Heranwachsen in der Medienwelt

Das jüngste Kinderbarometer Deutschland 2009 zeigt eindrucksvoll, daß der Umgang mit Fernsehen, Computer und Internet für Kinder und Jugendliche so selbstverständlich geworden ist wie Lesen und Schreiben. 91 Prozent der Neun- bis 14jährigen haben Zugang zu einem Fernseher und Computer und 84 Prozent auch zum Internet. Angeblich überlegen sich fast zwei Drittel von ihnen ganz genau, welche Fernsehsendungen sie anschauen, doch benützt jeder Fünfte Fernseher und Computer als Trostpflaster.

Anderen Studien zufolge ist das Fernsehen neben dem Treffen mit Freunden die beliebteste Freizeitbeschäftigung von Sechs- bis 13jährigen, während Jugendliche vor allem ins Internet gehen und dort im Durchschnitt täglich 114 Minuten surfen. Am meisten faszinieren sie dabei kommunikative, interaktive Tätigkeiten: auf Videoplattformen (etwa YouTube) Video-Clips anschauen und hochladen, sich anderen auf Netzwerkplattformen (SchülerVZ, StudiVZ) oder durch "Instant Messaging" mit seinen Hobbys und Privatfotos vor stellen, Freunde suchen, plaudern und diskutieren. Auf Mitmachen, nicht bloß auf Anschauen, sind auch die Computerspiele angelegt, die vorrangig männliche Jugendliche interessieren und nicht selten Gewaltszenen enthalten.

Ein alarmierender Befund? Die möglichen Risiken und Nachteile sind unübersehbar. Exzessives Fernsehen oder Computerspiel führen zur Flucht in eine virtuelle Welt und weisen meist auf Probleme mit Familie, Schule und Gleichaltrigen hin - eigentlich ein Hilferuf. Übertriebener Zeitaufwand, der sich vereinzelt bis zu suchtähnlicher Abhängigkeit steigert, beherrscht das Denken und Fühlen und engt es auf die Bildschirmwelt ein. Beim Austausch im Internet können Heranwachsende auch zur unbedachten Preisgabe persönlicher Daten und zum (realen) Kontakt mit fragwürdigen Freunden verführt oder zum gemeinsamen Haß gegen Mitschüler oder Lehrer angestachelt, aber auch selbst beschimpft, gemobbt und sexuell belästigt werden. Nicht weniger bedenklich sind rechtsextreme Propaganda und die Verherrlichung von Eßstörungen mit Abnehmwettbewerben sowie pornographische Darstellungen, die ein inhumanes Bild von sexuellen Beziehungen vermitteln. Gewalthaltige Computerspiele fördern - so wie Filme und Fernsehsendungen mit Gewaltszenen - etwas die Reizbarkeit und aggressionsbefürwortende Einstellungen, üben allerdings nur bei Problemjugendlichen mit schwierigem Elternhaus, mangelnden Schulleistungen und häufiger Zurückweisung durch Gleichaltrige eine gefährliche Wirkung auf die Gesamtaggressivität aus.

Zwar sind die Medienwirkungsforschung und die pädagogische Diskussion noch im Fluß, doch lehnen die meisten Fachleute eine pauschale Verteufelung der Medien als unbegründet (und unwirksam) ab. Man ist sich weitgehend darin einig, daß die genannten Gefahren gebannt werden können, wenn sich die Eltern-Kind-Beziehung hinreichend positiv entwickelt und Eltern sowie professionelle Erziehende den Heranwachsenden einen kritisch-konstruktiven Umgang mit den Medien vermitteln; denn die bieten ja auch pädagogische Chancen.

Wird damit Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrkräften eine medienpädagogische Aufgabe aufgebürdet, die sie überfordert? Keineswegs. Sie schaffen, ohne Medienprofis werden zu müssen, bereits eine wichtige Grundlage, wenn sie - statt genereller Verbote - im Gespräch mit den Kindern Regeln aufstellen, was sie im Fernsehen wie lange anschauen und welche Computerspiele sie spielen können. Darüber hinaus bieten einzelne Medienpädagogen, Initiativen und staatliche Stellen Heranwachsenden und Erziehenden in Elternabenden, Broschüren und Online-Informationen Hilfen, die laufend weiterentwickelt werden.

Einige, die leicht über Internet zugänglich sind, seien erwähnt: Für Erziehende von Drei- bis 13jährigen beurteilt www.flimmo.de die aktuellen Fernsehprogramme nach Kindertauglichkeit und vermittelt als www.flimmo-fachportal.de Anregungen für die medienpädagogische Arbeit mit Kindern. Direkt an Heranwachsende, aber auch an Erziehende, wenden sich www.internet-abc.de und klicksafe.de mit Informationen und Anregungen. Grundschulkinder können sich bei www.mediasmart. de durch "Inge Internet" und "Felix Fernsehen" über die Medien- und Werbewelt aufklären und Lehrer Unterrichtsmaterialien übermitteln lassen. www.jugendschutz.net veröffentlichte im Jahr 2008 Faltblätter zur sicheren Konfiguration und zu Jugendschutzfiltern und bietet Eltern und Pädagogen eine Website "Chatten ohne Risiko?" mit nützlichen Hinweisen an, während www. watchyourweb.de Heranwachsende über den sicheren Umgang mit dem Internet aufklärt.

Wenn die neue Medienwelt für Jugendliche die zeitgemäße Form freier Kom munikation bedeutet, muß sich auch die kirchliche Jugendarbeit fragen, wie sie in ihr sinnvoll mitspielen kann, obwohl die reale Gruppenerfahrung in Gesprächen und Aktionen durch nichts zu ersetzen ist. Jugendreferate (oder auch www.katholisch. de) vermitteln bereits über Internet Informationen und Anregungen für Kinder, Jugendliche und die kirchliche Jugendarbeit. Doch erweisen sich Angebote zum Austausch und Mittun als schwierig und aufwendig. Immerhin können sich Kinder und Jugendliche über Internet in individuellen Mail-Dialogen beraten lassen (www.christliche-onlineberatung.de), Kontakt mit Seelsorgern aufnehmen, ein Abendgebet mit eigenen Fürbitten mitfeiern (www.funcity.de), für einen an deren, dem dies mitgeteilt wird, eine virtuelle Kerze anzünden und ein Gebet formulieren (www.kip-radio.de/Kerzentisch); und junge Erwachsene können sich in Diskussionsforen zu kontroversen religiösen Themen äußern (www.kath.de, youth web.de). Respektable Anfänge sind vorhanden. Sie verdienen es, weiterentwickelt und bekanntgemacht zu werden.

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