Das Umziehen in der Garderobe stressfrei gestaltenJacke wie Hose?

Viele pädagogische Fachkräfte kennen sie, die hektischen, lauten Situationen in der Garderobe. Doch es geht auch anders. Wie es Ihnen gelingt, eine ruhige und entspannte Atmosphäre beim An- und Ausziehen der Kinder zu schaffen, lesen Sie im zweiten Beitrag unseres Fachthemas.

Jacke wie Hose?
© Harald Neumann, Freiburg

Die Stressbelastung beim Anoder Ausziehen der Kinder hängt von vielen Faktoren ab: von der Gruppenzusammensetzung, der Raumgröße und der Ausstattung, aber z. B. auch von der Wetterlage. Manche Kleidungsstücke erfordern mehr Hilfe beim Anziehen als andere. Nicht zuletzt wirken sich auch die tagesabhängigen Stimmungen der Kinder sowie der pädagogischen Fachkräfte auf das Gesamtklima aus. Entsprechend kann die Situation in der Garderobe höchst unterschiedlich verlaufen.

Komplexe Einflüsse

An- und Ausziehen gehört, wie Essen, Schlafen usw., zu den sogenannten Aktivitäten des Lebens (Roper, Logan & Tierney 2009), die Kleinkinder mit der Hilfe von Erwachsenen nach und nach selbst bewältigen lernen. Sie sind für den pädagogischen Alltag in der Krippe besonders wichtig, weil die Kinder durch sie ihre Selbstpflegekompetenzen aufbauen (Orem 1985; Gutknecht 2015) und schrittweise lernen, die Verantwortung für den eigenen Körper zu übernehmen. Schließlich können sie, abgestimmt auf das Wetter und die Aktivität, passende Kleidung auswählen und sich selbstständig an- und ausziehen. Eingebettet in den Kita-Tagesablauf ist das An- bzw. Ausziehen immer auch der Übergang von einer Aktivität in die nächste: eine Mikrotransition (zu Mikrotransitionen s. auch Ausgaben 1-6/2015).
Diese beiden Aspekte treffen in der Garderobe aufeinander und bringen unterschiedliche Notwendigkeiten mit sich. So benötigt das An- und Ausziehen als Pflegeaktivität Zeit und Aufmerksamkeit. Andererseits ist das Umziehen ein Übergang zwischen der vorausgehenden und nachfolgenden Aktivität und somit in einen zeitlichen Rahmen eingebettet. Für die Pädagoginnen liegt die Herausforderung also darin, zum einen die Kinder individuell und aufmerksam zu begleiten, zum anderen die gesamte Gruppe im Blick zu behalten und zu managen, d. h. Konflikte entschärfen, die Tür im Auge behalten ... Beides gleichzeitig ist kaum möglich.
Betrachtet man die Prozesse, die in der Garderobe ablaufen, detailliert, wird deutlich, dass die Situation für die Kinder ebenso komplex ist. Um sich aktiv beteiligen zu können, müssen Kinder ein sogenanntes Skript entwickeln, eine Art Drehbuch der Situation. Sie verinnerlichen, dass sie in der Garderobe zuerst ihren Platz aufsuchen, weil sich dort ihre Kleidung befindet, dass sie die Hausschuhe ausziehen müssen, um die Matschhose anziehen zu können … Und sie lernen, welche Bewegungen notwendig sind, um in die Jacke zu schlüpfen, bzw. wie die Assistenz in der Interaktion mit der pädagogischen Fachkraft verläuft. Erschwert wird das dadurch, dass auch die Kinder häufig gestresst sind. Möglicherweise fühlen sie sich bedrängt (viele Kinder auf engem Raum), gehetzt (durch die pädagogische Fachkraft), oder es ist ihnen zu laut, die Fachkraft steht nicht zur Verfügung, obwohl der Reißverschluss hakt … Oder sie sind schon früher als andere fertig und bleiben sich selbst überlassen: Es entsteht Langeweile. Der Stress wird also durch viele, teils strukturelle Faktoren verursacht: die Beschaffenheit des Raums, die Personalverfügbarkeit, die eingeplante Zeit sowie Konflikte und zu viele Anforderungen. Daraus entstehen Interaktionsabbrüche auf beiden Seiten. Sie führen dazu, dass die Situation negativ erlebt wird. Doch schon kleine Veränderungen, die von den Kindern gut mitgetragen werden, können die Situation spürbar entspannen.

Interaktion verbessern

Das Interaktionsverhalten der pädagogischen Fachkräfte prägt die Situation in der Garderobe entscheidend. Besonders bei Routinehandlungen besteht die Gefahr der kalten, funktionsorientierten Pflege. Idealerweise bekommen die Kinder genügend Aktionsraum, um aktiv und selbstbestimmt mitwirken sowie ihre Kompetenzen aufbauen und festigen zu können. Das Umziehen beansprucht in der Regel nur wenige Minuten, doch für das Kind bedeutet Passivität in dieser Situation Stress. Dieser wird vor allem durch Gleichgewichtsirritationen hervorgerufen, die immer einen kurzen Moment des Kontrollverlustes über den eigenen Körper bedeuten. Gleichgewichtsirritationen kommen dann zustande, wenn Erwachsene am Kind schnelle Handlungen mit zu viel Kraftanstrengung ausführen. Das Kind ist wegen seines kleineren Körpers und seiner motorischen Fähigkeiten noch nicht in der Lage, den Bewegungen der Erwachsenen zu folgen. Die Fachkraft sollte die Interaktion auf der Ebene der Bewegungen und Berührungen also passgenau abstimmen. Dafür sind sogenannte responsive Handlingkompetenzen wichtig. Die Fachkraft kennt den Bewegungsablauf des Kindes und ist deshalb in der Lage, darauf eine entsprechende Bewegungs- oder Berührungsantwort zu geben. Sie weiß z. B., mit welchem Arm das Kind beim Jacke-Anziehen normalerweise beginnt und kann dem Kind einen entsprechenden Impuls am linken Arm geben, falls es den Ärmel nicht findet. Orientiert sich die pädagogische Fachkraft hingegen beim Assistieren an den eigenen Routinen, ist das wenig hilfreich für das Kind – bzw. sogar irritierend. Für die Kita-Garderobe gibt es keine gesetzlich geregelten Raumgrößenangaben. In kleinen Räumen, in denen sich viele Kinder aufhalten und agieren, entstehen eher Auseinandersetzungen und Konflikte. Das zeigt die Praxis. Dort stattfindende Aktivitäten sind tendenziell stressbelasteter (vgl. Bensel / Haug- Schnabel 2012). Aber auch große Räume können Stress verursachen, wenn sie keine Strukturierung haben, die hilft, sich auf die jeweilige Aktivität zu konzentrieren. Den Kindern fällt dann die Orientierung schwerer, Unsicherheiten werden ausgelöst. Bei einigen Kindern wird der Bewegungsdrang aktiviert, insbesondere dann, wenn der Flur bzw. die Garderobe zu anderen Zeiten als Spielbereich genutzt wird.

