Anja Horn spricht im Interview über Künstlerisches Gestalten in der KitaIm Kleinen Großes schaffen

„Kreatives Arbeiten folgt keiner Norm“, davon ist die Werkstattpädagogin überzeugt. Sie erzählt von ihrer Inspirationsquelle und davon, wie Kinder sich mit selbst gestalteten Paradiesvögeln für die Rettung der Erde einsetzen.

Im Kleinen Großes schaffen
© Anja Horn, Freiberg

In der Reihe „Eine kreative Idee“ konnten unsere Leser*innen inspirierende Aktionen mit Holz, Ytong, Quarzsand, Ton, Farben und vielem mehr kennenlernen. Woher kommen Ihre ausgefallenen Ideen und Ihre Motivation?
Anja Horn: Ausgefallen wirken viele Arbeiten in unserer Werkstatt vielleicht deshalb, weil sie selten das ästhetische Bedürfnis Erwachsener nach schönen, „sinnvollen“ Werken bedienen. Ich als Pädagogin finde Materialien oder Themenstellungen spannend, mit denen Kinder ihre eigenen Ideen umsetzen oder im Arbeitsprozess Neuem begegnen können: einer neuen haptischen Erfahrung, der Lust, eine neue Technik zu erlernen oder mit Material zu spielen. Hier ergibt sich ein direkter Bezug zur modernen Kunst, die eine prima Inspirationsquelle für die Arbeit mit Kindern darstellt. Auch Designobjekte, Bastelarbeiten, Maschinen oder Geräte, die Natur oder die freien Arbeiten der Kinder sind gute Ideengeber.

Sie sind ausgebildete Erzieherin, Atelier- und Werkstattpädagogin und leiten seit acht Jahren das Kreativlabor Freiberg. Wann haben Sie gemerkt, dass das kreative Gestalten mit Kindern und Erwachsenen Ihre Berufung ist?
Ich selbst konnte mich von Kindheit an im künstlerischen Bereich ausprobieren und erhielt dabei auch professionelle Anleitung. Daran habe ich intensive, schöne Erinnerungen. Als ich begonnen habe als Pädagogin zu arbeiten, faszinierten mich die Begeisterungsfähigkeit und Freude der Kinder am Ausprobieren und am Entdecken der Welt. Und das bedingungslose Vertrauen, mit dem sie dabei uns Erwachsenen begegnen. Wie geeignet kreative Arbeiten als Bildungsmöglichkeiten sind, habe ich während meiner Ausbildung zur Werkstattpädagogin bei der BAGAGE in Freiburg begonnen zu verstehen. Die Referent*innen aus unterschiedlichen kunstpädagogischen Bereichen vermittelten viel Offenheit dafür, Dinge anders zu betrachten oder gestalterische Experimente zu wagen – jenseits des Bastelns.

Welches Ereignis oder welche Begegnung hat Sie nachhaltig beeindruckt?
Wenn man selbst das Gefühl kennt, in einer Zeichnung oder in einer Gestaltung völlig zu versinken, versteht man die Bedingungslosigkeit, mit der auch Kinder kreativ arbeiten. Ebenso wie die Anstrengung, den Frust des Scheiterns und das erfüllende Gefühl des völligen Bei-Sich-Seins, das sich in kreativen Prozessen einstellen kann. Mich beeindrucken Menschen, die sich mit Hingabe einer Sache verschreiben – Andy Goldsworthys Arbeitsweise in der Natur oder Niki de Saint Phalle. Aber auch die Werkstattpädagogin Christel Ehmann beeindruckt mich, eine sehr kompetente und reflektierte Kollegin, mit der ich als Referentin zusammenarbeiten durfte.

Nicht allen Kindern fällt es leicht, kreativ und erfinderisch zu sein. Welche Faktoren unterstützen individuelle kreative Prozesse?
Wie generell beim pädagogischen Arbeiten ist die Beziehung zum bzw. zur Anleitenden entscheidend. Hier müssen Vertrauen und eine wertschätzende Grundhaltung bestehen. Nichts tötet Kreativität schneller als Kritik. Kreatives Arbeiten folgt keiner Norm, jedes Vorgehen ist unterschiedlich. Die individuelle Ausdrucksweise ist eine Art ganz eigene Sprache. Wenn Erwachsene dies zulassen und auch bereit sind, dem Scheitern, dem Unfertigen und den Umorientierungen in einem Arbeitsprozess Raum zu geben, ist das eine gute Basis. Die Materialien im Werkstattraum sollten frei zugänglich sein, damit Kinder selbstbestimmt arbeiten und lernen können. Am kreativsten werden Kinder dann, wenn Themen ihren Bildungsinteressen entsprechen und sich gleichzeitig die Irritation durch etwas Neues einstellt. Durch ein anderes Werkzeug oder eine ungewohnte Art, ein Material zu verwenden. Durch den Verlust des Gewohnten, Normalen.
Interessant bei der Strukturierung von Angeboten ist das Zusammenspiel von Rahmen und Freiraum. Struktur hilft, um kreativ zu werden. Eine hohe Motivation (durch eine Geschichte, ein Bild etc.) gibt eine gemeinsame Blickrichtung vor und erleichtert den Einstieg. Ein begrenzter Handlungsrahmen, wie ein klarer Arbeitsplatz oder ein bestimmtes Material, mit dem man beginnt, helfen ebenfalls. Am schwersten fällt die Ideenfindung bei völliger Offenheit oder unbegrenzter Materialauswahl. Kommen die Kinder ins Arbeiten, brauchen sie Freiraum, um eigene Entscheidungen treffen und ausprobieren zu können. Der/ die Anleitende beobachtet aufmerksam und bedient das Kind mit Material. Wenn nun eine konzentrierte, emsige Atmosphäre eintritt, die Wangen glühen und das Außenherum vergessen wird, ist ein intensiver kreativer Prozess im Gang.

