Jede Frau, die betet oder prophetisch redet mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt; denn es ist gerade so, als wäre sie geschoren. (1. Korinther 11,5)
Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in den Gemeindeversammlungen.
(1. Korinther 14,34)
Zwei widersprüchliche Aussagen in ein und demselben Paulusbrief. Im Kapitel 11 geht der Verfasser des 1. Korintherbriefes selbstverständlich davon aus, dass auch Frauen prophetisch reden können und in Kapitel 14 untersagt er ihnen die Rede in Gemeindeversammlungen. Wie ist das zu verstehen? Wie war es tatsächlich in der frühen Christengemeinde?
Die neuere Bibelexegese löst den hier festgestellten Widerspruch mit einer klärenden Hypothese auf. Danach wurde das Schweigegebot erst nachträglich in den 1. Korintherbrief eingetragen. Es ist somit kein originäres Pauluswort aus der frühesten Zeit der Christengemeinde, in der auch Frauen prophetisch redeten. Aber aufgrund der lange üblichen wörtlichen Auslegung der biblischen Schriften wurde Frauen jahrhundertelang das Predigen untersagt.
Trotzdem gab es bereits im Mittelalter Frauen, die als Prophetinnen das Wort ergriffen und öffentlich, jedoch außerhalb von Kirchenmauern, predigten. Zu ihnen gehörten neben anderen Hildegard von Bingen (1098–1179) und Katharina von Siena (1347–1380). Als predigende Frauen blieben sie jedoch eine Ausnahme.
Obwohl das von Luther propagierte Priestertum aller Gläubigen die Frauen einschloss, war das öffentliche Predigtamt auch in der Reformationszeit den Männern vorbehalten. Martin Luther konnte sich die öffentliche Predigt von Frauen nur bei Katastrophen wie dem Tod aller Männer im Krieg vorstellen. Trotzdem gab es sie, die Frauen, die das Predigtamt für sich reklamierten, wenn auch nur in ihren Träumen.
Von Elisabeth Cruciger wird berichtet, sie habe einmal geträumt, sie hätte in der Kirche in Wittenberg gepredigt. Als sie ihrem Mann davon erzählte, meinte er mit lachendem Mund: „Vielleicht will euch der liebe Gott für würdig erachten, dass eure Gesänge, mit denen ihr zu Hause immer umgeht, in der Kirche sollen gesungen werden.“
Gesungen hat die in einem Kloster aufgewachsene Elisabeth von Meseritz gerne. Als Tochter einer märkisch-pommerschen Adelsfamilie wurde das zwischen 1504 und 1505 geborene Mädchen früh dem weiblichen Zweig des Prämonstratensordens anvertraut. Dass es dort auch zur Nonne geweiht wurde, wage ich trotz zweier Hinweise aus reformatorischer Zeit zu bezweifeln.
