Anforderungen an die EhepastoralMiteinander alt werden

„Was hat Sie so lange zusammengehalten?“ (Oder auch nicht?)

Auf diese Frage haben Eheleute nach langen Ehejahren wie folgt geantwortet: ɅɅMit der Zeit gewöhnt man sich aneinander. Schmetterlinge im Bauch haben wir nie gefühlt, aber so Schwärmereien finden ja eher im Kopf statt. Am Ende ist Kameradschaft wichtiger. Und gemeinsame Erlebnisse. Wir sind viel gereist. Wir hatten jeweils unsere Hobbys und unsere Bedürfnisse. Heute sind wir froh, dass wir uns noch haben!

  • Meine Frau und ich haben unsere Goldene Hochzeit im letzten Jahr gefeiert. Die ersten Jahre waren von stürmischer Leidenschaft und Liebe geprägt. Die Leidenschaft wurde weniger, aber Zuneigung und Liebe sind geblieben. Unsere Sicht auf Ehe hat sich verändert, aber dennoch leben wir in Zufriedenheit und Vertrauen miteinander. Jetzt im Alter möchte keiner mehr ohne den anderen leben.
  • Dass es ewige Liebe war, wird einem erst voll bewusst, wenn der geliebte Partner nach langer Ehe für immer von einem gegangen ist und man merkt, dass das Herz vor Kummer fast umkommt.
  • Er hat als Single neben mir gelebt. Er streitet sich nicht, er hört gar nicht erst zu. Unsere Ehe war zuletzt eine sprachlose Geschichte. Meine Monologe gingen immer gegen die Wand. Mit ihm war einfach nicht mehr zu reden. Da bin ich endlich gegangen.

Vier unterschiedliche Lebensund Ehegeschichten, die jede auf ihre Weise eindrucksvoll über die Chancen und Möglichkeiten, zugleich auch über die Schwierigkeiten und Herausforderungen der älter werdenden Ehe berichten. Erstmals in der langen Geschichte der Ehe kann eine gesamte Ehegeneration fast ausnahmslos miteinander alt werden. Nicht mehr der frühzeitige Tod eines Partners /einer Partnerin trennt heute die Eheleute, vielmehr ist es der „Tod der Ehe“, der zur Trennung und Scheidung führt – und das zunehmend sogar nach 40, 50 oder gar nach 60 Ehejahren. Dagegen setzt der französische Philosoph Albert Camus die Hoffnung: „Einen Menschen lieben, heißt einwilligen, mit ihm alt zu werden.“

Ruhestand, nicht Stillstand

Die Lebenserwartung der Menschen ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich gestiegen. Immer mehr Menschen werden 80 oder 90 Jahre alt, zunehmend sogar100 Jahre. Die Goldene Hochzeit bleibt nicht wie früher die große Ausnahme, sondern kann zunehmend eher zur Regel werden. Wenn die Kinder heute das Elternhaus verlassen, leben die Eheleute meist noch 25 Jahre und länger ihre Ehe. Sie haben nun wieder mehr Zeit und Muße füreinander. Sie können nun endlich das tun, was früher wegen der Hausarbeit und der Erwerbstätigkeit eines oder beider Partner kaum möglich war: mit „gutem Gewissen“ je eigenen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen nachgehen und lang aufgeschobene Ideen und Pläne verwirklichen. Darin liegt die Chance, wieder intensiver zueinander zu finden. Das wiederum gibt dem ehelichen Leben neue Qualität und neue Perspektive. Dann wird der Ruhestand nicht zum Stillstand! Dann werden zwei Menschen zwar miteinander alt, aber sie bleiben doch „jung“ füreinander! Ehe im Alter kann eine Zeit tiefer Verbundenheit und stabiler Gebundenheit sein! „Man muss lange leben, um ein Mensch zu werden“, meint Antoine de Saint-Exupéry.
Aber es gibt auch gegenteilige Erfahrungen in so manch alt gewordenen Ehen. Enttäuschung und Verbitterung haben die Partner verstummen lassen. Sie haben sich kaum mehr etwas zu sagen. Das Vergangene ist wirklich vergangen und für die Zukunft gibt es kaum noch Hoffnung. So lange die Kinder, die Enkel, der Beruf und die Sorge um den Lebensunterhalt der Familie die Partner beschäftigte, fiel das Schweigen nicht so krass auf. Jeder hatte seine Aufgabe oder suchte sich eine Aufgabe. Aber jetzt, wo die beiden zusehends auf sich selbst verwiesen sind, kann das stumme Nebeneinander unerträglich werden. Für die materielle Absicherung bei der (Vor-) Ruhestandsregelung ist hinreichend gesorgt. Gilt das auch für die „Sozialverträglichkeit“ der Ehe im Alter?