Mit über 500 bunten und plastisch gestalteten Paradiesvögeln haben Kinder und Jugendliche diesen Sommer unter Beweis gestellt, dass „keiner zu klein ist, um sich für den Schutz der Erde einzusetzen“. Was war der Auslöser dafür, ein so groß angelegtes Kunstprojekt durchzuführen, und was hat es bewirkt?
Auslöser war die Frage meiner Tochter über die Folgen des Klimawandels: „Mama, das wird erst bei unseren Enkeln schlimm, oder?“ Was antworten wir unseren Kindern auf solche Fragen? Müsste nicht jede*r, der oder die an Kindern hängt, viel mehr dafür tun, damit sie in 20 bis 30 Jahren unsere Welt noch bewohnen können? Wir Eltern und Pädagog*innen fördern Kinder heute in allen nur erdenklichen Bereichen – riskieren durch unseren ungebremsten Konsum aber gleichzeitig deren zukünftige Lebensgrundlage. Ohne zu fragen und ohne demokratische Abstimmung mit den Betroffenen. Plastikmüllstrudel gigantischen Ausmaßes treiben in den Ozeanen, ein weltweites Artensterben ist im Gange, die Folgen des Klimawandels könnten Millionen Flüchtlinge bedeuten. Was passiert, wenn man Kinder fragt, wie sie das finden? Oder Mittel der Kunst nutzt, um Aufmerksamkeit auf diese Frage zu lenken?
Die Paradiesvögel sollen eine Möglichkeit für Kinder sein, öffentlich wirksam zu werden und zu zeigen: „Das Leben in unserem Paradies Erde ist einzigartig, wunderschön und bunt – und wir sollten mehr tun, um es zu erhalten.“ Oder wie es Paradiesvogel-Bauerin Sophie formuliert: „Wir Kinder wollen auch in so einer schönen Welt leben wie ihr!“ Wir haben ein selbst geschriebenes „Märchen vom Paradiesvogel“, Eltern-Info-Briefe über Plastikmüll und den Klimawandel sowie Bauvorschläge für Paradiesvögel kostenfrei zur Verfügung gestellt. Mein Mann unterstützte das Projekt mit seinem Fachwissen zu Klimaszenarien und gesellschaftlichen Alternativen, in Kooperation mit dem Freiberger Museum entstand dazu eine Ausstellung. Kindergärten und Schulen wurden eingeladen, sich zu beteiligen und individuelle Paradiesvögel zu gestalten – mit unerwartet großem Echo. Die Vögel bildeten zusammen einen riesigen Schwarm, den wir in unserem Ortszentrum, im Rathaus und Museum ausgestellt haben. Jeder Vogel trug die individuelle Botschaft eines Kindes an die Erwachsenen. Innerhalb der Einrichtungen wurden Projekte zur Müllverrottung, zum bedrohten Regenwald und seinen Tieren, zur Herkunft unserer Lebensmittel etc. durchgeführt. Viele Eltern und Anwohner*innen halfen oder spendeten Material. Der Verkauf der Vögel für Spenden zur Regenwald-Wiederaufforstung erbrachte über 5000 Euro. Doch noch wichtiger als das war für uns alle die Erkenntnis, wie viele Menschen bereit waren, sich für das Projekt zu engagieren. Der Vogelschwarm hat plötzlich viele Einzelne – die sich den globalen Problemen gegenüber oft hilflos und allein fühlen – zu einer wirksamen Menge zusammengefasst. Wir danken allen Pädagog*innen sehr, die sich dafür eingesetzt haben.
Die Idee der Paradiesvögel möchten wir gerne weitertragen und andere Einrichtungen inspirieren. Aber auch hier vor Ort wollen wir die Motivation des großen gemeinsamen Schwarms nutzen, um echte Verbesserungen im Umgang mit Energie und Ressourcen zu bewirken. Wir arbeiten gerade an einem Konzept, um den Erhalt unserer Erde als gemeinsames kreatives Bildungsprojekt anzugehen: für unsere Kinder und mit ihnen.

Die Fragen stellte Susanne Weiss, Redaktion kindergarten heute. Eine kreative Idee mit Styropor und Zahnstochern von Anja Horn lesen Sie auf Seite 40-41.

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