Wie wir leben wollenBeharrlichkeit: langer Atem, Lebenskraft

Sei es im Privatleben – Zappen beim Fernsehprogramm, der Wechsel bei Beziehungen – oder im Beruf: Alles muss möglichst schnell gehen und sofort passieren. Wenn es schwierig wird, hüpfen wir einfach zu anderen Optionen. Wir haben schließlich Möglichkeiten genug. Warum diese Unruhe? Die Tugend der Beharrlichkeit ist uns heute größtenteils abhanden gekommen. Sie meint das Bleiben, das Aushalten, das geduldige Warten und das Durchstehen einer schwierigen Situation.

Beharrlichkeit: langer Atem, Lebenskraft
Wenn du standfest bist, beharrlich bleibst, dann kann sich etwas ändern.© Maksym Gorpenyuk - fotolia.com

Hoffnung auf Wandel

Beharrlichkeit hängt mit Treue und Ausdauer zusammen. Beharrlichkeit als Tugend meint nicht das sture Beharren auf meinem Standpunkt, das krampfhafte Festhalten an meiner Meinung. In diesem Sinn kann das Wort „beharren“ manchmal gebraucht werden, etwa wenn ich sage: „Ich beharre auf meinem Standpunkt, auf meinem Recht.“ Beharrlichkeit heißt vielmehr: Ich bleibe bei einer Sache, etwa in meiner Arbeit. Ich hüpfe nicht von einem zum anderen. Ich bleibe bei der Arbeit, auch wenn sie viel Geduld erfordert. Ich bleibe auf meinem spirituellen Weg, auch wenn dieser mir momentan keine Befriedigung verschafft. Beharrlichkeit meint auch, dass ich in einer Beziehung bleibe, auch wenn es darin Konflikte und Schwierigkeiten gibt. Beharrlichkeit braucht der Lehrer, wenn er seine Schüler weiter unterrichtet, auch wenn manchmal kein Erfolg zu sehen ist. Beharrlichkeit brauchen die Seelsorger, wenn trotz aller Bemühungen immer weniger Menschen in den Sonntagsgottesdienst kommen. Die Beharrlichkeit ist immer mit der Hoffnung verbunden, dass sich durch das Aushalten und Ausharren etwas wandeln kann: in mir selbst und in der Beziehung zum anderen und in den anderen.

Standfestigkeit

Die Bibel spricht oft von Beharrlichkeit. Sie gebraucht dabei das griechische Wort „hypomone“. Es ist gebildet von „menein = bleiben“ und „hypo = unter“. Beharrlichkeit meint also das Drunterbleiben. Ich bleibe unter der Verpflichtung, die ich eingegangen bin. Ich bleibe aber auch unter dem, was auf mich einströmt von außen. In diesem Sinn wird „hypomone“ als Ausharren und Warten verstanden, aber zugleich auch als Aushalten und Standfestigkeit. Ich lasse mich durch die Krisen und Konflikte meines Lebens nicht aus der Bahn werfen. Ich bleibe bei mir, und ich bleibe bei Gott, der mir Festigkeit und Beharrlichkeit schenkt.