Raum und Möbel anpassen

Der Raum beeinflusst auch unsere Wahrnehmung und Empfindungen. Licht und Farbanstriche können so gewählt werden, dass sie stressreduzierend wirken. Weil die Kleidung der Kinder meistens sehr bunt ist, werden ausgleichende Farbtöne empfohlen, wie etwa warmes Grün oder Grau. Indirekte Beleuchtung oder Tageslicht ist direkten, weißgrellen Lichtquellen vorzuziehen (vgl. Buck 2012). Zu große Räume können Sie unterteilen und dabei entstehende Nischen zusätzlich nutzen, indem Sie z. B. Beschäftigungsangebote für die Wartezeit integrieren (vgl. „Bücherkorb“ Ausgabe 1/15, S. 18, oder „Wandlandschaften“ Ausgabe 3/15, S. 18). Bei zu kleinen Räumen empfiehlt es sich, die Gruppe aufzuteilen (s. unten).
Auch das Mobiliar spielt eine Rolle: Die Kinder können sich dann aktiv beteiligen, wenn sie ihren Platz selbstständig finden und ihre Sachen in Kinderhöhe aufgehängt sind. Die Haken sollten entweder von den Sitzbänken getrennt sein – oder die Bank hat mind. 40 cm Tiefe, damit die Kinder trotz der im Rücken aufgehängten Kleidungsstücke genug Platz zum Sitzen haben. Ansonsten setzen sie sich beim Umziehen meist auf den Boden, was wiederum für die assistierende pädagogische Fachkraft unbequem ist und damit auf Dauer Stress verursacht. Die Erzieherinnen sollten idealerweise roll- und höhenverstellbare Stühle zur Verfügung haben, oder zumindest Hocker, Sitzkissen o. Ä. Es gibt weitere empfehlenswerte Lösungen, die je nach Kontext zu Verbesserungen führen (z. B. Podeste) – wichtig für die Planung ist, dass Sie sich vor Augen führen, wie sich das An- und Ausziehen in Ihrer Einrichtung konkret abspielt (s. Reflexionsfragen).
Ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor ist die Zeit. Auch hier gilt: Sowohl zu viel als auch zu wenig kann Stress verursachen. Besonders die Kinder, die viel Unterstützung benötigen, brauchen ausreichend Zeit, um gemeinsam mit der pädagogischen Fachkraft das An- und Ausziehen zu praktizieren. Doch häufig liegt das Tempo der Kinder weit auseinander. Das kann auf der einen Seite zu langem Warten führen (vor allem im Winter mit viel Kleidung unangenehm!), auf der anderen Seite zu gehetzten Momenten und Stress durch mangelnde Beteiligung des Kindes.
„Grouping“ (vgl. Malanfant 2006), das Aufteilen der Kinder in Kleingruppen, kann bei kleinen Räumen die Situation deutlich entspannen. Die „Schleuse“ ist eine weitere Organisationsstrategie, die Wartezeiten verkürzt. Die umgezogenen Kinder können die Garderobe bereits verlassen und durch eine Art Schleuse bzw. einen beaufsichtigten Korridor zur nächsten Aktivität übergehen: besonders geeignet für nachfolgende Aktivitäten wie Freispiel! Übergangsrituale wie Lieder, Klänge, ein bestimmtes Spiel usw. helfen den Kindern, sich zu orientieren und geben Struktur (s. z. B. „Leuchtsignale“ in Ausgabe 4/15).

Die Garderobe als Bildungsort

An- und Ausziehen in der Garderobe ist in jedem Fall mehr als nur der Übergang von einer Aktivität zur nächsten: Es ist eine wichtige Bildungs- und Pflegeaktivität, der häufig zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Planen Sie die konkrete Ausgestaltung dieser Situation bewusst und räumen Sie ihr evtl. mehr Zeit ein. So können Sie und die Kinder diese Situation als Bildungszeit, als intensiven Kontakt und als berührungs- und bewegungs-, aber auch sprachintensive Interaktion erleben.

Reflexionsfragen

  • Bezogen auf die Gruppengröße: Sind Raumgröße und Zeitmanagement angemessen und unterstützend? Sind genügend Fachkräfte in der Garderobe?
  • Macht die Gruppenkonstellation Schwierigkeiten?
  • Ist der Ablauf unterstützend gestaltet? Bauen die Handlungsschritte aufeinander auf, z. B. Wickeln, Anziehen usw.?
  • Wie ist die Garderobe gestaltet – bezogen auf das Mobiliar und die Raumstrukturierung? Ermöglicht diese Struktur einen reibungslosen Ablauf?
  • Wie ist der Geräuschpegel in der Garderobe? Wodurch wird dieser maßgeblich beeinflusst? Liegt der Lärm an der bloßen Anzahl der Kinder? Oder an ihrem Verhalten? Verursachen die Möbel oder der Fußboden laute, unangenehme Geräusche? Oder ist es eine Kombination aus beidem (die Kinder schlagen die Türen zu, ihre Schuhe quietschen auf dem Boden usw.)?

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