Vom Eifer Karl Borromäus’ angestecktKatholische öffentliche Büchereien

Am 4. November feiert die katholische Kirche das Fest des heiligen Karl Borromäus. Bereits 1926 führte die Fuldaer Bischofskonferenz den Borromäussonntag ein, der seitdem jeweils am Sonntag nach dem 4. November stattfindet und heute „Buchsonntag“ heißt. An diesem Tag steht die vielfältige Arbeit der Katholischen öffentlichen Büchereien im Fokus der Gemeinden. Jedes Jahr veröffentlicht der Borromäusverein eine Broschüre zum Buchsonntag mit Elementen zur Gottesdienstgestaltung, die als Download auf www.borromaeusverein.de den Büchereien und Pfarrgemeinden zur Verfügung steht.

Karl Borromäus, Erzbischof von Mailand, ist der Patron des Borromäusvereins. Wie kam es dazu?
Karl Borromäus wirkte in der Zeit der Gegenreformation und des Konzils von Trient. Er reformierte die Priesterbildung und die Seelsorge und stellte Missstände in seiner Diözese ab. Schon früh sammelte Karl Borromäus junge Talente in seiner Akademie, der er den illustren Namen „Vatikanische Nächte“ gab und in der man sich klassischer Bildung im Sinne der Renaissancekultur und später auch theologischen und geistlichen Themen widmete. Für die neue Zeit der Kirche nach dem Konzil von Trient wurden neue Priester gebraucht, die gut ausgebildet waren und bei denen nach Karl Borromäus’ Wunsch Leben und Verkündigung eins sein sollten.
Das fast völlige Fehlen der Predigt in der Kirche der damaligen Zeit bewirkte nach Borromäus’ Erkenntnis im Volk Unwissenheit und Verwirrung in religiösen Dingen. Karl begann nach seiner Bischofsweihe intensiv mit der Verkündigung des Evangeliums. Der Jesuit Valerio Adorno schreibt über Karl: „Sonntags und an den Festtagen predigte er zum Volk. (…) In der Fastenzeit sprang er auch für einen verhinderten Prediger ein.“ Solches war vollkommen untypisch für einen Bischof der damaligen Zeit in Italien.
Bischöfe predigten nicht und schon gar nicht wären sie für einen verhinderten Prediger eingesprungen. Das wäre unter ihrer Würde gewesen. Karl Borromäus war ein Mensch der Kommunikation: Er stand in andauerndem Austausch von Informationen mit vielen Menschen innerhalb und außerhalb seiner Diözese, beriet bei Problemen, gab Anregungen und scheute auch nicht vor Tadel zurück.
Karl Borromäus sollte 300 Jahre später zum Patron eines katholischen Vereins werden, der sich ganz allgemein der „Belebung christlicher Gesinnung und Anregung zu einer entsprechenden Werktätigkeit“ widmen wollte. Bezeichnend ist, dass sich die konkrete Aufgabe und damit das Apostolat, dem sich der Verein widmen sollte, in den Irrungen und Wirrungen der Zeit erst nach spannenden Umwegen herauskristallisiert hat.
Von den Visitationsreisen von Karl Borromäus ist unter anderem überliefert, dass er Bibliotheken in Priesterseminaren entrümpelte und neu einrichtete. Wenn auch Bildung und mit ihr Bibliotheken tatsächlich eine entscheidende Rolle für Karl Borromäus spielten, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass Karl Borromäus als Patron für den katholischen Verein, der gegründet werden sollte, ursprünglich für ein anderes Apostolat ausersehen war: Freiherr Max von Loë, Landrat des Siegkreises, hatte im September 1843 auf dem rheinischen Provinziallandtag den Antrag gestellt, die Schwestern vom hl. Karl Borromäus vom Mutterhaus des Ordens in Nancy als Pflegerinnen ins Rheinland zu holen. Dazu wollte er einen entsprechenden Verein der „Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus in der Rheinprovinz” gründen. Hierzu ist es aber auf Grund von politischen Widerständen nicht gekommen. Max von Loë und weitere Mitstreiter gaben aber nicht auf und entwickelten weitere Ideen, um ihre katholischen Anliegen zu stärken. Der Zweck des Borromäusvereins wurde schließlich in seiner ersten Satzung ganz allgemein mit „Belebung christlicher Gesinnung und Anregung zu einer entsprechenden Werktätigkeit“ festgelegt.
August Reichensperger, der spätere Zentrumspolitiker, gab dem Verein dann die entscheidende Richtung auf das Buch und die Buchverbreitung vor und stellte so die Weichen für die zukünftige Entwicklung des Borromäusvereins.