Zu dem 1120 von Norbert von Xanten in Premontré gegründeten Prämonstratenserorden gehörten von Anfang an auch Frauen. Als Chorfrauen nahmen sie wie die Chorherren die Augustinusregel an und legten die feierlichen Ordensgelübde (Gehorsam, Armut und Keuschheit) ab. Bis 1140 lebten alle Ordensangehörigen in einer Art Doppelkloster nebeneinander, zu dem ein Männer- und Frauenkonvent gehörten. Als immer mehr Frauen in den weiblichen Zweig strömten, wurden die Konvente räumlich voneinander getrennt. Weiterhin siedelten die Prämonstratenserinnen sich jedoch in unmittelbarer Nähe von Männer-Abteien an. Für die religiöse Bewegung des Mittelalters hatte der weibliche Ordenszweig eine große Bedeutung. Er hat die religiöse Bewegung in den nördlichen Ländern wesentlich bestimmt. Mit der Reformation jedoch wurde die Auflösung vieler Konvente eingeleitet. Dass Elisabeth von Meseritz sich bereits im Kloster mit der reformatorischen Lehre befasste, zeigt ein Briefwechsel, den sie im Januar 1519 mit dem getauften Juden Joachim aus Stettin führte. Die damals vermutlich Fünfzehnjährige (Novizin?) tröstete den jungen Mann in seinen Glaubenszweifeln mit der Verheißung aus Philipper 1,5: „Lieber Bruder, sei zufrieden, hab ein Gemüt, denn der das gute Werk und die Seligkeit in uns angehoben hat, wird’s ohne Zweifel vollbringen.“
Vermutlich hatte die reformatorische Lehre den Frauenkonvent über das in der Nachbarschaft liegende Männerkloster Belbuck erreicht. Dort wirkte der in Wolin (Polen) geborene und 1509 zum Priester geweihte Johannes Bugenhagen (1485–1558) als Ausleger der Bibel und der Schriften der Kirchenväter. Humanistische Einflüsse und reformatorische Erkenntnisse bestimmten auch sein Denken. Das neuentdeckte Evangelium, die alleinige Autorität der Bibel und die Rechtfertigung aus Gnade fanden über ihn auch Einlass in das nahegelegene Frauenkloster Marienbusch. Als Bugenhagen 1521 nach Wittenberg zog und dort sein Theologiestudium aufnahm, brach auch das Ende der beiden Klöster in Belbuck und Marienbusch an. Da Elisabeth von Meseritz zu diesem Zeitpunkt das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, ist zu vermuten, dass sie ihre Profess mit dem Sprechen der feierlichen Gelübde noch nicht abgelegt hatte und somit keine Nonne war, obwohl sie in manchen Texten so bezeichnet wird. (1524 schreibt Johann Betz an den späteren Konstanzer Bürgermeister und Reformator Thomas Blarer: „Über die hiesigen Verhältnisse werden andere besser berichten: Kilian oder Caspar, der kürzlich eine Nonne (virginem vestalem) geheiratet hat, was manchem missfällt, doch tut Caspar nichts Unüberlegtes.“ In einem weiteren Brief nennt ein Wittenberger Student Elisabeth von Meseritz eine monialis Pomerana – pommersche Nonne. Vgl. Rößler, Liedermacher im Gesangbuch, 132.)
Sie verlässt das Kloster und trifft nach einer Zwischenstation an einem unbekannten Ort 1522 in Wittenberg ein, wo sie im Haus der Familie Bugenhagen Aufnahme findet. Bugenhagen war mittlerweile Pfarrer der dortigen Stadtkirche. Zugleich hatte er als zweiter der Wittenberger Theologen Walpurga, geborene Rörer (1500–1569) geheiratet. Luther hatte genau in diesem Jahr sein Traktat zum ehelichen Leben verfasst, in dem er die Ehe als einen von Gott gewollten Stand lobt und das Gelübde der Keuschheit als widernatürlich verurteilt. Auch davon hört die ehemalige Klosterschülerin Elisabeth von Meseritz in dem sozialen Umfeld der kirchlichen und universitären Kreise in Wittenberg. Hier begegnet sie auch dem in Leipzig geborenen Caspar Cruciger (1504–1548). Er hatte gerade ein Studium der Theologie und hebräischen Sprache aufgenommen. Rasch sind sich die beiden einig und so kann bereits im Juni 1524 von Martin Luther die Trauung vollzogen werden. Bemerkenswert ist, dass Luther für diesen vor der Kirchentür vollzogenen Akt das erste nach evangelischen Grundsätzen veränderte Formular abfasst. Den genauen Wortlaut kennen wir aus einem vom kursächsischen Geheimsekretär Georg Spalatin (1484–1545) verfassten Protokoll. Danach hat Luther zunächst zum Bräutigam gesagt: Also steht geschrieben: Im Schweiß deines Angesichts wirst du dein Brot essen (nach Genesis 3,19). Diese Lektion hat Gott dir, Caspar, geben. Und danach hat er zur Braut gesagt: Du sollst deine Kinder mit Kummer gebären (nach Genesis 3,16). Diese Lektion hat Gott dir, Elsa, geben. Nachdem beide den Formeln zugestimmt hatten, steckte Luther dem Bräutigam und der Braut die Ringe an und sprach: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden (nach Matthäus 19,6). Abschließend folgte die biblische Aufforderung: Seid fruchtbar und mehret euch (nach Genesis 1,28).
