Rezensionen: Geschichte & Biografie

Andreas Pangritz; Egeria

Pangritz, Andreas: „Der ganz andere Gott will eine ganz andere Gesellschaft“. Das Lebenswerk Helmut Gollwitzers (1908-1993). Stuttgart: Kohlhammer 2018. 110 S. Kt. 15,–.

Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer, der am 29. Dezember 2018 110 Jahre alt geworden wäre und dessen 25. Todestag sich im Oktober jährte, hat wie nur wenige seiner theologischen Zeitgenossen Theologie gelehrt und gelebt in der Tagesordnung der Welt. Theologie als „Befreiung zur Solidarität“ (so der Titel einer Vorlesung Gollwitzers im Sommersemester 1975, mit der er seine Lehrtätigkeit als Professor an der Freien Universität Berlin beendete) – unter dieser Prämisse standen Leben und Wirken von Helmut Gollwitzer. Es ist also an der Zeit, an sein Wirken zu erinnern. Dazu leistet die theologisch-biografische Skizze von Andreas Pangritz, Professor für Systematische Theologie an der Universität Bonn, einen wichtigen Beitrag.

In acht Kapiteln entfaltet Pangritz Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Theologen und zeigt dabei u.a., dass 1. Helmut Gollwitzer schon in den 50er-Jahren eine theologische Neubestimmung des jüdisch-christlichen Verhältnisses gefordert hat; denn ihn irritierte, dass die christliche Theologie sehr schnell über Auschwitz hinweggehend wieder so zu reden versuchte, wie sie es zuvor getan hatte. 2. Gollwitzer hat mit seinen Anstößen immer wieder den theologischen Lehrbetrieb provoziert, der nur fortwährend Überkommenes reproduzierte. 3. hat sich Gollwitzer mit Fragen der politischen Ethik bereits zu einer Zeit befasst, als die Evangelische Kirche und mit ihr die Evangelische Theologie die Möglichkeit und die theologischen Bedingungen Evangelischer Sozialethik (neben der traditionellen Individualethik) noch nicht wirklich grundgelegt hatten. Exemplarisch lässt sich dies u.a. an Gollwitzers Vortrag aus dem Jahr 1957 „Wir Christen und die Atomwaffen“ aufzeigen. 4. Gollwitzers Theologie und Ethik waren ökumenisch; er thematisierte nicht nur die Probleme des Nordens, er nahm vielmehr den gesamten bewohnten Erdkreis in den Blick, indem er sich die drängenden Fragen der Länder der sog. Dritten Welt zueigen machte. 5. Helmut Gollwitzer hat in seinen Schriften und Reden Konsequenzen für ein Christsein nach Auschwitz und Hiroshima benannt und ist damit für viele innerhalb und außerhalb der Kirche in seiner konkreten biblisch-ethischen Entscheidung wegweisend geworden. 6. Darüber hinaus waren Gollwitzers stets auch außerhalb der Kirche stark beachtete Stellungnahmen zu Tagesfragen nicht die Marotte eines politisierenden Theologen, sondern sie ergaben sich für ihn als „Forderungen der Freiheit“ – so der Titel einer Sammlung von Aufsätzen und Reden zur politischen Ethik. Helmut Gollwitzer, so Pangritz, „gehörte zu den einflussreichsten, auch international angesehenen, politisch engagierten evangelischen Theologen deutscher Sprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und scheint doch heute weitgehend vergessen zu sein. Dabei könnte nicht nur die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise, sondern auch die Krise, in die das Gespräch zwischen den Religionen und Ideologien im Zeitalter der Globalisierung geraten ist, Grund genug sein, sich erneut an Gollwitzer als einen Pionier einer dialogischen, kritischen und engagierten Theologie zu erinnern.“

 Wolfgang Brinkel

 

 

Egeria: Itinerarium. Der antike Reiseführer durch das Heilige Land, eingeleitet und übersetzt von Georg Röwekamp. Freiburg: Herder 2018. 203 S. Ln. 30,–.

Vermutlich Ende des 4. Jahrhunderts pilgerte eine fromme Frau namens Egeria, die wohl aus dem Nordosten Spaniens stammte, durch das Heilige Land und den Sinai. Sie wird auch „Nonne“ genannt, war aber wohl eher eine gebildete und wohlhabende Dame, die einer geistlichen Frauengemeinschaft angehörte. In volkstümlichem Latein schrieb sie einen ausführlichen Bericht über ihre Reise, der, teilweise in Fragmenten, gut erhalten und heute eine Fundgrube für Historiker und Archäologen ist. Sie beschreibt ausführlich die Orte und Wege ihrer etwa vier Jahre lang dauernden Reise, immer mit den biblischen Bezügen und mit Berichten darüber, welche Mönche und „heiligen Männer“ an den Orten lebten – für andere Bewohner der Gegenden und etwa für landschaftliche Schönheit interessiert sie sich weniger.

Vermutlich reiste Egeria mit einer kleinen Gruppe und in Reisewagen oder mit Kamelen und Eseln, übernachtet wurde in Raststätten am Weg. Die Orte sind meist identifizierbar, und manche der von Egeria beschriebenen Kirchen und Gebäude sind heute erhalten oder in Ruinen zu sehen. Ausführlich beschreibt sie die feierliche Liturgie der Heiligtümer in Jerusalem.

Georg Röwekamp, herausragender Kenner des Heiligen Landes und derzeit Repräsentant des Deutschen Vereins vom Heiligen Land in Jerusalem, fertigte bereits vor Jahren eine zweisprachige wissenschaftliche Edition des Reiseberichts der Egeria. Vorl. Neuausgabe bringt den Text in deutscher Übersetzung – leider ohne die Beschreibung der Jerusalemer Liturgie – einem breiteren Publikum nahe. Die Edition ist äußerst sorgfältig und genau gearbeitet, sowohl in der Einleitung und in den wissenschaftlichen Anmerkungen als auch in der druckgrafischen Gestaltung und in der reichen Bildauswahl, die antike Darstellungen biblischer Szenen mit Fotografien der heutigen Stätten verbindet. Interessant ist das Buch für heutige Heilig-Land-Pilger, die mit dem antiken Bericht einen anderen und vertieften Zugang zu manchen Heiligen Stätten finden können, aber auch für Liebhaber orientalischer Welten, die einen faszinierenden Einblick in das frühchristliche Pilgerwesen bekommen. Bemerkenswert auch, dass in Zeiten des Billigdrucks und der Digitalisierung hier ein rundum gelungenes schönes Buch angeboten wird – das Haptische und Ästhetische ist noch nicht ganz verloren, und es wird immer seine Liebhaber finden. In gleicher Ausstattung erschienen im Verlag Herder zwei historische Führer über die Stadt Rom.

 Stefan Kiechle SJ

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