Das ist mal wieder ein Text. Kurz und … schmerzvoll. Da ist eine riesige Diskrepanz, die eigentlich nur Eingeweihte für sich ausgleichen können. Theologen oder von Theologen geprägte Kirchgänger. Spüren Sie die?
Draußen auf dem Weihnachtsmarkt ist so viel Greifbares, Sichtbares, Erfahrbares. Weihnachten hat ja auch viel mit Schmecken, Riechen und Fühlen zu tun. Glühwein, Tannenduft, Gebrannte Mandeln. Und hier in der Christmette? Plötzlich schwere Theologie. Eine Ansammlung von Wörtern, für die man normalerweise jeweils eine eigene Predigt braucht. Offenbart im Fleisch. Gerechtfertigt im Geist. Erschienen den Engeln. Gepredigt den Heiden. Geglaubt in der Welt. Aufgenommen in die Herrlichkeit.
Was macht man daraus? Als Zuhörer? Den Bauch voll von schönem Weihnachtsessen. Die Gedanken bei den tollen Geschenken, die wir bekommen haben. Die Bilder vom schön geschmückten Weihnachtsbaum vor Augen. Und in der Nase noch der Geruch von Zimt und Zucker und Lebkuchen und was es sonst noch so gibt.
Warum muss das jetzt sein mit diesem hochtheologischen Text. Einem kleinen Glaubensbekenntnis?
Vermutlich, weil das normal ist. Und immer schon normal war. An Weihnachten erfahren wir in sinnlichen Dingen Gott. Weil wir es ja anders gar nicht können. Wir haben keine Chance, uns ihm intellektuell zu nähern. Wir können nur darüber sprechen, was Menschen seit Jahrtausenden mit Gott erfahren haben. Und niedergeschrieben. Und gedeutet und erklärt. Das war die Aufgabe des Schreibers des Timotheusbriefes.
Die Weihnachtsgeschichte. Gott im Kind ganz tief unten auf der Erde. Ganz tief unten in menschlicher und vermutlich auch tierischer Gesellschaft. Nah bei jedem Menschen, der weiß, wie Leben abseits der Luxusjachten und Paläste aussieht. Wir können von Gott – und so muss man ihn definieren – nichts wissen. Wir können nur in Bildern sprechen. Und Weihnachten bietet uns viele davon. Wir leben in unserer Beziehung zu Gott davon, dass wir ihn erfahren. Darum ist Weihnachten so ein sinnliches Fest. Und darum schenken wir uns gegenseitig etwas. Das Geschenkewesen ist ein schwacher Abglanz des großen Geschenkes, das Weihnachten vermitteln will. Gott ist nicht da oben. Im Himmel. Hinter den Sternen. Nein. Er ist hier. In jedem Stall, in jedem Haus, in jeder Kirche. Da, wo Menschen sind. Und Gott ist kein König. Wie wir es gerne hätten. Kein Mächtiger, kein Kriegsherr oder Puppenspieler. Er möchte in den Menschen sein. In einem winzigen, hilflosen Baby zeigt er sich. Und braucht die Hilfe von uns Menschen. So, wie jedes Baby lange, lange Hilfe zum Leben braucht.
Wir Theologen, auch der Schreiber des Timotheusbriefs versuchen zu erklären. Nicht Gott erklären. Sondern die Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen. Anderes steht uns ja nicht zur Verfügung. Da ist die Weihnachtsgeschichte, die wir heute vielfach gehört haben. Voll von Geschichten. Von mächtigen Kaisern und Statthaltern. Von menschlichen Gesetzen. Von Bedürftigkeit und Not. Von der Wanderung des Ehepaars. Von der Herbergssuche und dem Abgewiesen werden. Von Rettung in den Stall und Geburt. Von Armut und Angst. Und von Freude bei wildfremden Menschen. Und dem Gefühl, dass da nicht nur Hirten jubeln, sondern auch Engel. Und dass dann alles gut wird mit der Welt. Die Sehnsucht des Menschseins verpackt in das ganze Drama des Menschseins. Und mittendrin Gott. Nicht erklärt, sondern erzählt. Nicht beschrieben, sondern erfahren.
