Buch und Film "Eingeimpft"David Sieveking: "Die aggressive Kritik macht mich sprachlos"

Autor und Filmemacher David Sieveking im Interview zu seinem Buch und den gleichnamigen Film "Eingeimpft. Familie mit Nebenwirkungen".

Buch und Film „Eingeimpft“ - David Sieveking: „Die aggressive Kritik macht mich sprachlos“
© 2017 Flare Film Adrian Stähli

Wir in der Redaktion machen immer wieder die Erfahrung, dass Impfen unter Eltern ein heikles Thema ist. Warum ist das so?

Beim Impfen kochen die Gemüter hoch, weil es um den Schutz vor potenziell ansteckenden Krankheiten geht, die nicht nur das eigene Kind betreffen. Es gibt auch eine soziale Komponente: Durch das Impfen sorge ich dafür, dass Krankheiten sich nicht ausbreiten können und auch Menschen, die zum Beispiel aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen, durch den sogenannten Herdenschutz vor einer Krankheit bewahrt werden. Problematisch ist bei dieser aufgeheizten Debatte, dass alle Impfungen und Krankheiten in einen Topf geworfen werden. Dabei spielt der soziale Aspekt tatsächlich nur bei einer Handvoll Impfungen wirklich eine Rolle, etwa bei Masern und Röteln. Bei Wundstarrkrampf hingegen gibt es keine Ansteckung von Mensch zu Mensch und mit Hepatitis-B infizieren sich auch keine Babys gegenseitig. Deshalb ist es verfehlt, Menschen, die bestimmte Impfungen nicht vornehmen oder später impfen als offiziell empfohlen, pauschal als „asoziale Trittbrettfahrer“ zu beschimpfen.

Aber Impfungen werden doch grundsätzlich empfohlen?

Natürlich spielen die offiziellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) eine große Rolle. Sie gelten als medizinischer Standard in Deutschland. Abweichungen von diesem Impfkalender sind vielen ein Dorn im Auge. In nicht wenigen Betreuungseinrichtungen herrscht schon eine Impfpflicht durch die Hintertür: Kinder, die nicht nach STIKO durchgeimpft sind, werden nicht zugelassen, obwohl es bei uns offiziell gar keine Impfpflicht gibt. Eigentlich müsste man in einem Land wie Deutschland, in dem die Bedrohung durch Infektionskrankheiten nicht mehr so brisant und rückläufig ist, ganz entspannt über das Thema sprechen können – ohne sich derartig die Köpfe einzuschlagen.

Haben Sie sich von den Kinderärzten gut beraten gefühlt?

Als die ersten Impfungen anstanden, hatte unsere Kinderärztin gar keine Zeit für Aufklärung. Sie teilte uns die STIKO-Empfehlungen mit und schickte uns nach Hause. Aber wir bekamen dann immerhin bei einem anderen Termin eine umfassendere Beratung. Insofern hatten wir eigentlich Glück, dass unsere spezielle Situation und unsere Sorgen ernst genommen wurden. Wobei unsere Ärztin mir damals hinter vorgehaltener Hand mitteilte, sie könne mir ja vor der Kamera gar nicht offen sagen, was sie wirklich übers Impfen denke. Das fand ich bemerkenswert, es klang für mich nach einem Tabu. Tatsächlich wurde unsere Kinderärztin immer wieder scharf von Kollegen angegriffen, weil sie in ihrer Praxis auch abweichend von den Empfehlungen der STIKO impfte. Ihre Einstellung war: lieber weniger und später als gar nicht impfen. Ich höre aber auch immer wieder von Eltern, deren Kinderarzt das Behandlungsverhältnis abgebrochen hat, als sie nicht nach STIKO impfen wollten.

Was steckt dahinter?

Ein systematisches Problem bei der mangelnden Aufklärung ist offenbar die Tatsache, dass ein Arzt nur die Impfung vergütet bekommt, aber kein Beratungsgespräch. Wenn er nun Eltern berät und die gar nicht impfen, hat er einfach nur Zeit verloren. Was auch auffällt in den Praxen: Praktisch niemand bekommt die Packungsbeilage des Impfstoffes ausgehändigt. Das führt dazu, dass Eltern oft erst durch eigene Recherchen auf mögliche Komplikationen stoßen. Die mögen noch so selten sein – wenn der Arzt sie gar nicht anspricht, weckt das natürlich Misstrauen. Wenn die Ärzte nur abwiegeln und die Sorgen und Ängste der Eltern nicht aufnehmen, werden diese sich an anderer Stelle informieren. Dann suchen sie mitunter Antworten bei sehr dubiosen Quellen im Internet oder in extrem impfkritischen Büchern, die das Thema einseitig und verzerrt darstellen.

Was meinen Sie, woher kommt die große Skepsis, das Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie?

Die großen Pharmahersteller sind börsennotierte Megakonzerne, welche kommerzielle Interessen verfolgen. Das muss nicht per se schlecht sein, verheißt aber auch nicht nur Gutes. Gerade im Bereich Gesundheit ist es natürlich besonders heikel, wenn es um die Frage geht, was gut fürs Geschäft und was gut für die Gesundheit des einzelnen Patienten ist. Die Pharmaindustrie ist mittlerweile so mächtig, dass sie zum Großteil bestimmt, was geforscht wird. Auch die universitäre medizinische Forschung wird meist über Drittmittel aus der Industrie finanziert. Ein gewisses Misstrauen gegenüber der Forschung und der Entwicklung von Arzneimitteln ist da nur logisch und angebracht. Natürlich gibt es Gesundheitsbehörden, die die Pharmaindustrie regulieren sollen. Doch hat man heutzutage allgemein eher den Eindruck, dass die Politik nicht fähig ist, die großen Konzerne zu kontrollieren. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Die Wirtschaft hat die Politik am Wickel. Dauernd erfahren wir, wie die Industrie uns an der Nase herumführt und die öffentliche Wahrnehmung manipuliert, siehe Tabak- oder Autoindustrie, Energiekonzerne, Lebensmittelhersteller. Überall merken wir, dass Skepsis und Misstrauen angebracht sind – auch gegenüber der Wissenschaft, die oft nicht unabhängig agiert. In diesem Sinne sollte man auch der Pharmaindustrie kritisch begegnen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Vertretern der Pharmaindustrie gemacht?