Hans Maier schreibt: „Dass man sich hinter Carlo Borromeo sammelte, dem Bischof der tridentinischen Reform, dem Kämpfer und Volkserzieher, war kein Zufall, sondern Programm.“
Der geschichtliche Kontext, in dem sich die Gründung des Borromäusvereins bewegt, ist die katholische Bewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der sich Katholiken selbstbewusst zusammenschlossen, um in Staat und Gesellschaft Gehör zu finden.
Das 19. Jahrhundert war für die Katholiken von Säkularisation, der Zerstörung des klösterlichen Bildungswesens, dem Kulturkampf und der lange anhaltenden Benachteiligung der Katholiken in Bildung, Wissenschaft, Verwaltung und Politik gekennzeichnet. Industrialisierung und sozialer Umbruch veränderte die Lebenswelt besonders vieler Katholiken. Sie wurden jetzt mit einer neuen Kultur konfrontiert, die auf dem Wort und der Schrift beruhte und nicht mehr wie bislang auf Brauchtum, Bildern und mündlicher Erzählung. In solcher Lage leisteten die neu ins Leben gerufenen Borromäusbibliotheken gerade für Menschen in ländlichen und industriellen Gebieten eine unentbehrliche Lesehilfe. Hans Meier beschreibt: „Wir wissen aus Lebensläufen, wie glücklich gerade Arbeiter, Angestellte, Handwerker und nicht zuletzt die vielen aus ländlichen Großfamilien in die Städte wandernden Frauen und Mädchen waren, wenn sie sonntags nach der Messe in der Nähe der Kirche eine Bibliothek fanden, die neben Erbaulichem und Frommem auch Unterhaltendes bereithielt.“ Der Borromäusverein nahm alle Menschen in den Blick. Er wählte an Lektüre aus, „was für alle, nicht nur für wenige geeignet war“ (Hans Meier).
Der Borromäusverein verbreitete sich in fast alle Länder im katholischen Deutschland mit Ausnahme Bayerns, wo bereits ein katholischer Büchereiverband existierte. In weniger als einem Jahrzehnt formierte sich der Borromäusverein zu einer profilierten Organisation zur Förderung des Lesens, zur Verbreitung von Büchern, zur Gründung und Unterstützung von Bibliotheken und zur literarischen Information und Beratung. „Das gute Buch“ war Dreh- und Angelpunkt des Wirkens des Borromäusvereins. Von Anfang an hat der Borromäusverein im Unterschied zur bayerischen Gründung über erbauliche und belehrende Schriften hinaus Belletristik und Unterhaltungsliteratur in breitem Maße in sein Programm einbezogen. War der Borromäusverein zunächst als ein Zusammenschluss von Vereinsbibliotheken für die Mitglieder gedacht, hatten die neue Vereinssatzung und Geschäftsordnung von 1900 die Öffnung für alle Interessierte bestätigt, die schon einige Jahre vorher mehr und mehr praktiziert worden war.
Ebenfalls 1900 begründete August Esser die Borromäusblätter, eine literaturkritische Zeitschrift mit Sammel- und Einzelrezensionen, aus der die heutige Zeitschrift medienprofile hervorgegangen ist.
Fixpunkt blieb die katholische Orientierung, einer christlichen Gesinnung und entsprechender Werktätigkeit die zeitgerechte Form und Aktualität zu geben.
Die nächsten politischen Wirrungen sollten nicht allzu lange auf sich warten lassen. In der Zeit Reichskulturministerium durch 31 sein Schreiben vom 27.07.1935 angeordnet, dass bei den Borromäusbüchereien der Begriff „Volksbüchereien“ unbedingt zu vermeiden sei.
Die Borromäusbüchereien sollten zukünftig einheitlich „Katholische Pfarrbüchereien“ genannt werden, um den konfessionellen Charakter hervorzuheben. Auf Anordnung des Reichserziehungsministeriums mussten zum 1. Januar 1941 alle Schriften nicht religiösen Charakters aus den kirchlichen Büchereien entfernt werden. Explizit genannt waren Autoren wie Charles Dickens, Marie von Ebner-Eschenbach, Theodor Fontane, Gottfried Keller, Karl May, Mark Twain und Edgar Wallace. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die „Pfarrbüchereien“ hin zu „Katholischen öffentlichen Büchereien“ weiterentwickelt. Der konfessionelle Bezug wurde nicht mehr als von den Nationalsozialisten aufoktroyierte Grenze, sondern als Identitätsmerkmal vorgestellt. Der öffentliche Bezug nahm die Zielgruppe, die aus allen Interessierten bestehen sollte, in den Blick.
