Die Wochensprüche im Juli 2021

4. Juli 2021

5. Sonntag nach Trinitatis

Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.
Epheser 2,8

Ein junger Elektriker, 20 Jahre, er sieht aus wie John Lennon, macht sich auf den Weg zur Arbeit.
Es ist ein Donnerstag im Oktober 1963. Er pfeift einen Beatles-Song vor sich hin. Sein Leben läuft gut. Die Arbeitswoche ist fast geschafft. Eine Spätschicht noch, dann: Wochenende und das Verlobungsfest mit seiner Liebsten. She loves you, yeah yeah yeah.
Nur noch eine Pumpe auf Automatikbetrieb umrüsten. Unten im Schacht. Danach wieder hinauf und hinaus. Gegen 19.30 Uhr bringt er die Pumpe zum Laufen.
Etwa zur gleichen Zeit bricht irgendwo über ihm ein Klärteich ein. Hunderte Millionen Liter Schlamm und Wasser überfluten das Bergwerk. 129 Kumpel sind mit ihm verschüttet. Eine unglaubliche Rettungsaktion beginnt. Viele Bergleute können gerettet werden. Einige bleiben vermisst. Nach einer Woche gibt es für sie keine Hoffnung mehr.
Niemand ahnt, dass es diesem Elektriker zusammen mit 21 Kumpels tatsächlich gelungen war, sich in einen entlegenen Hohlraum zu flüchten. Und, Gott sei Dank, gibt es oben einen unter den Bergwerksingenieuren, der unermüdlich weiter nach den Vermissten sucht. Nach vierzehn schrecklich langen Tagen veranlasst er eine weitere Bohrung. Sie landet direkt bei den Verschütteten. Mit Klopfgeräuschen machen sie auf sich aufmerksam. Der junge Mann kehrt zurück ans Tageslicht. Er liegt geschwächt auf einer Trage. Seine Liebste küsst ihn. Das Wunder von Lengede gewinnt Gestalt. Der Elektriker ist heute über 80 Jahre alt. Er hat seine Liebste geheiratet. Er hat noch viele Beatles-Hits mitpfeifen dürfen. Er ist nie wieder in einen Schacht eingefahren.
Die BILD-Zeitung titelte am Tag nach der Rettung: Gott hat mitgeholfen. Und zitierte damit jenen Ingenieur, der die Verschütteten nicht aufgeben wollte. Und bringt so etwas zum Ausdruck, was uns Christen in den Tiefen unserer Seele berührt und erreicht: Halte dich fest am Glauben, an der Hoffnung, an der Liebe. Sie sind Gottes Geschenk an dich. Manchmal auch einfach nur zum Durchhalten.

11. Juli 2021

6. Sonntag nach Trinitatis

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.
Jesaja 43,1

Sommertag der Kindheit. Kleine Strolche spielen auf einer Streuobstwiese. Der Ball ist oben im Baum gelandet. Einer muss hinaufklettern. Und der dicke Michel muss sich unten am Stamm hinknien. Meine Sandalen rollen sich von ihm ab, finden Halt auf einem Ast. Schnell und leicht geht es hinauf. Der Blick ins Himmelsblau bietet eine unendliche Auswahl neuer Klettermöglichkeiten. Die anderen Kinder stehen unten, mit zurückgelegten Köpfen und zusammengekniffenen Augen. Ich erreiche den Ball, gebe ihm einen Stoß. Er purzelt hinab. Die Kinder jubeln, verschwinden zurück in ihr Spiel.
Ich bleibe oben im Baum. Nicht ganz freiwillig. Die Freude über den Klettererfolg verfliegt mit dem schwindelnden Blick nach unten. Die Tiefe hat eine spürbar andere Wirkung als das Himmelsblau. Wie bin ich da nur hinaufgekommen? Ich versuche, den Griff am Stamm zu lockern, schiebe einen Fuß nach unten. Kein Halt. Zu weit. Zu tief. Alles an mir zittert. Ich beginne zu weinen.
Der dicke Michel ist der Einzige, der nach mir Ausschau hält. Entschlossen läuft er ins Dorf. Mein Onkel kommt angerannt in seinen weiten Schlaghosen, sieht mich, lacht und klettert zu mir hinauf. Ruft meinen Namen. Sagt: Hab keine Angst, ich bin da. Hält meinen Fuß fest, so lange, bis der weiter unten Halt findet.
Auf halber Höhe springt der Onkel vom Baum. Ich nicht. Er breitet die Arme aus und sagt: Komm, lass dich fallen, ich fange dich. Irgendwann ließ ich mich fallen. Und er fing mich.
Es war der Onkel, der mich schon zur Taufe als Pate übers Wasser gehalten hatte. Es war der Onkel, der mich zeitlebens auf Bäume hinauftrieb. Und mir den Glauben und das Vertrauen an Gott ins Herz schrieb. Ins Astwerk und in die Verflechtungen unserer Lebensgeschichten hinein ruft uns einer zu: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

