AlltagsspiritualitätEine Kerze anzünden

Der Mesner der Autobahnkirche in der Nähe von Baden-Baden erzählte mir, dass täglich unzählige Menschen hier ihre Fahrt kurz unterbrechen und sich für einige Minuten in die Kirche setzen. Oft haben sie dabei auch das Bedürfnis, eine Kerze anzuzünden. Das ist ihre Weise, für einen anderen Menschen zu beten.

Eine Kerze anzünden
Licht vertreibt die Dunkelheit. Liebe vertreibt die Kälte.© vladstar - fotolia.com

Heller und wärmer

Viele Menschen wissen nicht mehr, was oder wie sie für einen anderen beten sollen. Aber oft zünden sie trotzdem eine Kerze an. Was diese häufig gerne kirchenfernen Menschen instinktiv tun, entspricht der christlichen Tradition. Für einen anderen eine Kerze anzuzünden, das ist eine Weise, für ihn zu beten. Und die fromme Tradition sagt noch etwas anderes: Solange die Kerze brennt, geht mein Gebet zum Himmel. Und solange die Kerze brennt, bringt mein Gebet Licht in das Leben dieses Menschen. Das ist schließ lich die tiefste Sehnsucht, wenn wir eine Kerze für einen anderen entzünden: Wir wünschen ihm, dass sein Leben durch Gottes Liebe heller und wärmer werde, dass die Liebe die Kälte in ihm überwinde, und das Licht alles Dunkle vertreibe.

Schwächer und stärker

In der Adventszeit zünden wir nicht nur für andere eine Kerze an. Wir zünden sie auch für uns an und wir setzen uns vor die brennende Kerze. Das Licht der Kerze wird zum Symbol für uns selbst. Es ist eine Ursehnsucht, dass Licht unsere Dunkelheiten erleuchtet. Christus selbst nennt sich das wahre Licht. Er bringt uns die Erhellung unseres Daseins, das wir oft als sinnlos erfahren. Die Kerze, die aus Wachs gebildet ist, das durch die Flamme langsam verzehrt wird, ist ein Symbol für die Beziehung von Geist und Materie, von Geist und Leib. Das Licht verzehrt das Wachs. Und so zehrt das Leben unseren Leib auf. Aber das ist, im einen wie im anderen Fall, nicht einfach Verlust: Indem wir durch unser Leben das Licht Christi leuchten lassen, werden wir selbst zum Licht für andere. Unser Leib wird zwar immer schwächer, aber das Licht wird immer stärker.

Als Ritual einüben

Auch wenn wir ein feierliches Mahl halten, zünden wir eine Kerze an. Kellner in vornehmen Restaurants zünden die Kerze an, sobald sich Gäste an den Tisch setzen. Wir zünden Kerzen an am Geburtstag eines Kindes. Auch wenn der Sohn oder die Tochter schon erwachsen sind und weit weg wohnen, zünden wir an ihrem Bild eine Kerze an, um an sie zu denken. Es gibt viele solcher Gelegenheiten. Es wäre gut, wenn wir dann das Anzünden selbst ganz bewusst zu einem Ritual machen würden: Ich zünde diese Kerze an, damit es heller und wärmer wird in mir, in dem Menschen, für die ich die Kerze anzünde, und für die Menschen, die sich um diese Kerze versammeln.  

Anzeige: Alles in allem – was letztlich zählt im Leben. Über Glück, Sehnsucht und die Kraft der Spiritualität. Von Anselm Grün

einfach leben im Abo

In einfach leben finden Sie spirituelle Impulse und Tipps zu wichtigen Lebensthemen. Ein idealer Haltepunkt, um dem beschleunigten Alltag zu entfliehen und sich auf die wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen