zur Bewahrung der Schöpfung als pastorale HerausforderungDie Gottesfrage im ökologischen Kontext

Ob es den Kirchen gelingt, eine hörbare Stimme im Umwelt- und Entwicklungsdiskurs zu sein, hängt wesentlich davon ab, ob sie die spezifisch theologische Dimension der Umweltfrage als „Zeichen der Zeit“ entziffern. Die Kunst besteht darin, weder profillos im allgemeinen Diskurs unterzugehen noch sich durch Entkoppelung vom gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs zu isolieren. Die Enzyklika Laudato si’ zeigt hierfür neue Wege auf.

Fazit

Statt die theologische Dimension der Umweltkrise mit den immer gleichen moralisierenden Floskeln zu banalisieren, kommt es darauf an, ihre theologische Tiefendimension als aktuellen Kontext der Gottesfrage heute zu entdecken. Sie ist Chance und Gradmesser für ein Aggiornamento der befreienden Botschaft des Evangeliums in unserer Zeit. Pastoral kommt dabei dem sensiblen Gleichgewicht zwischen Katastrophenwahrnehmung und Hoffnung eine entscheidende Bedeutung zu. Dieses lässt sich nur glaubwürdig realisieren, wenn der diakonische Auftrag der Kirche ökologisch erweitert wird. Bisher fehlen Wille und Ressourcen dafür, dass die Weltkirche als Sauerteig für einen nachhaltigen Kulturwandel erkennbar werden kann.

Im 2018er-Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Wir sind dran. Der Weg zu einer neuen Aufklärung“ werden große Erwartungen an die Kirchen als Katalysatoren des nötigen ökosozialen Wandels geweckt (Weizsäcker/ Wijkman 2018, S. 124–130). Da alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über planetary boundaries nicht zur nötigen radikalen Umkehr geführt haben, müsse die Problematisierung eine Stufe tiefer ansetzen: bei den Grundannahmen unseres Verständnisses von der Welt, was als „Aufklärung 2.0“ bezeichnet wird. Für diese Suche finden die Autoren ein wichtiges Gegenüber in den Religionen, allen voran in Papst Franziskus und seiner Enzyklika Laudato si’. Ihre spirituelle Dimension eröffne einen Zugang zur Vorstellung des menschlichen Lebens und Handelns in der Welt als Ganzer. Dies könne dabei helfen, für selbstverständlich gehaltene Hintergrundannahmen des rationalistischen Reduktionismus und insbesondere die Vorstellung einer „leeren Welt“ als endloser Raum unbegrenzter Ressourcen zu überwinden und so die Grundlage für nachhaltiges menschliches Leben auch in der „vollen Welt“ zu legen. Wo Religionen dieses Anliegen teilen, werden sie zu wichtigen Partnern auf diesem Weg. Wo jedoch auch ihre Lehren wie beispielsweise der biblische Herrschaftsauftrag in Vorstellungen der „leeren Welt“ wurzeln, müssten sie unweigerlich einsehen, dass diese „für die volle Welt nicht mehr gelten“ (Weizsäcker/ Wijkman 2018, S. 130) könnten.
Vor diesem Hintergrund ist stets im Blick zu behalten, dass die Kirchen nicht nur Teil der Lösung, sondern mit ihrem Beharren auf die „mentalen Infrastrukturen“ (Welzer) der Naturvergessenheit oft auch Teil des Problems sind. Gefordert ist in diesem Dialog nichts Geringeres als ein „rethinking our own religion“ (White), um die vielfältigen kulturgeschichtlichen Wurzeln des imperialen Naturverhältnisses in all seinen religiösen und säkularen Facetten aufzuspüren und ihnen entgegenzutreten. Dabei steht auch die biblische Schöpfungstheologie auf dem Prüfstand. Statt der seit Jahrzehnten geübten Praxis einer floskelhaften Wiederholung der immer gleichen Apologetik gilt es, den biblischen Schöpfungsglauben durch einen Rückgang zu den Quellen neu zu erschließen, von Fehlinterpretationen zu befreien und im Gespräch mit den Umweltwissenschaften für die heutige Zeit weiterzudenken. Denn in ihm steckt „ein Wirk- und Vernunftpotenzial“, das auch heute „die Mentalität und das überlebensnotwendige ökologische Bewusstsein der Nachhaltigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen substantiell zu befördern, zu stärken und zu erhalten vermag“ (Hardmeier/Ott 2015, S. 162).
Der christliche Glaube stand lange im Verdacht, nicht zum gesellschaftlichen Wandel beizutragen, sondern die bestehenden Verhältnisse und die Sehnsüchte der Menschen nach besseren Lebensbedingungen auf ein Jenseits zu verschieben. Auch heute wird das transformative Potential der Religionen kontrovers eingeschätzt. Vielen erscheinen die Kirchen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften als Anstalten für die Zähmung der Menschen zu bürgerlicher Moral sowie die Stabilisierung vorhandener Ordnungen. Der ökumenische Prozess „Umkehr zum Leben“ erinnert demgegenüber an die biblische Botschaft der Umkehr. Diese ist keine Drohbotschaft, sondern die frohe Botschaft der von Gott geschenkten Möglichkeit des Neuanfangs. Auch die Ethik, die Papst Franziskus vertritt, ist mit ihrer prophetischen Zuspitzung keine Ordnungsethik im traditionellen Sinn, sondern eine Botschaft der Umkehr. Sie ist unbequem, aber immer ermutigend. Sie stellt die Botschaft der Freude am Evangelium in den Mittelpunkt. Sie ist eine radikale Rückbesinnung auf die biblische Botschaft der Umkehr im Kontext einer gesellschaftskritischen und praxisbezogenen Transformationsethik (vgl. Vogt 2018).
So sehr an einzelnen inhaltlichen Punkten Kritik oder Verbesserungsvorschläge angebracht scheinen mögen, steht im Vordergrund des Club-of-Rome-Berichts doch die Anerkennung der Religionen als „andere“ Stimme im pluralen Bemühen um das Ziel einer auf Dauer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft. Überzeugend sind die Kirchen dabei nicht als „Moralagenturen“ (Joas), die sozialökologische Imperative mit dem Anspruch auf autoritäre Weisungsbefugnis theologisch unterfüttern. Ihre spezifische Kompetenz setzt im hier gegebenen Kontext vielmehr mit der Botschaft der Befreiung sowie dem Lobpreis der Schöpfung an und bringt die Sehnsucht nach verlorener Integrität, Gerechtigkeit und Lebensfülle zur Sprache. Aufklärung 2.0 im Spannungsfeld zwischen Natur, Kultur und Technik braucht eine Rückbesinnung auf die großen Erzählungen von Schuld und Verantwortung sowie von Gemeinschaft, Konfliktbewältigung und gelingendem Leben.