Eine neue Chance für die Liebe

Jeder Übergang von einer Lebensphase zur anderen ist krisenanfällig. Krise bedeutet im ursprünglichen Sinne Scheidepunkt, Wendepunkt. Das Leben wendet sich, nimmt eine neue Richtung mit oftmals neuen Überraschungen – im guten wie im weniger guten Sinne. Wie in jeder Krise kann auch die „krisengeschüttelte Ehe“ zu guter Letzt durchaus Chancen eröffnen für einen Neubeginn. Wenn die Eheleute sich der Wirklichkeit ihrer Ehe aufrichtig stellen und womöglich sich Hilfe erbeten in der Eheberatung, kann ein solcher Prozess einen Weg aus jener stummen und enttäuschenden Zweisamkeit heraus zu einer neuen Gemeinsamkeit eröffnen. Es lohnt sich, miteinander (oder zunächst jeder für sich) noch einmal die ersten Stunden, Tage, Monate oder auch Jahre der jungen Liebe in Erinnerung zu rufen.
Soll das alles nur ein Traum gewesen sein? Was haben wir einst aneinander geschätzt und geliebt? Ist nicht manches davon heute noch oder wieder aufs neue schätzens-und liebenswert? Gerade so manch gute Erinnerungen können immer wieder Hoffnungsspuren für eine gemeinsame Zukunft entdecken helfen.
Vielleicht lohnt einmal folgende kleine Besinnung – zuhause im stillen Kämmerlein oder bei Gesprächen in Gruppen in der Gemeinde:
Sie könnten sich selber zunächst einmal fragen:

  • Was mag ich an mir?
  • Wo bin ich mit mir zufrieden?
  • Über welche meiner Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen kann ich mich freuen?

Halten Sie die Antworten ruhig in Stichworten fest!
Danach nehmen Sie auch Ihren Partner bzw. Ihre Partnerin einmal in den Blick und halten auch hier Ihre „Entdeckungen“ schriftlich fest:

  • Ich mag an ihr / an ihm folgende Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten ...
  • Ich schätze an ihr / an ihm vor allem ...
  • Ich wünsche mir von ihr / von ihm ...

Im gemeinsamen Zweiergespräch können die Ansichten ausgetauscht und möglicherweise zu neuem „Ansehen“ führen:
Das Bedenken der eigenen positiven Eigenschaften hilft vielleicht dabei, auch solche beim anderen zu erkennen. Nur wer sich selbst mag und gern hat, kann auch den anderen annehmen und lieben. Wenn beide bei sich und beim anderen das Schätzensund Liebenswerte wieder oder ganz neu entdecken, kann dies auch zur erneuten und – noch wichtiger – zur erneuerten Liebesbeziehung führen. „Die Ehe ist und bleibt die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann“, prophezeite schon vor etlichen Jahren der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard.

Vorbereitung auf die nächste Wegstrecke

Ehe versteht sich heute mehr denn je als gemeinsamer Lebensweg mit bestimmten Wegetappen. 21 Auf die nächste Wegstrecke – die Ehe im Alter – müssen sich die Eheleute frühzeitig einstellen und vorbereiten. In der Familienphase haben nicht wenige Ehepaare vergessen, dass sie zwar Eltern geworden, aber auch Eheleute geblieben sind. So verlangt die Ehe im Alter besonders intensiv eine Neuund Umorientierung. Jeder Wandel schließt Abschied von bisher Gewohntem, Vertrautem, Liebgewonnenem ein. Aber Wandel fordert zugleich dazu heraus, das noch Ausstehende, noch nicht Erreichte mutig anzugehen und sich gemeinsam neue Lebensziele und Lebensmöglichkeiten zu erschließen. Dann bleiben Lebensmut und Lebensfreude bis ins hohe Alter erhalten. „Altsein ist ein herrlich Ding, wenn man nicht verlernt hat, was Anfangen heißt“, ermuntert Martin Buber, der weise Philosoph.
Jede Lebenswende braucht Mut und Kraft. Eheleute müssen die Veränderung in ihrer Beziehung mutig und zuversichtlich angehen, solange noch entsprechende Ressourcen vorhanden sind. Wer glaubt, sich damit Zeit lassen zu können, überschätzt die eigene Spannkraft und die des Partners. Es fehlen dann Schwung und Elan zur Neuorientierung. In die lebenslange Ehe – die keinesfalls „lebenslänglich“ bedeutet – müssen Eheleute bis ins hohe Alter viel an Lebenskraft investieren. Ehe gelingt nicht „von allein“ ...
So auch die Erfahrung eines Ehepaares, das vor kurzem seine „Eiserne Hochzeit“ feiern durfte:
„An einer solch langen Ehe muss man hart arbeiten. Das ist nicht immer Honigschlecken. Man muss das Zusammenleben und das Zusammenbleiben wirklich wollen. Es gibt Momente, wo man auch mal seine Zweifel hat, das müssen wir schon sagen. Man muss sein Ego zurückstellen, ohne sein Selbst zu verlieren. Das haben wir beide doch ganz gut hingekriegt!“

