Herausforderungen für die SchulpastoralDasein bei den Menschen im Lebensraum Schule

Es ist März 2021 – ein Jahr Corona-Pandemie liegt hinter uns. Der Lern- und Lebensraum Schule ist kaum wiederzuerkennen. Vor allem die Gemeinschaftsräume und -erfahrungen erweisen sich als Gefahrenzonen. Die Zuwendung zu den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss distanziert erfolgen – das erscheint paradox. Der Lebensraum Schule – ein hybrides, buchstäblich durchkreuztes Gebilde? Ein Ort der „Notbetreuung“ bzw. eine soziale Auffangstation für Kinder, die aus vielerlei Gründen in Zeiten des Lockdowns nicht zu Hause sein können? Ein Ort, an dem die persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zur Sprache kommen, bearbeitet und bewältigt werden?

Fazit

An konkreten Orten da zu sein, ist die wichtigste Voraussetzung, um mit Menschen in konkreten Lebenssituationen unterwegs zu sein und sie begleiten zu können. In der Krise hat sich gezeigt, dass ein wahrnehmungs- und situationsbezogener Ansatz schulpastoralen Handelns es ermöglicht, in veränderten Situationen jeweils neu zu erkennen, wie was zu tun ist. Weitere Herausforderungen stellen sich für die Schulpastoral durch die Erfüllung einer Reihe von Aufgaben, die sich aus dem Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schulen zusammen mit der Aktualisierung des Evangeliums im Hier und Jetzt ergeben. Dies immer mehr in einer ökumenischen Weggefährtenschaft zu tun, macht Sinn und ist zukunftsweisend.

Den Kirchen wurde während der Pandemie immer wieder vorgeworfen, versagt zu haben. Die Schulpastoral zählt zu den kirchlichen Handlungsfeldern, auf die diese Aussage nicht zutrifft. Wohl war sie auch in der allerersten Zeit der Pandemie, die mit einem ersten Lockdown einherging, zunächst orientierungslos: Wie soll Seelsorge gelingen, wenn der Kontakt zu Schülerinnen und Schülern, zum Kollegium und zu Eltern und Erziehungsberechtigten abgerissen ist? Wie kann unter den neuen schulischen Bedingungen die Schulgemeinschaft zusammengehalten werden?
Schnell fanden die in der Schulpastoral Handelnden Wege und Formen, in der Schule und ihren digitalen Räumen präsent zu sein. Beherzt und engagiert entwickelten sie kreative neue Ideen. Rückblickend ist deutlich zu erkennen, dass die elementarsten Vollzüge von Seelsorge vorrangig gefragt waren: Da sein, in Beziehung bleiben, Kontakt anbieten und Gemeinschaft ermöglichen.
Wie das unter den neuen schulischen Bedingungen an öffentlichen und kirchlichen Schulen verwirklicht wurde, zeigen die folgenden Beispiele.

Schulseelsorge in Zeiten der Corona-Pandemie

Im gesamten Verlauf der Pandemie war es notwendig, für Grund- und Förderschulen (Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren) ein eigenes organisatorisches Regelwerk zu entwickeln. Die menschlichen und technischen Voraussetzungen ließen selten digitale Unterrichtsformate zu. Unterrichtsmaterial wurde zum Abholen in der Schule bereitgestellt oder nach Hause gebracht. Schulseelsorgerinnen bepackten Tüten mit hoffnungsvollen Ermutigungen. Sie lagen zum Mitnehmen bereit. So erreichten Segenswünsche, Bastelmaterial und Anregungen, die Tage zu Hause zu gestalten, die Familien. Gelegentlich wurde das Material zu den Kindern nach Hause gebracht und dabei der Kontakt aufrechterhalten.
Nach dem Lockdown richteten Schulseelsorgerinnen „Rede- und Erzählzeiten“ ein. Die Kinder konnten diese z.B. als Angebot im Ganztagesbereich bzw. der Notbetreuung alleine und in kleinen Gruppen aufsuchen. Hier kamen Freud und Leid sowie Erfahrungen der Lockdownphase zu Wort. Es war jemand da, der zuhörte, Mut zusprach, tröstete, Erfahrungen aufnahm und half, diese zu verstehen. Auch Erfolge und Schönes wurden mitgeteilt. Gelegentlich war es notwendig, dass die Schulseelsorgerin ein Kind aufgrund von großen Ängsten, Hinweisen auf Vernachlässigung oder Gewalt an entsprechende Fachdienste weitervermittelte.
Einige Schulseelsorgerinnen hielten sich gelegentlich vor ortsansässigen Supermärkten auf. Sie nutzten die En-passant-Gelegenheiten im Freien, um beim Einkauf nachzufragen, wie es geht, um ein paar Worte zu wechseln und dabei im Kontakt zu bleiben.
Für ältere Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen wurden neue Möglichkeiten geschaffen, mit Religionskräften und Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorgern im Kontakt zu bleiben. Über E-Mails und in geschützten digitalen Foren standen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Gesprächs- und Beratungsangebote zur Verfügung. Es wurden einige Notfalltelefone an Schulen aktiviert. Dabei hat sich nicht selten gezeigt, dass Eltern diese nutzten, um pädagogische Fragen, die in den Homeoffice-Situationen entstanden waren, zu erörtern. Diese Gespräche mündeten nicht selten in persönliche Fragestellungen und seelsorglich helfende Gespräche.
Schulseelsorgende übernahmen zur Entlastung des Kollegiums Pausenaufsichten wahr und nutzten dort die Möglichkeit, als Ansprechperson wahrgenommen zu werden und Gespräche anzubahnen.
Ein erhöhter Gesprächsbedarf wurde auch in den Lehrerzimmern festgestellt. Aufgrund der instabilen häuslichen Netzwerke waren viele Lehrkräfte in den Schulen, um von hier aus ihre Klassen digital zu unterrichten. Es ergaben sich Gespräche über belastende private und unterrichtsbezogene Situationen. Den Schulseelsorgenden gegenüber wurden Angst vor Ansteckung, Tod von Angehörigen, die Arbeitsüberlastung und Erschöpfung, Aussichtslosigkeit usw. angesprochen. Die Seelsorge für Lehrkräfte hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Schulseelsorgende wurden aktiv als Seelsorgerinnen und Seelsorger aufgesucht.
Insbesondere Todesfälle haben an Schulen in den Zeiten des Lockdowns neue Wege des Abschiednehmens und der Trauerkultur erfordert. Schulseelsorgende berieten Schulleitungen, unterstützten bei der Bekanntgabe von Todesfällen und verfassten Traueranzeigen. Trauernde wurden von ihnen gemäß den jeweils geltenden Regeln und Möglichkeiten seelsorglich begleitet, z.B. auf Spaziergängen.
Aus dem Da-sein als Schulseelsorgerin, als Schulseelsorger wurden darüber hinaus zahlreiche neue digitale Formate der Fürsorge für Menschen an Schulen entwickelt und verwirklicht. So finden seither an einigen Schulen in digitalen Räumen der Stille meditative Angebote statt. Anderenorts wurden auf der Schulhomepage Padlets eingerichtet, auf denen die am Schulleben Beteiligten hoffnungsvolle und mutmachende (spirituelle) Impulse anderen zur Verfügung stellten in Form von Gedanken, Gedichten, Musik, Fotos usw. Seither bestehen neue Netzwerke für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie im Kollegium. Hier werden von Schulseelsorgenden regelmäßig Impulse weitergeleitet. Sie muntern auf, bestärken, geben Anregungen, die Krise zu meistern.
Eine große Herausforderung bestand darin, alternative Formen für kirchen- und schuljahresbezogene Rituale zu entwickeln. Der Schuljahresabschluss und -anfang 2020 benötigte zahlreiche neue Ideen, die Übergänge im Freien und in großen Kirchen, in kleinen Gruppen, auf Stationenwegen usw. zu gestalten. Dies galt auch für die Schulgottesdienste vor Ostern und Weihnachten. Sie fanden in digitalen Räumen statt.
Immer noch sind Spuren der Initiativen an Schulen zu entdecken, die den Zusammenhalt der Schulgemeinschaft stärkten. In den Foyers der Schulen hängen wohltuende Impulse und Ermutigungen für diejenigen, die unter Corona-Bedingungen ihren Schulabschluss absolvierten – Symbole der Hoffnung und des Zusammenhalts.
So gut es ging, wurde die Not von Menschen außerhalb der Schule im Blick behalten. In digitalen Schulgottesdiensten kamen Jugendliche von Partnerschulen auf anderen Kontinenten zu Wort und berichteten über ihre aktuelle Situation. Für Seniorinnen und Senioren wurden persönliche Weihnachtskarten und Neujahrswünsche erstellt, um deren Einsamkeit zu lindern.

Ein neues Profil der Schulpastoral?

Im November 2020 veröffentlichten die Deutschen Bischöfe ein Positionspapier zur Schulpastoral: „Im Dialog mit den Menschen in der Schule“. Hier sind unter anderem neue Herausforderungen der Schulpastoral im Handlungsfeld Schule benannt und durch „Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Schulpastoral“ ergänzt.
Im vorliegenden Positionspapier konnten die durch Covid-19 bedingten Entwicklungen noch nicht berücksichtigt werden. So ergibt sich hier die Möglichkeit, im Blick auf die Schulpastoral neue Erkenntnisse aus der Pandemie mit den Herausforderungen der bischöflichen Verlautbarung zusammenzuführen.
Schulpastoral soll den Aussagen zufolge einen Beitrag leisten,

  • die Entwicklung einer religiösen Orientierungsfähigkeit so zu fördern, dass ein Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in der Schule gelingt (S. 11)
  • sich an Initiativen beteiligen, die zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Inklusion führen, um herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen (S. 11f.).
  • sich mit Angeboten im Ganztagesbildungsbereich beteiligen und zum festen Bestandteil des Schulprofils werden (S. 12).
  • die Persönlichkeitsbildung in Freiräumen jenseits von leistungsorientiertem Denken und arbeitsmarktrelevanten Komponenten zu fördern (S. 13).
  • die Qualität außerunterrichtlicher schulpastoraler Angebote zu gewährleisten, z.B. durch die Qualifizierung von Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorgern (S. 13). der zu einer geklärten Zusammenarbeit der Schulpastoral mit der Schulsozialarbeit, schulpsychologischen Diensten sowie Beratungslehrkräften führt (S. 14).
  • die Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Präventionskonzepten zu unterstützen (S. 14).
  • damit die Regeln für die digitale Kommunikation an Schulen eingehalten werden und verletzendes Verhalten unterlassen wird (S. 15).
  • die Kommunikation des Evangeliums an Schulen sensibel mit einem Klima- und Umweltbewusstsein verbinden sowie die Internet- und Wissensaffinität von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen, vor allem, wenn es um politische, gesellschaftliche und persönliche Lösungsstrategien geht (S. 16).
  • indem sie in Konflikten im Schulleben vermittelt. Schulseelsorgende sollen in persönlichen Krisen ansprechbar sein und religiös Fragende und Hilfesuchende an caritative Beratungseinrichtungen und andere Institutionen weitervermitteln (S. 16).

Merkmale der Schulseelsorge

Aus der Zusammenschau der beschriebenen Praxisbeispiele mit den eben genannten Herausforderungen lassen sich folgende Schlüsse ableiten:
Schulpastorales Handeln stellt sich den Herausforderungen, die sich zum einen aus den konkreten Situationen und Begegnungen an Schulen ergeben. Zum anderen ergeben sich aus einem pastoralen Grundverständnis heraus Aufgabenstellungen, die der Menschwerdung der Einzelnen, einer verantwortlichen gesellschaftlichen Mitgestaltung, einer Zukunftsorientierung, dem Bildungsauftrag und einer transparent kommunizierten Verortung der Schulpastoral an konkreten Schulen dienen.
Aus den Praxisbeispielen ergeben sich Hinweise auf Verfahrensweisen. Schulpastorales Handeln kann demnach beschrieben werden als anbietend, aufsuchend, zugewandt, Religionen- und Weltanschauungen respektierend, fürsorgend, begleitend, Hilfestellungen gewährend, im präventiven und intervenierenden Sinne handelnd, auf Kommunikation und Kooperation angelegt, an Lebensthemen und -aufgaben orientiert, sinnstiftend und spirituell, auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung angelegt, alle einbeziehend und initiierend – Seelsorge in der Schule.
In Phasen des Lockdowns hat sich erstmals eindrücklich gezeigt, dass Schulseelsorge digitale Räume gestalten und nutzen kann – auch über die Pandemiezeit hinaus.

Schulpastoral – Schulseelsorge – Kirche und Schule

Um die Herausforderungen der Schulpastoral differenzierter fassen zu können, sei hier in Kürze ein Blick auf die mögliche Unterscheidung der Begriffe geworfen. Im Verlauf einer Modellphase Schulpastoral in der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurden die Begriffe folgendermaßen ausdifferenziert: Schulpastoral bezeichnet das kirchliche schulbezogene Handeln insgesamt. Schulseelsorge versteht sich als in der Schule angesiedelter Dienst an den Menschen in der Schule. Kirche und Schule steht für die Kooperation außerschulischer Kooperationspartner mit Schulen. Die Relevanz der Unterscheidung wurde im vergangenen Jahr deutlicher denn je. Während die Schulseelsorgenden viel zu tun hatten, war es monatelang außerschulischen kirchlichen Trägern nicht möglich, mit ihren Angeboten an Schulen zu sein. Im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit wurden deswegen z.B. Tage der Orientierung als außerschulische Bildungsmaßnahmen umgewandelt in einzelne Orientierungstage, die an Schulen stattfanden. Kirchen waren offen für Stationenwege, die von Schulklassen regelkonform aufgesucht werden konnten, z.B. Adventswege und Ostergärten.

Ökumenische Zusammenarbeit

Noch etwas anderes, Zukunftsweisendes, hat sich in der Krisenzeit deutlich gezeigt. Wenn Schulseelsorge und Schulpastoral ökumenisch ausgeübt werden, können die Stärken und Ressourcen der beiden Kirchen breitgefächert in den Dienst an den Menschen in Schulen gestellt werden. Ein Beispiel zeigt, was gemeint sein kann: Die evangelische Landeskirche Württemberg richtete zu Beginn des ersten Lockdowns eigens einen Seelsorgechat für Schülerinnen und Schüler im Pädagogisch-Theologischen Zentrum ein. Die Fachstelle Schulpastoral der Diözese Rottenburg-Stuttgart eröffnete eine neue Homepage. Hier wurden Praxistipps und Impulse für die Gestaltung der Schulpastoral/Schulseelsorge gesammelt und für alle rasch zugänglich zur Verfügung gestellt. Dass dies kein Nebeneinanderher ist, zeigt sich an der Entscheidung der beiden Kirchenleitungen, evangelische und katholische Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger ab sofort und so oft wie möglich gemeinsam in einer dreijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung auszubilden.

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