Rezensionen: Theologie & Kirche

Lintner, Martin: Von Humanae vitae bis Amoris laetitia. Die Geschichte einer umstrittenen Lehre. Innsbruck: Tyrolia 2018. 162 S. Kt. 14,95.

Am 25. Juli 1968 wurde Humanae vitae (HV), die Enzyklika von Papst Paul VI. über die Weitergabe des Lebens, veröffentlicht. Dieses Lehrschreiben hat bekanntlich seit dem Erscheinen wegen des darin ausgesprochenen Verbots der künstlichen Empfängnisverhütungsmethoden heftige Diskussionen ausgelöst. Fünfzig Jahre nach Erscheinen präsentiert Martin Lintner, Professor für Moraltheologie in Brixen, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von HV.

Der erste Teil zeigt die Genese der Enzyklika im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, den Kommissionen zur Vorbereitung des päpstlichen Schreibens und den Berater- und Autorengruppen in der Textierungsphase. Daraufhin zeichnet Lintner Grundlinien der lehramtlichen Rezeption im Blick auf einige Bischofskonferenzen und die Päpste nach. Im dritten Teil diskutiert Lintner die Argumente und Gründe für das Verbot der künstlichen Empfängnisregelung.

Mit diesem gut lesbaren Buch gibt Lintner einen soliden Überblick über die Enzyklika. Die Ausführungen machen darauf aufmerksam, dass die Genese und Rezeption von HV nicht nur bei der Interpretation, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung der katholischen Morallehre Beachtung verdienen: Erstens zeigt die Entstehungsgeschichte, dass Kontakte einzelner Personen zum Papst einflussreicher gewesen sein dürften als die Kommissionen. Zugleich wird deutlich, dass klug zusammengesetzte Kommissionen neue Einsichten in Lebensvollzüge und in die Tragfähigkeit der Argumentation eröffnen können. Zweitens ist bedeutsam, dass die grundlegenderen Konfliktpunkte in Themen liegen, mit denen die Normfragen in der katholischen Sexualmoral verwoben sind und bei denen unterschiedliche Positionen vertreten werden: im Verständnis der Entwicklung der Morallehre, im Gewissenskonzept, im Zusammenhang von Glaube und Moral sowie im Glaubenssinn der Gläubigen (124-126). Drittens dürfte ein Grund für die Schwierigkeiten der Rezeption in der Enzyklika selber liegen, insofern sie die Konzilsaussagen zu Ehe und Sexualität „nicht als wesentliche Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre“ (71) interpretiere und die personale Sicht von HV auf die Ehe in der Normbegründung nicht einhole (73).

Teil der Wirkungsgeschichte ist das Wissen: Wer zur theologisch-ethischen Auseinandersetzung mit der Lehre von HV beiträgt, kann sich rasch mit der Infragestellung seiner oder ihrer Rechtgläubigkeit konfrontiert sehen. Das Buch hinterlässt den Eindruck, dass gerade in solchen moraltheologischen Beschäftigungen mit der Enzyklika ein Dienst an der Moralverkündigung besteht. Lintners Ausführungen sind informiert und wohl bedacht. Sie weisen einen Weg hin zu einer Weiterentwicklung der Lehre vermittels der Verständigung über die „konsensfähige Position hinsichtlich der Methoden der Empfängnisregelung“ (13). Das Buch ist ein Beitrag ganz auf Linie des Anliegens von Papst Franziskus in seinem Schreiben Amoris laetitia (Nr. 82 u. 222), die „Botschaft von Humanae vitae“ (127) von der ehelichen Liebe und der Würde der Person neu zu entdecken sowie fruchtbar zu machen. 

Edeltraud Koller

 

 

Vogl, Wolfgang: Meisterwerke der christ­lichen Kunst zu den Schriftlesungen der Sonntage und Hochfeste Lesejahr C. Regensburg: Pustet 2018. 680 S. Gb. 29,– (/35,– ab 2019).