Das reine Erzählen genügt uns Menschen nicht. Wir nehmen die Erfahrungen anderer oft nicht ernst. Zum Beispiel die des jungen Mannes, der mir schon seit einiger Zeit von seinen Ängsten erzählt. Das ist auch einer, dessen Erfahrungen gerne abgetan werden. Sie fordern uns heraus. Wir wollen wissen. Und deuten können. Die Welt verstehen. Du kannst nicht raus aus deiner Wohnung? Es geht nicht? Es ist alles dunkel um dich? Dann reiß dich zusammen. Geh doch mal an die frische Luft. Triff Leute. Andere haben auch Angst. Andere haben auch mit Schicksalsschlägen zu kämpfen. Schlimm für Betroffene. Menschliche Erfahrungen werden in ihrer Subjektivität nicht akzeptiert. Und die Einzigartigkeit jeder persönlichen Erfahrung abgesprochen. Man sucht nach Erklärungen. Man deutet sie. Und beginnt, Theorien und Lehren zu entwickeln.
Dieses Drama der Menschheit im Kleinen. Fokussiert auf die junge Familie und letztlich auf das Baby. Das ist uns Menschen nicht genug. Es ist schön. Es ist spannend. Es weckt Mitleid und Staunen. Mitgefühl und auch Freude. Aber es reicht nicht. Die Geschichte braucht Deutung. Sie muss erklärt werden. Das, was Menschen später mit dem erwachsenen Jesus erleben, reicht nicht. Es braucht die Briefe des Paulus und der anderen. Sie machen aus dem Erlebten mit Jesus Lehre. Lehre über Gott.
Und dann fangen wir vielleicht ein wenig an zu verstehen, was der Schreiber des Timotheusbriefes sagen will. „Offenbarung im Fleisch“ wird zu der erzählten Tatsache, dass das Kind, das in der ärmlichen Krippe liegt, Gottes Wesen in die Welt bringt. „Gerechtfertigt im Geist“ könnte heißen, dass hier etwas Neues geschieht, wenn Gott sich so menschlich zeigt. Dass die Menschen wertvoll sind für ihn. Das mit den Engeln erklärt sich von selbst. So wie der ursprüngliche Erzähler der Geschichte sich freut über das neugeborene Kind. Und diese Geschichte ist so interessant, dass sie bald in der ganzen bekannten Welt erzählt und geglaubt wird. Das konnte schon der Schreiber des Timotheusbriefes erleben. Als der christliche Glaube sich ausgebreitet hat. Man hat begonnen zu glauben, dass dieses Kind etwas ganz Besonderes ist.
Was wir erleben mit Gott und was wir davon erzählen, ist entscheidend. Ich als Theologe kann da nur versuchen, es zu deuten. Die Weihnachtsgeschichte ist besser und schöner und mehr voller Gottesbild als ich es je deuten kann. Vielleicht wäre es gut, auch für unsere Kirche, wenn wir wieder mehr erzählen würden. Täuschen Sie sich nicht. Auch in der TikTok-Welt wird erzählt. Anders und schneller und wirrer, als ich es nachvollziehen kann.
Wir Menschen leben von Geschichten. Sie sind uns alltäglich. Warum dann nicht von Erfahrungen mit Gott erzählen. Mit den Menschen sprechen, nicht von Offenbarung, und Herrlichkeit und Rechtfertigung. Sondern von Gott, der uns in jedem Menschen begegnet. Von dem Trost und dem Vertrauen ins Leben, von dem die Psalmen sprechen. Oder davon, dass Gott uns so ernst nimmt wie wir sind.
Ich mag Geschichten. Ich höre sie so gerne. Und sie bereichern mein Leben. Und aus jedem Menschen, der mir erzählt, spricht wieder ein Stück Leben, ein Stück Gott. Das ist für mich immer wie Weihnachten.