Spalatins Protokoll ist weiter zu entnehmen, dass der Bräutigam noch nicht Doktor und gerade erst 20 Jahre war. Der Trauung folgte wenige Tage später eine von Bugenhagen und seiner Frau ausgerichtete fröhliche Hochzeitsfeier, für die er Spalatin um Fürsprache bei Friedrich dem Weisen (1463–1525) zwecks Zusendung von etwas Wildbret bat.
Dem Ehepaar werden zwei Kinder geschenkt. Der Sohn Caspar (1525–1597) wird später als Professor die Nachfolge von Melanchthon antreten und im Zusammenhang von Lehrstreitigkeiten der frühen Orthodoxie zum Calvinismus übertreten. Die Tochter Elisabeth wird in zweiter Ehe Luthers Sohn Johannes, das „Hänschen“, heiraten.
Als Pfarr- und Professorenfrau hat Elisabeth Cruciger einen großen Haushalt zu führen, zu dem studentische Freitische und gelehrte Tafelrunden gehören. Neben der Freundschaft zu Walpurga Bugenhagen nimmt sie auch freundschaftlichen Kontakt zu Katharina von Bora (1499–1552) auf, die Martin Luther 1525 geheiratet hat. Einem unvollständigen Brief Luthers ist zu entnehmen, dass die beiden Frauen sich gegenseitig beschenkten. Nach nur 10-jähriger Ehe verstirbt Elisabeth Cruciger am 2. Mai 1535 im Alter von 30 Jahren. Mit ihrem Lied hat sie der Nachwelt eines der innigsten Reformationslieder hinterlassen. Es gilt als das erste Jesuslied der evangelischen Kirche und steht als Wochenlied für den letzten Sonntag nach Epiphanias im liturgischen Kalender.
Obwohl Luther Elisabeth Cruciger sehr schätze und die Popularität des Liedes auf ihn zurückgeht, war es ihm unmöglich, eine Frau als Liederdichterin ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Erstmals erschien das Lied ohne Nennung der Verfasserin bereits 1524 sowohl in den Erfurter Enchiridien als auch in dem von Luther herausgegebenen Wittenberger Chorgesangbuch. Den Namen der Verfasserin nennt Andreas Rauscher erstmals in seinem 1531 in Erfurt gedruckten Gesangbuch. Trotzdem führt das Klugsche Gesangbuch, zu dem Luther eine Vorrede schreibt, den Namen der Verfasserin auch 1533 nicht an. Seit Ende des 16. Jahrhunderts aber erscheint das Lied durchgängig mit dem Namen der Liederdichterin.
Die fünf Strophen des innigen Jesusliedes berühren sich mit den neutestamentlichen Christusliedern, den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen und den frühen lateinischen Hymnen. Kurze und prägnante Aussagesätze kennzeichnen den Redestil.
Der Liederdichter Cyriakus Spangenberg (1528–1604) findet 1571 einen interessanten Zugang zu dem Jesuslied von Elisabeth Cruciger. Er vergleicht es mit einem geistreichen Betpsalm. In seinen Ausführungen nennt er unbefangen auch den Namen der Verfasserin. Er schreibt: „Und hat diesen Psalm ein recht fromm gottfürchtiges Weib gemacht, Elisabeth Crucigerin geheißen, und hat dem Doktor Martino so wohl gefallen, dass er ihn selbst in sein Gesangbüchlein zu setzen befohlen.“ Vergleichbar mit dem von den Reformatoren hoch geschätzten Kollektengebet ist das Lied ein auf dem Bekenntnis aufbauendes inhaltsreiches Gebet.
