Rezensionen: Theologie & Kirche

Bordt SJ, Michael: Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen: Spiritualität in Zeiten des Umbruchs.
München: Elisabeth Sandmann 2020. 128 S. Gb. 16,–.

Um „Wege zur Spiritualität aufzuzeigen, die auch unabhängig von einer Religion vermittelbar sind, und […] Menschen zu einer neuen Klarheit, Freiheit, Selbstbestimmung und Tiefe ihres eigenen Lebens führen können“, führt der Jesuit Michael Bordt in klarer, einfacher Sprache und mit vielen lebensnahen Beispielen durch philosophische und theologische Ansätze, neueste Erkenntnisse aus der Spiritualitätsforschung und den kontemplativen Neurowissenschaften, Aspekte (vergleichender) Religionswissenschaften, den reichen Erfahrungsschatz des Jesuitenordens und altes Wissen verschiedener Religionen.

Vor allem aber greift er auf seine eigenen Erfahrungen aus Meditationskursen für Führungskräfte aus der Wirtschaft, von denen viele keinen religiösen Hintergrund haben, und eine persönliche jahrzehntelange spirituelle Praxis zurück, die er vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Disziplinen und verschiedenen spirituellen, religiösen oder weltanschaulichen Traditionen reflektiert. Das macht das Buch besonders glaubhaft und zur persönlichsten unter den vielen Veröffentlichungen des Autors.

Das Buch will Menschen auch außerhalb von Religionen ermutigen, sich auf eine spirituelle Reise zu sich selbst zu begeben. Der Autor begleitet seine Leserinnen und Leser – ausgehend von einer Phänomenologie der Sehnsucht in den ersten Kapiteln – über die Hindernisse, Widerstände sowie dunkle Episoden im spirituellen Leben (und den damit verbundenen Gewinn) bis hin zur Erfahrung von Einheit und Verbundenheit – mit anderen Menschen, der Natur, dem Universum, Gott oder dem Göttlichen. In den letzten beiden Kapiteln zeigt er die existenzielle Bedeutung dieser Einheitserfahrung für Zeiten der Krise auf, er plädiert für eine spirituelle Identität, die sich in Liebe und Hingabe realisiert. Er erörtert Auswirkungen auf Fragen von Ethik und Moral oder etwa die persönliche Auseinandersetzung mit Leiden und Sterben.

Ohne Vergleiche überzustrapazieren, gelingt es dem Autor, spirituelle Praktiken verschiedener Religionen nebeneinanderzustellen sowie die Rolle der Religionen, den gemeinsamen Kern der Sehnsucht und die gemeinsame Richtung spirituell übender Menschen herauszuarbeiten. Das Buch wendet sich dabei nicht nur an diejenigen, die in einer Religion leben, sondern besonders an Menschen, die ihren spirituellen Weg außerhalb der Religionen suchen und gefunden haben, die beispielsweise Yoga praktizieren oder die Mindfulness-Meditation üben.

Wenngleich Bordt von der Perspektive einer bestimmten Tradition, nämlich seiner als Christ und Jesuit, her denkt, beschreibt er die Erfahrungen von Sehnsucht und Einheit als universell menschliche, die – entsprechend der jeweiligen Kultur, Religion oder Weltanschauung – notwendigerweise ganz unterschiedliche Deutungen zulassen und letztendlich dazu führen, die Bilder, Erzählungen, Lehren und Vorschriften der eigenen Religion unwichtiger werden zu lassen: „Ich hoffe, dass mein spiritueller Weg innerhalb des Christentums mich zu einem Ziel führt, das sich der Sache nach nicht von dem Ziel unterscheidet, das eine Zen-Buddhistin oder ein Yogi verfolgen“.

Vielleicht hätte sich Michael Bordt in einer anderen Kirchenzeit noch mit (unberechtigten) Relativismusvorwürfen auseinandersetzen müssen. 2020 zeigt sich das Buch als spirituelle Antwort auf eine moralisierende Kultur in Zeiten des Umbruchs und der Krise – und damit letztendlich auch als Beitrag zu einer spirituellen Erneuerung der Kirche.

Björn Mrosko SJ

 

 

Kasper, Kardinal Walter: Juden und Christen. Das eine Volk Gottes.
Freiburg: Herder 2020. 160 S. Gb. 22,–.

Walter Kardinal Kasper ist ein führender katholischer Theologe der Gegenwart und kann auf ein großes Werk schauen. Er stand im Vertrauen der Päpste und war von 2001 bis 2010 als „Ökumene-Kardinal“ Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der religiösen Beziehungen zum Judentum. Nun hat er aus dieser Zeit einige Artikel, Vorträge und Referate zum internationalen Dialog zwischen Juden und Christen gesammelt, vorgelegt und seinen „jüdischen Freunden in tiefer Verbundenheit gewidmet“.

Vorangestellt ist ein neuer etwas längerer Aufsatz, „Juden und Christen – Neuanfang nach der Katastrophe der Schoah“, der der oft verwirrenden Geschichte des jüdisch-christlichen Verhältnisses nachgeht. Der Artikel ist fast lexikalisch und sieht die Tragik der Substitutionstheorie, nach der die Kirche Israel als Heilsgemeinde abgelöst habe. Dies war zwar nicht offizielle Kirchenlehre, aber hat das Bewusstsein der Christen seit Tertullian und vielen Kirchenvätern lange antijudaistisch bestimmt. Erstaunlich ist im Mittelalter die neue Sicht bei den Zisterziensern, bei Hildegard von Bingen, Hugo von St. Viktor und auch Thomas von Aquin. Aber erst die Katastrophe der Schoah hat zu einem radikalen Umdenken geführt. Die Zusammenarbeit von Papst Johannes XXIII., Augustin Kardinal Bea und dem jüdischen Gelehrten Jules Isaac führte auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit der Erklärung Nostra aetate zu einem brüderlichen Neuanfang. Der Gedanke einer „Judenmission“ wurde nun endgültig verabschiedet, so dass nach der Vatikanerklärung „Wir erinnern. Eine Reflexion über die Schoah“ (1998) im Jahr 2000 die versöhnliche Rabbiner-Erklärung „Dabru emet – Redet Wahrheit“ erfolgen konnte.