Zukunftsvorsorge jenseits von Fortschrittsoptimismus

Die Umweltkrise ist eine ökologische und sozioökonomische Grenzerfahrung der Moderne. Das „schneller, höher, weiter“ ist kein hinreichendes Konzept für Fortschritt. Aber auch die Idealisierung der Langsamkeit oder die Zuflucht zu Konzepten einer Suffizienzökonomie bieten keine tragfähigen Alternativen. Hier setzt die ethisch-politische Leitidee der Nachhaltigkeit an: Sie versteht sich als neue Definition der Voraussetzungen, Grenzen und Ziele von Fortschritt: Statt der ständigen Steigerung von Gütermengen und Geschwindigkeiten wird die Sicherung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Stabilität menschlicher Lebensräume zur zentralen Bezugsgröße gesellschaftlicher Entwicklung und politischer Planung. Nur ein ressourcenleichter Wohlstand, der möglichst vielen Menschen Teilhabechancen eröffnet, ist gerechtigkeitsfähig.
Nachhaltigkeit ist eine Zukunftsvorsorge, deren motivierende Hoffnung nicht Fortschrittsoptimismus ist, sondern die Vision eines gelungenen Lebens in den Grenzen der Natur. Eine solche Hoffnung jenseits von Fortschrittsoptimismus findet sich im christlichen Glauben: Sie basiert nicht auf der Vorstellung, dass alles immer besser werde und der Mensch eine vollkommene Gesellschaft schaffen könne, sondern im Gegenteil auf einem existentiellen Bewusstsein der Grenzen des Menschen, das dann zum Heil und zur Hoffnung werden kann, wenn der Mensch den Geschenkcharakter des Lebens und seine Angewiesenheit auf Gemeinschaft erkennt.
Wenn man davon ausgeht, dass Kontingenzbewältigung eine originäre Funktion von Religion ist, dann liegt genau hier auch die spezifische Kompetenz der Kirchen im Umweltdiskurs: Kontingenzbewältigung ist notwendig, um das Zerbrechen des Fortschrittsglaubens an den Grenzerfahrungen der Moderne weder mit ökologischen Untergangsphantasien noch mit einer IM BLICK Neuauflage utopischen Denkens zu beantworten. Christliche Ethik der Schöpfungsverantwortung ist kein geschlossenes System einer Sinn stiftenden Divinisierung der Natur oder eines ökologisch erweiterten Versprechens von globalem Wohlstand, sondern eine offene Suchbewegung in der Dialektik von Fortschritt und Risiko. Der Glaube ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Kompass für diesen Suchprozess.
Die Enzyklika Laudato si’ konkretisiert diesen schöpfungstheologischen Kompass durch sechs Prämissen: (a) Die Zeit drängt, die ökologischen Kapazitäten sind weitgehend erschöpft, für zahllose Menschen geht es um existentielle Fragen des Überlebens; (b) Es besteht ein grundlegender Zusammenhang zwischen Umwelt- und Gerechtigkeitsfragen; globale und intergenerationelle Gerechtigkeit können nicht ohne Umweltschutz erreicht werden; zugleich muss Umweltschutz von den legitimen Interessen der Armen ausgehen; (c) Den Schrei der Schöpfung und der Armen zu hören und darauf mit einer entsprechenden Verantwortungspraxis zu reagieren ist unmittelbar Glaubenspraxis und unausweichliche Aufgabe der Kirche heute; (d) Um die ökologische Krise zu lösen, müssen unbequemen Fragen von Macht, Korruption und systemischen Fehlentwicklungen angesprochen werden; (e) Die christliche Tradition der Anthropozentrik (Menschenzentriertheit) muss hinterfragt und so differenziert werden, dass der Eigenwert der Schöpfung und die existentielle Verbundenheit aller Kreaturen in voller Weise anerkannt wird; (f) Jede(r) Einzelne ist zu einer „ökologischen Umkehr“ aufgerufen, einem Richtungswechsel in der Lebens- und Wirtschaftsweise.