Für die Schriftlesungen der katholischen Sonntagsmesse gibt es eine Leseordnung, nach der ein Zyklus von drei Lesejahren vorgesehen ist und sich die Texte danach wiederholen. Nachdem für die Lesejahre A und B jeweils ein solcher Band schon vorliegt, erscheint nun rechtzeitig zum Beginn des Lesejahres C, in dem mit dem Lukas-Zyklus die wohl tiefsten und bekanntesten Evangelien-Perikopen gelesen werden, dieser dritte Band: Für jeden Sonn- und Feiertag wird zu einem Lesungstext ein herausragendes Werk der Kunstgeschichte abgebildet und ausführlich kommentiert.

Als Bilder werden fast ausschließlich Alte Meister gewählt, mit drei Ausnahmen, die alle sehr bekannt sind: ein Gemälde von Vincent van Gogh und zwei von Sieger Köder (374, 179, 431) – warum hat man nicht den Mut zu mehr und außerdem zu anspruchsvollerer Moderne? Bei den Alten Meistern ist die Auswahl insgesamt gut gelungen, auch mit unbekannten Bildern und mit solchen, die neue und ungewöhnliche, bisweilen schroffe Deutungen bieten. Bemerkenswert sind etwa drei von Tintoretto (Weihnachten, 47; Abendmahl, 151; Marta und Maria, 382), das Bernward-Evangeliar zu Epiphanie (das Kind liegt auf einer goldenen Altarplatte, das den Bezug zur Eucharistie andeutet, 87), die Beatus-Apokalypse (zum Himmlischen Jerusalem, 211) oder Antonio Ciseri (die makkabäische Mutter mit ihren sieben Söhnen, 485). Ausgewählt sind nicht nur Gemälde, sondern auch Buchmalereien, frühchristliche Mosaiken und ostkirchliche Ikonen. Die Motive sind nicht immer die des sonntäglichen Evangeliums, sondern gelegentlich auch die der alttestamentlichen Lesung, des Psalms oder der Epistel. Die Auswahl ist kompetent und klug gemacht, sie bietet reiche Anregung für die kunstgeschichtliche oder auch die meditative Beschäftigung.

Die begleitenden Kommentare bieten zuerst für den zugehörigen Schrifttext eine knappe Einführung, die leider mehr Paraphrase ist als tiefergehende theologische oder spirituelle Ausdeutung. Die anschließende kunstgeschichtliche und religiöse Beschreibung der Bilder ist sehr informativ und detailreich, aber bisweilen allzu ausführlich und langatmig. In ihrem literarischen Niveau begegnen die Texte den von ihnen beschriebenen großen Kunstwerken kaum auf Augenhöhe; beispielsweise soll für fast jeden Maler und jedes Werk gelten: „…gehört zu den bedeutendsten…“. Die Kommentare sind nie kritisch, sondern immer affirmativ-fromm. Auch bleibt der Leserschaft anheimgestellt, sich die Bilder und Schrifttexte für ihr heutiges spirituelles Leben zu erschließen.

Wer sich sonn- und feiertäglich durch große Kunstwerke der Geschichte auf die Liturgie einstimmen möchte, ist mit diesem reichhaltigen und gut ausgestatteten Band bestens bedient. Er zeigt auch, zu welch großer Kunst der Glaube über Jahrhunderte angeregt hat, wie er Menschen begeistert und in ihrer tiefsten Sehnsucht geprägt hat und wie er Kultur und Leben gestiftet hat – bei der Musealität des Zugangs kann man aber der Frage nicht entkommen, ob diese altmeisterliche Glaubens-Kunst-Welt nicht vielleicht doch dem Untergang geweiht ist?

Stefan Kiechle SJ

 

 

Janßen, Hans-Gerd / Prinz, Julia / Rainer, Michael (Hg.): Theologie in gefährdeter Zeit. Stichworte von nahen und fernen Weggefährten für Johann Baptist Metz zum 90. Geburtstag (Fundamentaltheologische Studien 50). Münster: LIT 2018. 582 S. Kt. 39,90.

