Ein Leben für KrebskrankeRose Hawthorne

Rose Hawthorne kümmerte sich um todkranke Krebskranke, auch ihr familiäres Leben war von Tod und Sterben geprägt. Kraft gab ihr die dominikanische Spiritualität geprägt von privatem wie kirchlich-liturgischem Gebet, der Gemeinschaft und dem Apostolat. In einem fiktiven Tagebuch stellt ihre Mitstreiterin, Alice Huber, ihr Leben vor.

Fazit

Nach 24 Jahren Ehe mit einem alkoholkranken Schriftsteller beendet Rose Hawthorne die Beziehung. Sie pflegt rund um die Uhr mittellose Krebskranke in ihrer engen Wohnung in den Slums von New York. Nachdem ein Dominikaner sie auf den Laienzweig seines Ordnes aufmerksam gemacht hat, tritt sie diesem bei.

1898, 15. März: Heute habe ich von Passionistenpatres in New York von einer Frau erfahren, die Mitarbeiterinnen für die Pflege Krebskranker sucht. Als Arzttochter bin ich mit Krankheiten und Patienten vertraut, auch wenn ich inzwischen eine anerkannte Malerin mit einem festen Schülerkreis bin und ein eigenes Heim habe. Seit einiger Zeit spüre ich, dass mir das nicht genügt. Ich will mehr, nichts Materielles, nicht mehr Anerkennung – etwas anderes, was meinem Leben Sinn gibt und was mir die Kunst nicht gibt.

Sorge um Krebskranke

1898, 22. März: Nach einem kurzen Vorgespräch hat die Frau namens Rose Hawthorne mir ihre Wohnung in der Waterstreet gezeigt, wo sie seit einem Jahr in acht Zimmern sieben unheilbare, arme Krebskranke versorgt. Ein Raum dient als Vorratskammer. Frau Hawthorne schläft bei den Kranken, sie glaubt anders als viele Ärzte nicht, dass Krebs ansteckend ist. Der abscheuliche Gestank ihrer Wunden stieg mir in die Nase; das Abnehmen der Verbände löste einen Brechreiz aus. Sie erleichtert den zum baldigen Sterben Verdammten ihr Lebensende in schwerer Krankheit. Frau Hawthorne hat mich beeindruckt, denn sie erledigt auch deren Hausarbeit und versorgt die Kinder erkrankter junger Mütter. Sie zahlt die Miete für junge Witwen mit kleinen Kindern. Auch arme ältere Männer und Frauen mit Beingeschwüren kommen zu ihr. Wie sie mir erzählte, müssen die nichts zahlen; sie erbettelt das Geld für Pflege und Miete. So überzeugt Frau Hawthorne ihre Arbeit schilderte, sie wirkte sehr ernst und etwas traurig auf mich. Beim Abschied sagte sie mir, ich solle mir überlegen, ob ich wiederkommen wolle. Angesichts des widerwärtigen Gestankes und der scheußlichen Wunden wollte ich absagen, gleichzeitig löste Roses freundlicher und heiterer Blick inmitten all der Hässlichkeit ein Gefühl der Verbundenheit und des Mitleids in mir aus, dass ich mich selbst zusagen hörte.
1898, 1. Juli: Jetzt versorge ich schon sechs Wochen mit Rose zusammen die Krebskranken; erst zweimal die Woche und seit drei Wochen täglich von morgens fünf bis abends um elf Uhr; es herrscht reger Betrieb: Patienten kommen und Besucher bringen Kleidung, Lebensmittel und Medikamente. Rose und ich waschen die Patienten, pflegen die Wunden, reinigen Verbände, Pyjamas und Bettlaken. Ich muss mich immer noch täglich überwinden, dem Gestank, den zerfressenen Gesichtern und dem Anblick der ekeligen Wunden zum Trotz die armen Kranken freundlich zu behandeln und mich ihnen liebevoll zuzuwenden. Es ist leichter gesagt als getan, ihnen das Gefühl der Würde zurückzugeben. Jetzt falle ich todmüde ins Bett, denn morgen heißt es wieder, in der Frühe aufstehen und den Gottesdienst besuchen.
1898, 2. August: Heute kam es zu einem Streit zwischen Rose und mir. Ich hatte aus einem Ekelgefühl heraus heimlich Geschirr in eine besondere Ecke des Küchenschrankes gestellt. Sie entdeckte das und fragte mich, was das solle. Sie forderte mich auf, es zum anderen Geschirr zu stellen und es nicht wieder zu tun. Rose erzählte dann von ihrer Ausbildung im Krebshospital, als sie beim ersten Anblick eines zerfressenen Gesichts Ekel und Abscheu geschüttelt hatten. Für einen Augenblick folgten ihre Hände ihrem Willen nicht und hatten beim Abnehmen des stinkenden Verbands innegehalten. Sie schilderte mir, wie sie sich fragte, was Gott von ihr wolle. Sie blieb. Ich habe Rose danach gefragt, was sie antreibt. Sie meinte, sie holt ihre Kraft aus der täglichen Eucharistie, häufiger Beichte, regelmäßigem Gebet von Litaneien sowie Novenen und geistlicher Begleitung.