Die Pharmaindustrie ist meiner Erfahrung nach ganz besonders intransparent und klandestin. Es ist mir in drei Jahren nicht gelungen, mit einem wichtigen Impfstoffhersteller vor der Kamera ein offenes Gespräch zu führen, in dem ich tatsächlich die Fragen stellen konnte, die ich hatte. Bei Impfstoffen stehen sich Behörden und Industrie traditionell besonders nah, weil der Staat ein Interesse an einer durchgeimpften Bevölkerung hat. Da die Volksgesundheit eine Rolle spielt, wird das Impfen zum Wohle der Allgemeinheit speziell gefördert. Deswegen gibt es auch eine staatliche Haftung für gesundheitliche Schäden durch eine empfohlene Impfung. Das ist sonst bei keinem anderen Arzneimittel der Fall. Damit soll auch sichergestellt werden, dass sich die Herstellung von Impfstoffen lohnt und die Produzenten nicht dem Risiko von Haftung und Schadenersatzzahlungen ausgesetzt sind. Insofern ist das besondere Misstrauen einiger Menschen beim Impfen durchaus verständlich. Hier müsste meines Erachtens für mehr Transparenz und eine bessere Erfassung von Nebenwirkungen gesorgt werden. Um das Vertrauen zu stärken und damit man eine datenfundierte Nutzen-Risiko-Abwägung für die Empfehlung von Impfungen vornehmen und das dann auch vermitteln kann.

Kritiker werfen Ihnen vor, mit Buch und Film unnötig Ängste zu schüren. Dabei schildern Sie doch recht humorvoll Ihre ganz persönlichen Erfahrungen. Fühlen Sie sich missverstanden?

Ich bin ehrlich gesagt sprachlos angesichts der aggressiven Art, wie mein gut gemeinter Kulturbeitrag verurteilt wird. Als wäre es eine Todsünde zu zeigen, wie wir in meiner Familie zu einer Impfentscheidung gekommen sind, nur weil wir nicht streng nach STIKO geimpft haben. Es wird eine regelrechte Kampagne gefahren, um mich und meine Arbeit zu diskreditieren. Ich fühle mich von den Wissenschaftsjournalisten der Deutschen Leitmedien durch die Bank missverstanden, die mich unisono in die unwissenschaftliche Impfgegner-Ecke stecken, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich dann nicht mehr ernst genommen werde. Wirklich erschreckt hat mich dabei, dass mein Film und mein Buch völlig verzerrt und unsachlich dargestellt werden. Es kommt in meiner Arbeit kein einziger richtiger Impfgegner vor und sämtliche Kritik am Impfen ist wissenschaftlich fundiert. Der tatsächliche Inhalt meiner Arbeit kommt allerdings im Großteil der Berichterstattung gar nicht vor. Bei den Publikumsgesprächen nach den Filmvorführungen kommt der erste Kommentar dann meist von einem Zuschauer, der sich wundert, wie sehr die Berichte in der Presse sich vom tatsächlichen Filmerlebnis unterscheiden. Von einem sehr entspannten, humorvollen Film, in dem ein Vater versucht, seine Lebensgefährtin vom Impfen zu überzeugen, konnte man nämlich im Vorfeld nichts lesen. Mein Film ist zu großen Teilen eine Beziehungskomödie über frischgebackene Eltern, wobei die medizinischen Erklärungen sachlich fundiert recherchiert und wissenschaftlich abgesegnet wurden.

Wie ist Ihre persönliche Einstellung zum Impfen?

Wer mir vorwirft, ich würde einseitig berichten und schüre Ängste, müsste genauso darauf hinweisen, dass mein Film ein flammendes Plädoyer für bestimmte Impfungen ist und dort Ängste und Sorgen abbaut. Im Film äußern zwar Wissenschaftler, die ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet sind, Kritik an einigen Impfstoffen. Das heißt aber nicht, dass der Film grundsätzlich gegen das Impfen eingestellt ist. Es geht allein um die Frage, wie Impfprogramme und Impfstoffe verbessert werden können. Doch für viele unserer Gesundheitswächter scheint jegliche Diskussion darum unerwünscht; der Bürger soll gar nicht erst anfangen, sich eine eigene Meinung zu bilden, sondern bitte einfach der offiziellen Anweisung folgen. Dabei hat man meiner Meinung nach aber den Zeitgeist verpasst: Der mündige Patient holt mehrere Meinungen ein, die individualisierte Medizin wird als die große Zukunft gepriesen. Warum soll man dann gerade beim Impfen allen den gleichen Schuh anziehen? Hier muss besser informiert und vermittelt werden. Mein Film ist kein Ratgeber und kein Leitfaden zum Impfen, sondern vor allem ein Gesprächsangebot – in der Hoffnung, dass die Lager der Impfbefürworter und Gegner lernen, einander besser zuzuhören und die Impfdebatte endlich mal auf eine andere Ebene kommt, jenseits von Anfeindungen und pauschalen Verurteilungen. Deshalb habe ich den Film „Eingeimpft“ genannt: Wir haben alle feste Überzeugungen, die es lohnt zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern.

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