Eine franziskanische PerspektiveSprache – „kirchisch“ oder jesuanisch?

Die Liste der Klagen und Postulate ist lang. Die Sprache in unserer Pastoral, in Liturgie, Predigt und in Gebeten, insbesondere in manchen inflationären Fürbittgebeten, erscheint vielen von den relativ wenigen, die sie überhaupt noch hören und lesen wollen, als traditionell, formelhaft, nicht selten banal und infantil, weil in einem Welt- und Gottesbild gefangen, von dem sich die Mehrzahl unserer Zeitgenossen längst verabschiedet hat.

Reinhard Körner bezeichnet das auf sich selbst bezogene kirchliche, weitgehend einfach unverständliche Reden als „kirchisch“. Es wird großer Anstrengung und auch mutiger, vom Lehramt nicht behinderter Versuche bedürfen, um die christliche Theologie und Spiritualität in eine Sprache zu kleiden, welche für das heutige Bild vom Menschen, für die Postulate der Aufklärung (Autonomie der Vernunft, Überwindung selbstverschuldeter Unmündigkeit) und auch für die menschliche Selbsterfahrung als gänzlich „periphäre“ Existenz am Rande eines sich ins Unendliche ausdehnen den Universums „anschlussfähig“ ist. Das gilt meines Erachtens vor allem im Blick auf die Hypothese von Gottes „fortdauernder Schöpfung“ und das Paradigma der Evolution. Wie kann man auf diesem Hintergrund heute glaubwürdig reden von der Erbsünde, von Erlösung, von Gnade und Vorsehung? Worin bestand der „Sündenfall“, wovon und wozu wurden wir eigentlich erlöst? Was ist der letzte Sinn der Lebenshingabe Jesu im gewaltsamen Tod? Wie heute beten? Es wird m. E. kein Weg daran vorbeiführen, das Bild der Evolution auch auf tradierte Glaubensinhalte, theologische Lehrgebäude und die Kirche selber anzuwenden. Kein anderer als Papst Johannes Paul II. hat 1988 tastend gefragt: „Wirft die Perspektive der Evolution Licht auf die theologische Anthropologie, auf die Bedeutung der menschlichen Person als Abbild Gottes, auf die Christologie, ja auf die Entwicklung der Lehre als solche?“ Er war sich offenbar bewusst, dass solche und ähnliche Fragen viel Unverständnis erregen können. Deshalb fügt er hinzu, entsprechende Forschungen würden ein wertvoller pastoraler Dienst sein an all denen, „die darum ringen, wie sie die Welt der Wissenschaft und der Religion in ihren eigenen wissenschaftlichen und spirituellen Horizont integrieren können“. Die viel zitierte „Gotteskrise“ ist auch eine Folge des faktischen Beharrens der offiziellen Theologie und der Gebetssprache in antiken und vormodernen Welt- und Menschenbildern. Die Wege der sprachlichen Reinigung und Erneuerung werden nicht einfach sein. Aber wir müssen sie um der Zukunftsfähigkeit unseres Glaubens willen gehen.

Existentielle Auslegung

Franz von Assisi gab seinen Brüdern eine Richtschnur an die Hand, wie sie seine eigenen normativen Schriften – die Regel und das Testament – lesen und umsetzen sollten: sine glossa et simpliciter, d. h. wörtlich, einfach, ohne überflüssige Randbemerkungen (Glossen). Dies war folglich auch die Art, wie er die Evangelien las. Denn er glaubte, in seiner Regel deren Kerninhalt (ihr „Mark“ = medullum, so sein Biograph Celano) zusammengefasst zu haben. Man darf diese Art der Aneignung keineswegs als naiv, biblizistisch oder gar fundamentalistisch missverstehen. Er hörte das Evangelium als Melodie im Kontext seiner eigenen sich entfaltenden Lebens- und Glaubensgeschichte. Er lässt es direkt zu sich und den Brüdern sprechen. In meiner Münchner Studienzeit habe ich gern den Exegeten Otto Kuss gehört. Der ließ, originell und eigenwillig wie er nun einmal war, nur Franz von Assisi als den „einzigen richtigen Heiligen“ gelten, und zwar wegen seiner „existentiellen Auslegung“ der Bergpredigt. Franziskus war in der Tat in seiner Art, in der er über Evangelium und den Glauben zu sprechen pflegte, verglichen mit dem heiligen Augustinus oder einer modernen Mystikerin wie Adrienne von Speyer ein wortkarger Mensch. Das aber tut der Kraft und Poesie seiner Sprache keinen Abbruch. Im Gegenteil.

„Mea res agitur“?

Franz von Assisi warnt seine Brüder weiter ausdrücklich vor Weitschweifigkeit und Geschwätzigkeit. Er fordert sie auf, „kurz gefasst“ zu predigen. Denn, so lautet seine Begründung: „Der Herr selber hat sich auf Erden stets kurz gefasst.“ In einem anderen wichtigen Text sagt er, predigen und das Evangelium weitertragen solle man an erster Stelle durch das gelebte Beispiel, nonverbal, durch eine existentiell kommunikative Präsenz unter den „anderen“. Mit Worten predigen solle man erst und nur dann, wenn der richtige Moment dazu gekommen sei (so die sog. „unbestätigte Regel“). Das ist gerade heute ein höchst aktuelles Postulat für Pastoral und Mission. Aber es geht neben einer angemessenen Dauer einer Predigt und ihrem richtigen „timing“ eben doch noch um mehr, nämlich um eine vertiefte Deutungsarbeit und Sprachfähigkeit. Es sind sprachliche, begriffliche und visuelle Ausdrucksformen vonnöten, um heutigen Menschen die Ahnung zu vermitteln: Mea res agitur! D. h. hier geht es um mich, mein Leben und meine Zukunft, um meine ungestillte Sehnsucht nach Sinn und erfülltem Leben, nach Gott. Wie reden und schreiben und predigen, damit spirituelle Neugier aufkeimen und wach bleiben kann? Fromme Worthülsen und die Erörterung von Fragen, die für die Hörenden keine sind, Darlegungen von Glaubensinhalten ohne Bezug zur Lebenswelt der Moderne sind ohne Zweifel mitschuldig an der heutigen Glaubens- und Glaubwürdigkeitskrise.

Die richtigen Fragen stellen

Versuche, naturwissenschaftliche Erkenntnisse und heutige spirituelle Erfahrungen, auch aus anderen Kulturen, mit der christlichen Gottesrede (Theologie) ins Gespräch zu bringen (vgl. Teilhard de Chardin oder Willigis Jäger) sind, wenngleich ihre Anziehungskraft zu wachsen scheint, bis heute „offiziell“ marginalisiert. Das aber ist es doch, was dem Glauben neue Lebenskraft und existentielle Verankerung geben könnte: Zunächst einmal der Mut und die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen und zuzulassen. Eine Sprache, die tastend und zweifelnd sein darf, eine Sprache der Suchenden, Neugierigen, der Grenzgänger. Sie wird entstehen in einer Kirche, die nicht nur immerfort andere lehrt, sondern vor allem selber demütig lernt; die staunen kann über und dankbar sein kann für den geistlichen Reichtum der Anderen und angeblich Fremden. Es wird eine befreiende Sprache sein, keineswegs naiv, vielmehr diskursfähig auf den Areopagen und Foren der Einen Welt, nicht abstrakt, sondern konkret und poetisch-verfremdend. Eine solche Glaubenssprache ist nicht für die Ewigkeit bestimmt. Sie kann auch nie unfehlbar sein. Sie wird in ihrer Konkretion und Bildhaftigkeit eine befreiende Alternative zur „wortreichen Sprachlosigkeit“ (R. Bucher) offizieller Verlautbarungen sein. Es wird eine mutige Sprache sein, welche im Sinne der biblischen Tradition Erinnerung und Prophetie zugleich ist.

Neue „Räume“ für Gottes Geist

Gottes Geist sucht sich stets neue Räume. Das sind keine von Mauern oder von „endgültigen“ oder gar unfehlbaren Definitionen umschlossene Bereiche, sondern offene Begegnungs- und Erfahrungsräume für alle, die von Gottes Geist bewegt auf der Suche sind. Ihr Urbild bleibt die im Wort und in der Eucharistie verbundene gastfreundliche Gemeinde oder geistliche Gemeinschaft. Solche Räume können Existenzerfahrungen wie Dank, Suche, Zweifel und Bitte, aber auch Begriffen wie Gott, Gnade, Inkarnation und Vollendung in neuer Weise zum Ausdruck bringen. Sie beten in einer Sprache, die innerlich befreit. Ihnen gelingt es, in schöpferischer Weise, und zwar nicht nur im Wort, sondern auch in Musik und visuellen Formen, im Blick auf das Heute anzuknüpfen an jene jesuanisch-prophetischen Ursprünge , deren Zerreden und Verblassen in der offiziellen Kirche den Zugang zum lebendigen Glauben erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Eine prophetische und poetische Sprache wird immer die Vision vom Reiche Gottes offenhalten, das in Jesus gekommen ist, weiter wächst und ständig Wandel und Entwicklung mit sich bringt. Sie wird notwendigerweise übersetzen und interpretieren. Sie wird verzichten auf den Anschein religiöser Gottesunmittelbarkeit, auf fundamentalistische Behauptungen, auf den faktischen Anspruch, Sachwalter letzter Wahrheiten zu sein. Kirchliche Sprache kann nur Vorläufiges, Perspektivisches, nicht Abgeschlossenes in Worte fassen. Eben das möchte ich zum Schluss in einer „kurgefassten“ Ansprache versuchen, die ich dem Heiligen aus Assisi in den Mund lege.

Wenn Franziskus von Assisi heute predigen würde

Selig sind alle, die den langen Atem der Hoffnung haben. Sie werden immer neu erfahren, dass Netze zerreißen, wenn Menschen ihren Traum von Freiheit nicht begraben. Selig alle, die keine Waffen tragen. In ihnen verwirklicht sich schon heute eine Etappe des kommenden Reiches. Selig alle, die mit ehrlichem Herzen Gott suchen. Das Verharren in Gottes Gegenwart ist wie ein Netz, das uns nie ins Leere fallen lässt. Selig sind alle, die global denken und lokal handeln. Sie legen den Grundstein für eine neue, gerechte und friedliche Welt. Selig alle, die sich in den Dienst aktiver Gewaltfreiheit stellen. Sie sind Werkzeuge eines dauerhaften Friedens. Selig die Tapferen und Geduldigen. Sie sind wie Rosen, die Pilger in der Wüste erfreuen. Sie sind wie eine wohlklingende Hirtenflöte, die Mauern der Feindschaft zum Einsturz bringen und Herzen aus Stein milde stimmen. Selig Ihr Aufmerksamen und Verwundbaren. Ihr tragt viel bei zu einer dauerhaften Kultur des Dialogs und der Verständigung. Selig seid ihr, wenn ihr euch nicht abschottet, sondern Formen des Zusammenlebens fördert, in denen niemand wegen seines Geschlechtes oder seiner Hautfarbe unwillkommen ist und in denen die verschiedenen Kulturen und Religionen einander schätzen und voneinander lernen und in denen alle unterschiedlich und doch gemeinsam dem einen Gott die Ehre geben.
Denn das Reich Gottes ist wie die Zärtlichkeit und Kraft jener Männer und Frauen, die weiter zu blicken verstehen als wir heute sind. Das Reich Gottes wächst in allen, die aus der Kraft des geteilten Evangeliums und des gebrochenen Brotes leben. Das Reich Gottes bricht an, wo Menschen aus allen Kulturen und Religionen gemeinsam die verborgene Präsenz des einen Gottes erspüren und in dieser Gewissheit zu Mitschöpferinnen und Mitschöpfern einer Welt werden, in der alle Menschen in Würde leben.

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