Fürwahr, ein stattlicher Schmöker. Zugleich ein Who-is-Who hochinteressanter theologisch und randständig interessierter und kompetenter Zeitgenossen. Die Entscheidung der Herausgeber, die 145 Autorinnen und Autoren alphabetisch zu ordnen, lädt zudem zum Stöbern ein.

Zudem laden die teilweise rätselhaften, an Grafiken erinnernden Fotografien der Herausgeberin Julia D.E. Prinz zur Meditation ein. Zwölf Autorinnen sind an dem Band beteiligt und vier Bischöfe.

Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Beiträge die Bewunderung für Metz‘ Compassio und Memoria: zwei Begriffe, die in seiner Theologie Nachfolge Jesu praktisch werden lassen und gesellschaftspolitisch und -kritisch relevant sind. Ihm ist die Shoa lebensgeschichtlich zum Auslöser und zur Triebfeder seiner Theologie geworden. Folgerichtig wird seine Theologie als verantwortungsbewusste politische Theologie wahrgenommen, die gewissermaßen einen europäischen Brückenkopf zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie bildet. Zugleich wird aus vielen Zeugnissen das Charisma deutlich, das die Person des Geehrten auszeichnet.
Stellvertretend für viele stehe hier das Zeugnis von Fulbert Steffensky: Zum Begräbnis seiner Frau Dorothee Sölle erschien als einziger katholischer Theologe Metz, nahm Fulbert in die Arme und sagte: „Nimm mich für den ganzen Katholizismus!“ (494).

Für viele Autoren ist Metz ein menschlicher oder theologischer Anreger; manche haben seinen Weg ein Stück begleitet, manche sind nur sporadisch mit ihm zusammengetroffen. Zu letzteren gehört Dorothea Sattler, die mit Metz‘ Schriften früh und mit ihm selber spät in Münster zusammentraf. Sie mahnt gegen den „Schmerz der Erinnerung“ (413), den sie durch ein Gedicht von Erich Fried aufwertet, die heilende Kraft des Vergessens an (414).

Unzweifelhaft ist Metz der Anreger, wenn nicht sogar Gründer einer inspirierenden Einrichtung in Münster, des ITP (Institut für Theologie und Politik), aus dem Julia Lis (285 ff.), zum Kampf ums solidarische christliche Subjekt aufruft und Michael Ramminger (388 ff.) an die messianische Kraft der Menschen erinnert und appelliert, die er durch die Banalisierung des Gottesgedankens (391) bedroht sieht. Und er ist der akademische Lehrer vieler Autoren, die sich biografisch weit von theologischen Ursprüngen wegentwickelt haben, aber dennoch die Prägung durch Metz lebensgeschichtlich bedeutsam erfahren haben.

„Das Momentum Johann Baptist Metz wirkt weiter“, formuliert beispielsweise Michael J. Rainer (387), der eine begeisterte Hommage beigesteuert hat.
Von der Erinnerung lässt sich Alberto da Silva Moreira inspirieren, wenn er Lichtgestalten der Befreiungstheologie wiedererstehen lässt (82 ff.).

Kurz: Der dicke Wälzer enthält den Dunstkreis eines international wirkenden inspirierenden, schlagfertigen, leidenschaftlichen Menschen und Theologen, dessen Wirkung offenbar weit über den wissenschaftlichen Diskurs hinausreicht. Wer sich auf die Lektüre einlässt, muss auch die unter Theologen nicht selten üblichen wortreichen Wortgeklingel in Kauf nehmen. Aber man findet auch viele Perlen darunter, die zum Nachdenken nötigen. Julia D.E. Prinz (378 ff.) beispielsweise fordert auf, über Zeit nachzudenken, sie, die durch Fotografien ständig den Gang der Gedanken und der Zeit durch komplexe Deutungsmuster anhält und unterbricht.      

Eberhard Ockel

McGinn, Bernard: Die Mystik im Abendland. Bd. 6/2: Verzweigung: Die Mystik im goldenen Zeitalter Spaniens (1500-1650). Freiburg: Herder 2018. 512 S. Gb. 80,–.

Mit bewundernswerter Beständigkeit entwickelt sich seit Jahrzehnten das Opus Magnum des amerikanischen Forschers Bernard McGinn über die Mystik-Geschichte. Im zweiten Teilband des sechsten Bandes stellt er nun einen Höhepunkt dieser Geschichte dar, die spanische Mystik des Siglo de Oro, der Zeit von 1500 bis 1650. Schwerpunkte sind die drei Berühmtheiten Ignatius von Loyola, Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz, aber auch aus deren Umfeld werden zahlreiche Mystikerinnen und Mystiker vorgestellt.

Auf Ignatius ist der Blick recht frisch, was sicher auch daran liegt, dass der Autor als Nichtjesuit die Texte gleichsam von außen liest. Er zentriert sich auf die Frage nach der Mystik – eine schmerzliche Beschränkung bei einer so reichen Persönlichkeit, aber auch ein heilsamer Fokus. Und er fragt theologisch – ergiebiger als der in der „säkularen“ Mystik-Forschung eher verbreitete literaturgeschichtliche Ansatz. Ignatius war in der Mystik-Geschichte in gewisser Weise ein Solitär, weil er nicht episch breit seine Erfahrungen und Reflexionen entfaltet, sondern gleichsam technisch, pädagogisch kürzelhaft und ohne literarischen Anspruch schreibt. Auch hat er zwar keine theologische Ambition, aber dennoch Theologie. Seine Besonderheiten sind, dass er etwa die Armutsregelungen des Ordens, also eine schwierig zu entscheidende „Struktur“-Frage, die allerdings geistliche Bedeutung hat, mit mystischer Bestätigung zu klären sucht und dass seine Mystik durchgängig auf das Apostolat hin geordnet und von diesem genährt wird.

Die karmelitische Mystik von Teresa und Johannes ist hingegen sehr viel literarischer. McGinn stellt deren Hauptwerke ausführlich vor, bisweilen mit etwas zu reichlicher und langatmiger Nacherzählung der Inhalte der Schriften. Aber die Darstellung ist auch theologisch deutend, und sie stellt immer wieder Bezüge her quer durch die Geschichte der Mystik. Historische Hintergründe über das katholische Spanien werden lebendig gemacht, etwa die absurde Diskriminierung der Conversos, die seltsame Rolle der Inquisition oder die Streitereien zwischen den Orden – alles heute kaum mehr nachvollziehbar. Wie konnte in solch restriktiv-autoritären „Systemen“ die Mystik dennoch so grandios erblühen – ein selbst durchaus mystisches Rätsel? Auch die Beschreibung der Ekstasen und Visionen und ähnlich manche theologische Spekulation werden uns fremd bleiben. Doch McGinn kann aufzeigen, dass etwa die „Innere Burg“ der Teresa „kein Bericht über ekstatische Gaben sein, sondern einen Weg aufzeigen will, der mit dem Gottmenschen Jesus Christus in die Mitte führt, womit er seine Nachfolger in das Innenleben der Dreifaltigkeit einführen will“ (266). Über Johannes schreibt er: Visionen seien für ihn unwichtig, die Demut ist wichtig (338). Und seine Definition von mystischer Erfahrung (contemplación infusa) sei „denkwürdig“: „Kontemplation ist ja nichts anderes als ein geheimes, friedliches und liebendes Einströmen Gottes, so dass er, wenn man ihm Raum gibt, den Menschen im Geist der Liebe entflammt“ (345).

Um diese drei überragenden Gestalten herum gab es in Spanien Hunderte weitere Christen, die gut bezeugte mystische Erfahrungen hatten. McGinn stellt einige vor und beschreibt damit diesen unglaublichen Strom christlichen Lebens – in aller Fremdheit eine weitende und darin heilsame Anregung für heutiges spirituelles Leben, für die Theologie und ebenso für manche kirchliche Reformbemühung.

Stefan Kiechle SJ

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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