Heute stellen Katholische öffentlichen Büchereien Treffpunkte dar, die zum Austausch von Alltagsgeschichten, Leseerlebnissen und Glaubenserfahrungen und natürlich zum Ausleihen von Büchern und weiteren Medien einladen. In weit über 27 Millionen Entleihungen, 11 Millionen Besuchen und 66.000 Veranstaltungen im Jahr wird die Leistung deutlich, die die 35.000 zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Katholischen öffentlichen Büchereien für die Pfarr- und Ortsgemeinden heute erbringen.
In den Basis-12-Kursen und den Weiterbildungskursen zur kirchlichen Büchereiassistentin / zum kirchlichen Büchereiassistenten des Borromäusvereins werden Ehrenamtliche für ihre Aufgabe in den Katholischen öffentlichen Büchereien grundlegend qualifiziert.
Lesepastoral – Literarische Arbeit als diakonisches Geschehen
Lesen ist eine Grundbedingung für menschliche Freiheit. Menschen, die keinen Zugang zum Lesen gefunden haben oder sogar durch funktionalen Analphabetismus an der vollen Teilhabe an unserer Gesellschaft gehindert sind, können an wichtigen gesellschaftlichen Prozessen nicht teilnehmen. Sie sind immer abhängig von anderen und eher der Manipulation durch andere ausgesetzt.
Wenn hingegen kleine Kinder schon beim gemeinsamen Ansehen von Bilderbüchern erzählen, was sie auf den Bildern sehen, dann ist das bereits der erste Schritt zum selbstständigen Lesen und zum Verstehen von sprachlich formulierten Gedanken. Die Hinführung zum Buch, die Anregung zum Lesen ist ein Dienst am Glauben der Menschen, eine Orientierungshilfe in einer immer stärker technisch funktionalisierten Welt. Augustinus hörte in der entscheidenden Stunde seiner Bekehrung die Aufforderung Gottes: „Nimm und lies!“ Der heilige Ignatius von Loyola kam nach seinen Ritter-Abenteuern auf dem Krankenbett durch die Lektüre des „Lebens Christi“ von Ludolf von Sachsen und der Heiligenlegenden der legenda aurea zu seiner inneren Verwandlung.
Lesen kann zu einem sensiblen Gebrauch der Sprache führen und zum Nachdenken anregen. Nachdenken heißt auch mehr Gründlichkeit. Dies baut der Versuchung moderner Medien vor, alles vereinfacht darstellen zu wollen. Unter dem Einfluss der Massenmedien ist es zu dem Paradoxon gekommen, dass das Verhältnis von Informierten und Nichtinformierten größer statt kleiner geworden ist.
Die Katholischen öffentlichen Büchereien bieten mit ihrer Medienauswahl Angebote zur Auseinandersetzung mit Fragen des täglichen und religiösen Lebens, zur Sachinformation und zur Lektüre schöner Literatur.
In vielen Lesekreisen, die von den Katholischen öffentlichen Büchereien veranstaltet werden, kommen Menschen zusammen und tauschen sich über gemeinsam gelesene Bücher aus. Sie bringen zur Sprache, was sie bewegt, beeindruckt, langweilt, motiviert, an was sie sich reiben, wo ihnen ein Licht aufgegangen ist. Dieses Miteinander-Teilen ist wertvoll an sich und kann schnell zum wertvollen Glaubensgespräch werden. Auch wenn das dem Austausch zu Grunde liegende Buch zunächst gar kein explizit religiöses Thema hat, können die vielfältigen Menschheitsthemen, die vielleicht in einem Roman aufscheinen, zu den tieferen Dimensionen führen, auf deren Grund Gott geahnt werden kann.
Georg Langenhorst stellt fest: „Die Auseinandersetzung mit dieser Erfahrungsdimension ermöglicht moralisches und religiöses Identitätswachstum. Die Fähigkeit wird gefördert, die Mehrdimensionalität von Wirklichkeit wahrzunehmen.“ Die Orientierung, die von den Katholischen öffentlichen Büchereien mit Hilfe ihres Buch- und Medienbestandes gegeben wird, stellt das Christliche in all seiner Vielfalt dar. Schließlich wirkt die Katholische öffentliche Bücherei in die säkulare Gesellschaft hinein, die an dieser Stelle keine Berührungsängste kennt, sondern den kirchlichen Partner durch die fachliche Kompetenz und die Menschlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr zu schätzen gelernt hat.

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