Wo christlicher Glaube helfen kann

Ein Wochenende mit Ehepaaren, die kurz vor ihrer Goldenen Hochzeit stehen, und den Austausch mit Gleichgesinnten suchen. In kleinen Gruppen soll ein Ehe-Haus gebaut werden, das auch in den kommenden Jahren weiterhin noch schützt und hält. Die Bausteine liegen auf dem Tisch: längliche Kartonstreifen. Beschriftet mit Aussagen wie Treue, Vergebung, Zärtlichkeit, Selbstverwirklichung, Glück, Annahme, Anerkennung, Streit, Versöhnung, Glaube, Kirche usw.
Welchen Stellenwert haben die einzelnen Aussagen für die Ehe? Was muss ins Fundament des Hauses?  Was gehört zu den tragenden Wänden? Was dient eher der Verschönerung des Hauses? Und was ist gar überflüssig und kann zum Bauschutt geworfen werden?
In gemeinsamen Ehepaargruppen oder in getrennten Frauenbzw. Männergruppen wird heftig diskutiert und die einzelnen Bausteine hinund hergeschoben, bis endlich eine Einigung gefunden worden ist. Stolz präsentieren die Gruppen ihr Ehehaus.
Dann die Überraschung: Wo liegen eigentlich die Bausteine, die mit Glaube und Kirche zu tun haben? Im Fundament, als schmückendes Beiwerk, als Schornstein oder gar als überflüssiges Anhängsel auf dem Bauschutt?
Und schon beginnt die Diskussion! Einer schlägt vor: Bauen wir damit eine Kapelle im Garten. Alle finden es eine gute Idee und atmen erleichtert auf. Kapelle im Garten, statt fester Bestandteil des Hauses. Der Glaube bleibt „draußen vor“! Aber eigentlich ist es doch gut, ihn „irgendwo“ zu wissen: für Notfälle, Weihnachten, Festtage in der Familie. Fazit: Glaube und Leben klaffen heute mehr denn je weit auseinander. Auch und zunehmend in der älteren Generation ...
Christlicher Glaube will Lebenshilfe sein. Leben will gedeutet sein, einen Sinn haben, ansonsten bleibt es inhaltsleer und bedeutungslos. Der Glaube bleibt dann buchstäblich „außer Haus“. Aber die Suche nach Lebenssinn und Lebenshoffnung bleibt, verstärkt sich mitunter im Alter angesichts der wachsenden Erfahrung von der Endlichkeit des Lebens.
Wacher und gelebter Glaube gehört ins Fundament eines christlichen Ehehauses. Christen dürfen darauf vertrauen, dass ihr einst gegebenes verbindliches und unwiderrufliches Ja zueinander getragen wird von der uneingeschränkten und fest zugesagten Liebe und Treue Gottes zu uns Menschen. In einem Bild gesprochen: Der Blankoscheck, den die Ehepaare bei ihrer Trauung einander ausgestellt und im Laufe der vielen Jahre ihrer Ehe immer wieder neu bestätigt haben, ist durch die Liebe und Fürsorge Gottes immer schon gedeckt.
„Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet, bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan, und ich werde euch weiterhin tragen, ich werde euch schleppen und retten.“ Was für eine Frohe Botschaft spricht aus diesem Jesaja-Vers 46,4!

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