Kraftquellen

1898, 24. August: Rose hat eine Figur von Rosa von Lima in der Wohnung aufgestellt. Nach dem Grund gefragt, sprach sie von ihrer Namenspatronin. Sie lebte in Peru im 17. Jahrhundert und führte ein frommes Leben, statt ihr eigenes Heil zu suchen – aber nicht im Kloster, sondern sie lebte in einer Hütte bei ihren Eltern und trug mit Weben und Gärtnerarbeiten zu deren Lebensunterhalt bei. Sie sorgte sich um Kranke und Arme und war als geistliche Ratgeberin gefragt.
1898, 15. November: Rose meinte heute, wir sollten uns einen Namen geben, und sie schlug „Servants of relief“ vor. Das fand ich sehr angemessen und stimmte zu. Inzwischen lerne ich die Liturgie als eine Kraftquelle zu schätzen.
1899, 16. Februar: Rose erzählte mir von ihrem Gespräch mit einem Geistlichen, der einen unserer Kranken und sein Gemeindemitglied besuchte; es war der Predigerbruder Clement Thuente OP aus dem Priorat St. Vincent Ferrer. Rose erzählte ihm von unserer Arbeit; der Dominikaner sprach sie auf die Figur Rosa von Limas an, die auf dem kleinen Tischchen in dem Raum stand. Diese schloss sich mit etwa 20 Jahren dem sogenannten Dritten Orden der Dominikaner an, den es neben dem ersten der Brüder und dem zweiten der kontemplativen Nonnen für Laien gibt. Er versprach seine spirituelle Unterstützung und ermutigte sie, als Terziarin dem Dritten Orden beizutreten. Sie fragte mich, was ich davon hielt.
1899, 20. Februar: Rose und ich haben heute tatsächlich Zeit gefunden, um uns über die Frage zu unterhalten, ob wir dem Laienzweig der Dominikaner beitreten sollen: Indem wir der dominikanischen Familie beitreten, werden wir durch diese Gemeinschaft in unserem Glauben gestärkt und darin, ihn in unserem Alltag zu leben. Als Mitglieder des Ordens tragen wir seine apostolische Sendung in Gebet, Studium und Predigt mit. Je nach unseren Möglichkeiten beten wir das kleine Stundengebet oder andere Gebete, die uns in die Gegenwart Gottes versetzen. Wir predigen die tätige Nächstenliebe durch unsere Pflege der Krebskranken und stehen ihnen seelsorglich bis zu ihrem Tod bei. Während Rose unbedingt will, bin ich noch etwas unsicher, ob ich überzeugend genug bin, ich kann den Ekel nicht ablegen. Außerdem frage ich mich, ob ich angesichts der vielen Arbeit dem Anspruch auch gerecht werde, zumal wir uns angesichts vieler Anfragen vergrößern und ein Haus zur Krebskrankenpflege kaufen wollen.
1899, 1. März: Heute war das Gespräch mit Bruder Clement Thuente; auf meine Bedenken ging er sorgfältig ein; er war sehr aufmerksam gegenüber meinen Fragen; er beruhigte mich und empfahl mir, das regelmäßige Gebet als Rast und Verweilen beim Herrn zu sehen und was mir Kraft für unseren schweren Alltag inmitten der Krebskranken gibt, so wie ich seine Gegenwart in der Eucharistie schon jetzt erlebe. Wir werden bei der Profess geloben, nach der Regel des dritten Ordens der Predigerbrüder zu leben. Diese Regel ist zwar von 1405 und mit der Autorität eines Ordensgenerals Munio von Zamora aus dem 13. Jahrhundert versehen – aber nach seiner Meinung müsste die mal aktualisiert werden. Wir werden zudem einen Ordensnamen erhalten und dürfen Vorschläge machen. Ihm war wichtig zu betonen, dass ihn und seinen Dominikanerbrüdern unser Zeugnis bereichert: die Begegnung mit unserem Apostolat in der Krebskrankenpflege würde ihrer Predigt die so notwendige Erdung geben.
1899, 6. März: Wir haben uns entschieden und werden dominikanische Terziarinnen; Rose nimmt den Namen Mary Alphonsa und ich den Namen Mary Rose an. Bruder Clement Thuente wird uns in den nächsten Monaten in das Leben als Laien im Dominikanerorden einführen. Es melden sich immer mehr Krebskranke bzw. deren Verwandte, die bei uns gepflegt werden möchten. Darum suchen wir noch intensiver nach einem Haus in New York und nach Sponsoren. Rose ist deswegen viel unterwegs und ich habe viel mit den Kranken zu tun. Bei so manchen Bekannten aus meiner Zeit als Künstlerin und bei meiner Familie bettele ich um Geld. Wenn ich Rose auf ihre Familie anspreche, schweigt sie. Sie scheint ein trauriges Geheimnis mit sich herumzutragen.
1899, 15. Mai: Wir haben es geschafft! Wir konnten ein Haus kaufen; wir widmen unsere Einrichtung der heiligen Rosa von Lima und nennen sie „St. Rose's Free Home for Incurable Cancer“. Dort leben wir und versorgen fünfzehn arme, wegen Krebs todgeweihte Frauen.