18. Juli 2021

7. Sonntag nach Trinitatis

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
Epheser 2,19

André und Magda sind ein Ehepaar. Seine Mutter ist Französin, der Vater Deutscher; Magda ist die Tochter einer Russin und eines italienischen Offiziers englischer Abstammung. Mehr Migrationshintergrund geht nicht. André ist Pfarrer in einem verschlafenen kleinen Bergdorf in den Cevennen. Dort gibt es viele Bauern und noch mehr Schafe und Kühe. Dazu ein paar Hotels und Pensionen. Im Sommer wird es für ein paar Wochen lebendig, dann bringt eine Schmalspurbahn Menschen aus den Städten in die frische Bergluft hinauf. Auch 1942 fährt die Bahn Tag für Tag mittags im Bahnhof von Le Chambon ein. Es steigen viele Menschen und Familien mit Koffern aus, aber es sind keine Touristen. Sie gehen direkt zu André und Magda ins Pfarrhaus. Von dort werden sie auf Bauernhöfe und verschiedene Pensionen in der entlegenen Bergregion verteilt. Was heute nach der Arbeit eines Tourismusbüros klingt, war 1942 eine der größten Hilfs- und Schutzaktionen für jüdische Mitbürger im besetzten Frankreich während des Weltkrieges. Über 3.500 Menschen können sich dank der Hilfe eines ganzen Dorfes in den Cevennen verstecken und vor der Deportation in ein Vernichtungslager gerettet werden. Die Bewohner des Dorfes, die meisten protestantische Hugenotten, wissen, was es heißt, verfolgt zu sein. Sie öffnen Flüchtenden ihre Türen und Verstecke. Sie wissen, wie das geht. Schon Jahre zuvor haben sie Geflüchtete und Gestrandete bei sich aufgenommen, ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Glaubens: spanische Kämpfer gegen Franco, Oppositionelle aus Deutschland und Österreich. Und sie wollen dafür bis heute nicht gelobt werden. Es ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Einige bezahlten für diese Menschlichkeit mit ihrem Leben.
Erst Jahrzehnte nach dem Krieg erzählen die Bewohner des Dorfes zögernd von dem, was sie für andere getan haben. Irgendwo in Le Chambon hängt in einem alten Bilderrahmen auf Französisch: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.

25. Juli 2021

8. Sonntag nach Trinitatis

Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Eph 5,8b.9

Wenn ich biblische Worte vom Licht lese, muss ich in diesem Jahr an die junge Schwarze und Schriftstellerin Amanda Gorman denken, die zum Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden im Januar ihr beeindruckendes Gedicht mit einer Frage zum Licht begann: „Wenn der Tag anbricht, fragen wir uns, wo wir Licht finden können in diesem unendlichen Halbdunkel.“ Und sie endete ihre Vers-Rede Minuten später wieder mit einem Bild vom Licht: „Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie nur befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.“
In der Person dieser jungen Amerikanerin spiegelte sich an jenem sonnig-kalten Tag im Januar die Frage und Antwort ihres ganzen Gedichtes. Aus ihrem Gesicht traten strahlend ihre Augen hervor, auf ihrem schwarzen Haar saßen goldene Licht-Steine und ein knallroter Hut. Ihre dunkelbraunen feingliedrigen Hände gaben aus lichtgelbem Wintermantel den Worten ihren Takt.
Ich atmete das Licht aus diesem Gedicht und dem Auftreten der beeindruckenden jungen Frau. Nach vier Jahren im stickigen Halbdunkel amerikanischer Politik war es, wie wenn sich mit ihren Worten die Tür zu einem neuen Tag öffnete und die Lungen wieder wagten, tief einzuatmen. Einzuatmen von dem Licht, das Hoffnung und Zukunft bringt.
Amanda Gorman lässt auch die Bibel anklingen in ihrem Licht-Gedicht. Etwa den Aufruf im Epheserbrief, dass wir wandeln dürfen als Kinder des Lichts; die Frucht dieser Lichtblüten sind lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Und immer ist es auch ihre eigene Person, ihre eigene Geschichte, die diese Anklänge mit Leben füllt und uns allen zeigt: Es kann gelingen. Mit Gottes Hilfe. „Wenn ein schwarzes Mädchen, Nachkomme von Sklaven und aufgezogen von einer alleinstehenden Mutter, heute davon träumen kann, Präsidentin zu werden“, dann ist alles möglich. Sage nie, du bist zu schwach, zu klein, zu unbedeutend. Gott hat seine Freude an Menschen wie Amanda Gorman. Gott hat seine Freude auch an dir, kleine Lichtgestalt.

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