Rettung und Gelingen

Jesus sagt dreimal das gleiche Wort: „Wer ausharrt bist zum Ende, der wird gerettet werden.“ (Mk 13,13 und Mt 10,22 und 24,13) Jesus spricht dieses Wort in die Konflikte hinein, in die seine Jünger geraten. Es sind zum einen die Konflikte zwischen den Menschen, wenn einer gegen den anderen kämpft und ihn verleumdet. Dann braucht es Beharrlichkeit und Standfestigkeit. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich bleibe stehen, ich bleibe standfest. Ich halte aus, was auf mich einstürmt, in der Hoffnung, dass es vergeht. Wenn ich ausharre, so sagt Jesus, dann werde ich gerettet werden. Man kann das griechische Wort „sothesetai“ auch so übersetzen: Dann wird mein Leben gelingen. Zum anderen spricht Jesus dieses Wort in die Bedrängnisse hinein, die den Christen in der Endzeit erwarten. In der sogenannten apokalyptischen Rede (Mt 24) spricht Jesus vom Ende der Welt. Da ist von Kriegen die Rede, von Hungersnöten und Erdbeben und von falschen Propheten, die auftreten. Manche interessiert nur eines: Wann das Ende der Welt kommt. Und sie berufen sich auf irgendwelche Bibelstellen, um das Ende der Welt zeitlich festzulegen. Doch immer ist für uns Endzeit, letzte Zeit. Denn diese Welt mit ihren Kräften kommt immer an ihr Ende. Sie ist begrenzt, nicht nur in der Zeit, sondern auch mit ihren Möglichkeiten. Aber umso mehr gilt: „Wer ausharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden.“ (Mt 24,22) Ausharren heißt hier: in der Gnade Jesu, in der Beziehung zu Jesus und zu Gott bleiben. Dann kann das Zusammenbrechen der Welt mir nichts anhaben. Wenn wir dieses Wort in unsere Situation hinein übersetzen, dann heißt es: Auch wenn manches um dich herum zerbricht, wenn du deine Arbeitsstelle verlierst, wenn deine Beziehung zu Bruch geht, wenn eine alte Freundschaft zerbricht, wenn deine Gesundheit brüchig wird: Du wirst daran nicht zerbrechen, wenn du in Christus deinen Grund hast. Wenn du standhaft bleibst, beharrlich bei Christus bleibst, dann kann dir das alles nichts anhaben.

Das Leben gewinnen

Lukas übersetzt das Wort Jesu in eine etwas andere Sprache: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ (Lk 21,19) Lukas sagt hier: „en te hypomone ktesesthe tas psychas hymon“. Das heißt wörtlich: In der Beharrlichkeit, im Aushalten, im Standhalten werdet ihr eure Seelen gewinnen. Lukas spricht hier von Familienstreitigkeiten und vom Angeklagtwerden durch andere. Wenn ich bei all den Angriffen von außen in der Beharrlichkeit bleibe, dann gewinne ich meine Seele, dann komme ich in Berührung mit meiner Seele. Und zu meiner Seele, zum Grund meiner Seele haben die Angriffe keinen Zugang. Dahin können sie nicht vordringen.

Illusionslos und wahr

Im Hebräerbrief steht ein Wort, um dessen Übersetzung sich die Exegeten streiten: „Eis paideian hypomenete“ (Hebr, 12,7). Die Einheitsübersetzung lautet: „Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet.“ Die lateinische Übersetzung hat es anders verstanden: „In disciplina perseverate = haltet aus in der Disziplin, bleibt in der Disziplin“. Ich verstehe das Wort so: „Harret aus zum Zweck der Erziehung.“ Wenn ich auch in Bedrängnissen ausharre, dann kann das der Erziehung dienen. Ich werde herausgezogen aus der Illusion, dass das Leben immer nur schön sei. Ich werde hingezogen zu meinem wahren Wesen. Ich werde immer mehr zu dem hingezogen, der ich in Wahrheit bin.

Ungeduld und Hoffnung

Das Gegenteil von Beharrlichkeit ist die Ungeduld. Ich erlebe viele Menschen, die nicht warten, die nicht ausharren können, bis sich eine Lösung zeigt. Die Lösung muss sofort her. Ärzte erzählen mir, dass manche Patienten so ungeduldig sind: Sie möchten das Fieber sofort loshaben. In der Begleitung von Ehepaaren erlebe ich diesen Mangel an Beharrlichkeit. Es gibt in jeder Ehe Phasen, in denen die Gefühle der Liebe scheinbar abhanden gekommen sind. Auch da gilt es, erst einmal auszuharren in der Hoffnung, dass die Partner durch die Erfahrung von Leere und Gleichgültigkeit hindurch wieder in Berührung kommen mit ihrer Sehnsucht nach Liebe. Diese Sehnsucht führt sie in den Grund ihrer Seele, in dem die unerschöpfliche Quelle der Liebe strömt, die aus der unendlichen Liebe Gottes gespeist wird. Beharrlichkeit hat einen langen Atem, sie ist Lebendigkeit und Zeichen von innerer Kraft. Beharrlichkeit ist kein resignatives Bleiben in der Ehe, weil ich nicht den Mut zur Trennung habe. Vielmehr ist Beharrlichkeit mit Geduld verbunden und zugleich mit der Hoffnung, dass die Partner auch die Durststrecken in ihrer Beziehung aushalten und so in eine tiefere Liebe hineinwachsen, in eine Liebe, die stärker ist als das Gefühl.  

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