Die Anfänge

1905, 17. September: Wir haben viel zu tun, immerhin hatten wir in der letzten Zeit, etwas zu reden; Rose erzählte mir von den Anfängen. Während ihres dreimonatigen Trainingsprogramms als Krankenschwester am New Yorker Krebskrankenhaus im Herbst 1896 sei in ihrem Herzen ein Feuer entzündet worden, wo es noch brenne. Sie habe ihr ganzes Wesen darauf eingestellt, den krebskranken Armen Trost zu bringen. Nach Abschluss des Kurses zog sie in die ärmste Gegend der Stadt, Lower East Side. Sie mietete ein Zimmer in der Waterstreet und erhielt vom Kommissar für Gesundheit und Wohltätigkeit die Erlaubnis, arme, unheilbar an Krebs Erkrankte kostenfrei zu versorgen und die Mittel und Wege dafür zu beschaffen.

Ihre Herkunft

1907, 12. Dezember: Ihr Nachname hatte mich immer schon erinnert an den Schriftsteller Nathaniel Hawthorne – den Autor etlicher Romane wie „The scarlet letter“ (Der scharlachrote Buchstabe) und zahlreicher Kurzgeschichten. Ich wollte wissen, ob sie miteinander verwandt sind. Tatsächlich – sie ist sogar seine Tochter. Geboren im US-Staat Massachusetts, wechselte die Familie häufig ihren Wohnort; sie zogen nach Liverpool, London, Paris, Rom sowie Florenz und kehrten 1860 in die USA zurück. Als sie 13 Jahre war, verstarb ihr Vater – sie wuchs mit Abschieden auf und der Tod beschäftigte sie schon früh in ihrem Leben.

Ihre Entwicklung

1911, 13. Juli: Warum sie erst im Alter von 45 Jahren eine Ausbildung zur Krankenschwester am New Yorker Krebskrankenhaus begann, wollte ich von Rose wissen. Nach dem Tod ihres Vaters zog die Kleinfamilie nach Europa um, wo Roses Mutter 1871 starb. Zwanzigjährig heiratete sie George Parsons Lathrop in der anglikanischen Kirche. Das Paar ließ sich bald in Boston in den USA nieder. Dort schrieb George einen Roman für eine Zeitung und Rose Kurzgeschichten und Gedichte. In ihrer Ehe zeichneten sich bald Schwierigkeiten ab. 1876 entflammte die Geburt ihres Sohnes neue Hoffnung in ihrer Liebe, die mit dessen Tod wegen Diphtherie 1881 erlosch. 1877 war ihre ältere Schwester Una in England verstorben. In der Folge widmeten sich beide ihrer Karriere und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Obwohl George nennenswerte literarische Werke produzierte, wurde er depressiv und alkoholkrank. Eine gemeinsame Rettung suchten sie in der Konversion zum Katholizismus 1891. Dies konnte nicht über ihre Konflikte hinwegtäuschen; das Leben mit ihm wurde wegen seiner Alkoholsucht für Rose unerträglich. Sie trennte sich von ihm nach 24 Jahren. Sie liebte ihn auch nach ihrer Trennung, betete für ihn und begleitete sein Sterben bis zu seinem Tod im April 1898.
Vorab erhielt Rose die kirchliche Erlaubnis für eine dauerhafte Trennung und gab ihre literarische Karriere auf. Sie richtete ihr Leben auf Christus aus und wollte ihm Werke der Nächstenliebe in der Krankenpflege widmen. Rose beschloss, unter den Krebskranken zu leben, für sie zu betteln und ein Zuhause zu schaffen, in dem sie in Würde, Sauberkeit und Leichtigkeit leben konnten, während sie ihre letzten Tage auf Erden erlebten.

Hawthornes Motivation

1926, 4. Mai: Rose geht es gar nicht gut. Immer wieder spricht sie von ihrem Anliegen: Sie wollte die Todkranken mit Gott versöhnen, so dass sie in ihren letzten Monaten sich umsorgt fühlten und ruhig sterben konnten. Sie sah in entstellten Männern und Frauen, die an schrecklichen Krebserkrankungen litten, das Antlitz Christi: „Ich sehe alle Dinge nur durch die Gegenwart Gottes, wodurch ich mich von meiner Persönlichkeit befreie und meine Existenz vergesse. Ich betrachte Geschöpfe im Geist Jesu Christi. Sehe in jedem Leidenden unseren Herrn Jesus Christus. Denke daran, habe das Bild Gottes in deiner Seele.“
1926, 26. Juli: Heute ist Rose gestorben. Sie war Heimat für Tausende von verlassenen, sterbenden Menschen.

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