Im Blick auf die Reichspogromnacht 1938 warnt Kasper vor Gleichgültigkeit und jeder Art von Antisemitismus. Juden und Christen stehen „Schulter an Schulter“ (91) und sind zur Verantwortung vor Gott gerufen. Christen müssen erinnernd die „Last der Geschichte annehmen“ (88). Juden und Christen bilden kein altes oder neues Volk Gottes, sondern gemeinsam das „eine Volk Gottes“ (143), das unterschiedlich auf den einen Bundesgott antwortet. Brisant bleibt die Frage nach dem nach der Schoah neu entstandenen Staat der Juden, dessen Existenzrecht für Christen unumstritten ist. Bleibende Trennungen werden nicht überspielt, was besonders der abgedruckte Briefwechsel mit Hanspeter Heinz vom Gesprächskreis „Juden und Christen“ des ZdK aus dem Jahr 2005 zeigt.

Die zunächst irritierenden Gedanken „Gnade und Berufung ohne Reue“ (2018) des emeritierten Theologenpapstes Benedikt XVI. werden von Kasper vor Missverständnissen geschützt. Das Thema „Karfreitagsfürbitten“ ist ausgespart. Während Martin Buber in Jesus seinen „großen Bruder“ sah und die Rede vom „Juden Jesus“ (Walter Homolka) selbstverständlich geworden ist, kann auch künftig von beiden Partnern des Dialoges mit Shalom Ben-Chorin gesagt werden: „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns“. Das ist im 21. Jahrhundert keine Feindschaft mehr, sondern ein friedliches Zusammensein im gemeinsamen Erbe als Zeichen für das Wohl, das Heil und die Versöhnung der gesamten Menschheit. Ähnliches hatte schon Paulus in Röm 9 vor Augen. Walter Kasper gibt verlässliche Orientierung. 

Stefan Hartmann

 

Kopp, Stefan (Hg.): Macht und Ohnmacht in der Kirche. Wege aus der Krise.
Freiburg: Herder 2020. 251 S. Kt. 26,–.

Die Beiträge des Bandes kreisen um das so aktuell gewordene Thema der Macht in der Kirche. Sie gehen auf Vorlesungen im Rahmen der Paderborner Montagsakademie im Wintersemester 2019/20 zurück. Mitgearbeitet haben Lehrende der Paderborner Theologischen Fakultät und einige Gäste. Wie immer bei solchen Sammelbänden haben die Beiträge unterschiedlichen Stil, auch unterschiedliche Qualität und Kraft. Ich greife Weniges aus Texten auf, die mich überzeugten:

Klaus Mertes SJ beschreibt den Stand der Dinge in Sachen Missbrauch; anregend sein Vorschlag eines nationalen – nicht kirchlichen, sondern übergreifenden – Kompetenzzentrums für seelsorgerliche, therapeutische und juristische Begleitung von Betroffenen: Aller Missbrauch muss letztlich von allen gesellschaftlichen Kräften in Blick genommen, aufgearbeitet, verhindert werden. Hans Zollner SJ weitet den Blick auf die weltweite Perspektive und bringt u.a. psychologische Aspekte von Macht und Missbrauch auf den Punkt. Thomas Söding schreibt über Macht im Neuen Testament: Es gibt sie, und ohne sie kann das Reich Gottes nicht errichtet werden; Jesus hat sie und verleiht sie seinen Jüngern; es gibt Missbrauch, und vor diesem wird gewarnt. Heinz Blatz deutet das Markusevangelium als Anti-Erzählung gegen den Machtgebrauch des römischen Imperiums. Nicole Priesching untersucht historisch das Verhältnis von Macht und Gewissensbildung; sie endet mit der Feststellung, dass in der Neuzeit der Beichtvater Macht über die Gewissen bekam, indem er die gebeichteten Sünden deutete – einerseits steigerte er die Angst um das Heil, andererseits tröstete er die Ängstlichen. Herbert Haslinger schließlich zeigt mit großer Klarheit und Schärfe – Überschärfe? – den Zusammenhang von Sexualität und Sexualitätsverzicht zur Macht und zum Machtmissbrauch auf – sieht er in der zölibatären Lebensweise keinerlei sinnvolle Aspekte? Christoph Jacobs beschreibt u.a. den Ansatz Foucaults zur pastoralen Macht und gibt wichtige Anregungen zu einer neuen Kultur der Machtausübung in der Kirche.

Die Thematik ist Baustelle – der Band gibt dazu ein paar interessante Bausteine, nicht mehr und nicht weniger. Schade, dass der sehr zielführende Ansatz von Hannah Arendt zur Macht nicht aufgegriffen wird. Die Beiträge sind teilweise recht normativ, appellativ, idealisierend – „man soll“, „man müsste“; bemerkenswert ratlos bleiben sie gegenüber der Frage, wie man verfestigten klerikalen Machtstrukturen, die in manchen theologischen Diskursen hoch ideologisiert sind und deren Protagonisten den argumentativen Dialog verweigern, konkret beikommen kann.

Stefan Kiechle SJ

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