Die erste Strophe ist ein lobpreisendes Bekenntnis zu Christus, der dem Herzen des Vaters entsprossen ist. Leicht lässt sich hier eine Verbindung zu den altkirchlichen Bekenntnissen herstellen. Wenn es in der vierten Zeile heißt: „gleich wie geschrieben steht“, dann ist darin die Verwurzelung in der reformatorischen Theologie erkennbar, nach der die Bibel die Urkunde des Glaubens ist.
In Strophe zwei meditiert die Dichterin den Weg des Erlösers in der Zeit. Christus als Mensch geboren, hat dem Tod die Macht genommen, den Himmel aufgeschlossen und das Leben wiedergebracht. Hier lässt sich ein Zusammenhang zu 2. Timotheus 1, 10 herstellen.
Entsprechend der Struktur des Kollektengebetes folgt in Strophe drei die Bitte um Vereinigung mit Christus im Glauben und in der Liebe. In den Worten „schmecken dein Süßigkeit im Herzen und dürsten stets nach dir“ sind auch mystische Vorstellungen der klösterlichen Vergangenheit der Dichterin zu erkennen.
In Strophe vier spricht die Dichterin erneut den Schöpfer an und bittet ihn, das Herz und die Sinne des Menschen ganz zu sich zu wenden. Es ist eine Bitte um die bleibende Verwurzelung im Glauben. Mit den Worten „du Schöpfer aller Dinge“ ist Christus als Schöpfungsmittler benannt. Zugleich wird eine Verbindung zu zentralen Aussagen des Nizänischen Glaubensbekenntnisses hergestellt.
Strophe fünf bittet um das Sterben des alten und das Auferstehen des neuen Menschen. Hier sind die neutestamentliche Sakramentstheologie der Taufe nach Römer 6,4 und Worte aus Luthers Taufsermon erkennbar.
Nach dem Blick auf die Krisis des menschlichen Lebens endet das Lied mit fast heiteren Worten. Sie ähneln dem mittelalterlichen volkstümlichen Liebeslied: „All mein Gedanken, die ich hab, die sind bei dir. Du auserwählter einziger Trost, bleib stets bei mir“.
Mit ihrem innigen Jesuslied hat die im Kloster aufgewachsene Elisabeth Cruciger der Nachwelt einen Text hinterlassen, der mittelalterliche Mystik und reformatorische Evangeliumspredigt miteinander verbindet.
Ihr Traum ist längst in Erfüllung gegangen. Mit ihrem Lied hat Elisabeth Cruciger nicht nur in der Schlosskirche in Wittenberg gepredigt, sie predigt noch heute in jedem Gottesdienst, in dem das Lied gesungen wird.
Gebet 1:
Das Nizänische Glaubensbekenntnis
Gebet 2:
Gnädiger Gott, dir sei Dank für die Frauen und Männer, die im Verlauf der Geschichte ihren Mund öffneten und dein Wort verkündigten.
Besonders danken wir dir für die Frauen, die den Mut hatten, trotz männlicher Verbote öffentlich von dir zu reden.
Danke für die Lieder, die Menschen durch Jahrhunderte hindurch getröstet und in ihrem Glauben gestärkt haben.
Wir bitten dich, lass die altbekannten Choräle auch in Zukunft erklingen und junge und alte Menschen in ihrem Glauben stärken.
Psalmvorschlag: |
Psalm 27 |
Evangelium: |
Johannes 3,14–21 |
Lesung: |
Römer 6,1–11 |
Liedvorschläge: |
450 (Morgenglanz der Ewigkeit) |
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179 (Allein Gott in der Höh sei Ehr) |
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67 (Herr Christ dein bin ich eigen) |
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401 (Liebe, die du mich zum Bilde) |
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168 (Du hast uns Herr gerufen) |