Christlicher Glaube als „ Sauerteig“ für einen Kulturwandel

In den existentiellen Erfahrungen der ökologischen Krise stellt sich heute auf vielfältige Weise die Gottesfrage selbst. Die Herausforderung der Rückbesinnung auf ein tragfähiges Verhältnis zur Schöpfung betrifft die Fundamente unserer Kultur und unseres Selbstverständnisses. Es gilt, im Schrei der Schöpfung den leidenden Christus zu erkennen und die Gottesliebe diakonisch als Schöpfungsliebe zu konkretisieren. Leitend ist dabei nicht eine unmittelbare ( pantheistische) Gleichsetzung von Gott und Natur, sondern der Blick auf die spezifisch theologischen Dimensionen der Umkehr zu einer nachhaltig schöpfungsverträglichen Entwicklung:

  • Es geht um langfristiges Denken, wofür die Kirche als auf die Ewigkeit Gottes ausgerichtete Institution von ihrer ganzen Existenz her prädestiniert ist. • Die Kirche ist der älteste „global player“ und damit in besonderer Weise zu weltweiter Verantwortung befähigt, die heute Voraussetzung zur Bewältigung der ökologischen Krise ist.
  • Das christliche Menschbild bestimmt den Wert des Menschen nicht von der Menge der produzierten und konsumierten Güter her und kann damit zu einem maßvollen, gerechten und verantwortlichen Umgang mit ihnen befähigen.
  • Der Schöpfungsglaube zielt nicht bloß auf moralische Appelle, sondern auf eine sinnstiftende Kommunikation, die ökologische Verantwortung als Teil der Selbstachtung des Menschen versteht.
  • Das Spezifische des christlichen Blicks auf Umweltfragen ist ihre Einbettung in kulturelle und soziale Zusammenhänge. Naturschutz und Menschenschutz bilden für die christliche Ethik eine Einheit.

Die notwendige Transformation ist so umfassend, dass man sie als neuen Gesellschaftsvertrag umschreiben kann. Im Kern geht es um einen Kulturwandel als Ermöglichung von Politikwandel. Trotz der weitreichenden Beschlüsse zu einem globalen Gesellschaftsvertag für nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen im September 2015 als normative Leitlinie der Weltinnenpolitik bis 2030 beschlossen haben (Sustainable Development Goals), gelingt der Weltgesellschaft bisher kein Umsteuern. Wider besseres Wissen verharren wir auf den Pfaden von Ressourcenübernutzung, exzessivem Konsum und globaler Ungerechtigkeit in der „Externalisierungsgesellschaft“.
Die Werte globaler und langfristiger Verantwortung sind letztlich nicht ohne ein Fundament in Menschen-, Welt-, Natur- und Hoffnungsbildern sowie in Erfahrungen und Strukturen einer transnationalen Gemeinschaft vermittelbar. „Katholizität“ nicht im Sinne eines Konfessionsbegriffs, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung als Bewusstsein der weltumspan nenden Einheit der Menschheitsfamilie ist heute in neuer Weise gefragt. Christlicher Glaube ist herausgefordert als „Sauerteig“ für einen Kulturwandel an der Herausbildung eines neuen Gesellschaftsvertrages mitzuwirken.

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