Intergenerative PädagogikJung und Alt gemeinsam aktiv

Nicht jedes Kind hat Großeltern oder sieht die eigenen oft genug. Dabei ist eine Begegnung zwischen den Generationen nicht nur für alte Menschen, sondern auch für Kinder sehr wichtig. Die intergenerative Pädagogik bietet solch eine Möglichkeit.

Intergenerative Pädagogik: Jung und Alt gemeinsam aktiv
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Vor allem Kindertagesstätten und Altenhilfeeinrichtungen haben die Idee der intergenerativen Pädagogik in der Praxis längst aufgegriffen und führen die beiden Generationen an den Altersrändern unserer Gesellschaft in spannender Projektarbeit zusammen.

Es hat sich herausgestellt, dass der regelmäßige Kontakt zwischen Kindern und Senioren nicht nur den institutionellen Alltag in den Einrichtungen bereichert, sondern auch zu einem neuen gegenseitigen Verständnis der beiden Generationen führt.

Sozialpädagogen, Erzieherinnen und Betreuer/Pflegekräfte sind sich darin einig, dass die kontinuierliche Beziehungsarbeit zwischen jungen und alten Menschen für beide Seiten eine enorme Bereicherung darstellt: Sie stabilisiert die Identität von Senioren und steigert ihre Lebensfreude. Kinder wiederum erleben mit den alten Menschen, etwa durch Erzählungen und alte Lieder, Bereiche und Facetten des Lebens, die ihnen sonst verschlossen blieben. Die kindliche Phantasie wird angeregt und erhält neue Impulse, während den alten Menschen wichtige Erfahrungs- und Lernprozesse ermöglicht werden. Senioren, die in Altenheimen versorgt werden und in den Einrichtungen häufig die Verbindung zur Außenwelt verlieren, können durch den regelmäßigen Kontakt zu Kindern leichter den Bezug zum heutigen Leben erhalten. Sie bleiben auf diese Weise aktiv und müssen sich mit neuen Gegebenheiten, wie etwa mit zeitgemäßen Erziehungsweisen, auseinandersetzen. Sie lernen dabei, eigene Vorstellungen zu hinterfragen und sich auf den heutigen - weniger autoritären - Umgang mit Kindern einzustellen. Genau diese geistige Mühe, eigene Anschauungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren, beschreiben Altenpfleger/innen als erstaunlich dynamisierend für alte Menschen.

Die Vermittlung zwischen den Lebenswelten ist eine wichtige Aufgabe

Die Aufgabe der Sozialpädagogik besteht darin, zwischen den verschiedenen Lebenswelten von Kindern und alten Menschen zu vermitteln. Ihr obliegt es, Formen und Konzepte zur gemeinsamen Begegnung zu entwickeln und die Kommunikation dort zu unterstützen, wo sich Spannungen und Probleme ergeben.

Erzieherinnen aus Kindertagesstätten und Pflegekräfte aus Altenhilfeeinrichtungen arbeiten hier eng zusammen. Sie planen Aktionen und schaffen Begegnungsräume und -situationen, in denen sich alle Beteiligten angesprochen und aufgehoben fühlen. Dabei geht es weniger um einmalige Veranstaltungen, wie das ritualisierte Vorsingen von Kindern in Altenheimen während der Adventszeit. Der Schwerpunkt der intergenerativen Arbeit liegt vielmehr auf der Kontinuität der Kontakte, d.h. auf einer echten Chance für Kinder und Senioren, sich individuell zu begegnen und tiefergehende Beziehungen aufzubauen.

Auch den sozialen Problemen der Generationenkluft entgegenwirken

Ein weiteres Ziel der intergenerativen Pädagogik ist gesellschaftlicher Natur: Neben der Lebensbereicherung von Kindern und alten Menschen durch gemeinsame Aktivitäten verbindet sich mit der intergenerativen Pädagogik die Hoffnung, dem sozialen Problem der Generationenkluft in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Die Veränderung der Altersstruktur gehört ebenso zur Realität unserer Gesellschaft wie die zunehmende Entmischung der Generationen. Kinder und alte Menschen werden, ähnlich wie andere Teile der Bevölkerung, weit voneinander getrennt in jeweiligen "Sondereinrichtungen" betreut und dort isoliert voneinander erzogen, gepflegt, beschäftigt und verwaltet.

Die Folge davon ist eine zunehmende Entfremdung zwischen Jungen und Alten, die sich durch eine brüchiger werdende Generationensolidarität längst im Alltag bemerkbar macht. Dieser Zustand verschärft sich noch durch eine schleichende Abwertung der alten Menschen in unserer Gesellschaft. Bereits eine Reihe von Autoren haben sich mit den feindseligen Polemiken gegen Rentner als angebliche Nutznießer des Sozialstaates auseinandergesetzt und versuchen auf theoretischer Ebene gegen die ungerechte Bewertung von alten Menschen anzugehen.

Die wesentliche Voraussetzung für das Gelingen und den längerfristigen Erfolg von intergenerativer pädagogischer Arbeit ist die Planung. Welche Arbeitsformen und Methoden eignen sich für die kontinuierliche Begegnung zwischen Jung und Alt? Wie werden Kinder auf intergenerative Projekte vorbereitet, und wie gewinnt man die Senioren für die geplanten Aktionen? Welche möglichen Probleme, Konflikte und Hindernisse im Alltag müssen berücksichtigt werden? Dies alles sind Fragen, die in ersten Zielformulierungen und Konzeptionen gründlich geklärt werden müssen.

Ein erster Planungskatalog, in dem jene Fragen zusammengetragen werden, über die sich beide Seiten verständigen müssen, könnte etwa so aussehen:

Gibt es Auswahlkriterien? Und wenn ja, für wen sind die Kontakte geeignet?
Welche Gruppenformen werden entwickelt, und wie groß sollte die Teilnehmerzahl bei entsprechenden Angeboten sein? (z.B. Singkreis = Große Gruppe, Backgruppe = Kleingruppe). Flexiblität der alten Menschen: Müssen Essenszeiten oder andere Termine eingehalten werden?
Räumliche Gegebenheiten in den Einrichtungen: Sind die Räumlichkeiten mit Rollstühlen oder Gehhilfen erreichbar? Gibt es ausreichend ungestörte Ecken und Bereiche?
Welche Rolle spielen Sitzordnung, Eröffnungsrituale etc. bei Gruppenangeboten?
Wie soll in Konfliktsituationen vermittelt werden, beispielsweise, wenn die alten Menschen die Kinder ständig zurechtweisen und meinen, die Erzieher/innen zum strengeren Durchgreifen anhalten zu müssen? Sollten bestimmte Regeln vereinbart werden, die das Verhalten der Kinder und die Toleranz der alten Menschen in einem guten Klima zusammenführt?
Wie viele Pflegekräfte stehen zur Verfügung, wenn eventuell immobile oder desorientierte alte Menschen zum Veranstaltungsort gebracht werden müssen?
Wie werden die Kinder auf eine mögliche Konfrontation mit Krankheit und Tod vorbereitet?
Sollen Eltern in die Projektarbeit mit einbezogen werden?

Dieser Fragenkatalog ließe sich beliebig ergänzen und noch wesentlich genauer auf die konkreten Möglichkeiten und Gegebenheiten der jeweiligen Einrichtungen zuschneiden.

Beispiele aus der Praxis - Lore Miedaner gibt in ihrem Buch eine Fülle von Beispielen für Aktivitäten und gliedert sie unter den drei verschiedenen Kategorien:

  1. Senioren werden für Kinder aktiv:
    Die beliebtesten Aktivitäten sind die regelmäßigen Besuche von Senioren in Kindertageseinrichtungen zu gemeinsamen Spiel-, Vorlese- und Erzählstunden. Auch hier bedarf die konkrete Organisation und Durchführung einer genauen Vorausplanung, damit die Gegebenheiten der Einrichtungen und die Wünsche von Kindern und Senioren aufeinander abgestimmt werden können. Äußerst gefragt sind natürlich auch kulinarische Begegnungsrituale, beispielsweise wenn Pflegeheimbewohner in regelmäßigen Abständen ein gemeinsames Frühstück für eine Kindergruppe und sich selbst zubereiten. Andere Möglichkeiten außerhalb der Einrichtung ergeben sich durch eine gemeinsame Obsternte, nach der die Senioren anschließend mit den Kindern nach traditionellen Rezepten Marmelade einkochen. Mit zunehmendem Alter der Kinder wird auch die erzählte Vergangenheit der Senioren ein spannendes Thema zwischen den Generationen. Dabei werden gern Fotos gezeigt und darüber gesprochen (oder in einem kleinen Rollenspiel entwickelt), "wie es früher war". Beliebt ist auch der "Museumskoffer" mit ehemaligen Alltagsgegenständen, mit denen gemeinsam ein Bild vom früheren Leben der Senioren entwickelt wird.
  2. Kinder und Senioren tun etwas gemeinsam:
    In der Praxis bilden allerdings jene Aktivitäten , die (soweit wie möglich) auf gleichrangigem, partnerschaftlichen Tun von Kindern und Senioren ausgerichtet sind, für die Fachkräfte den Schwerpunkt ihrer intergenerativen Arbeit. Entsprechend breit ist hier das Spektrum von Aktivitäten, die sich bereits bestens bewährt haben: Es reicht von gemeinsamen Kochen, Backen, Gemeinschafts- und Gesellschaftsspielen bis zu regelmäßigen Spaziergängen, Zoobesuchen oder der gemeinsamen Gartenarbeit. Nach wie vor erweisen sich Tiere als die besten Kontaktvermittler, denn sowohl Kinder als auch viele alte Menschen interessieren sich oft sehr für Tiere. In manchen Einrichtungskombinationen werden Hasen, Meerschweinchen, Hamster, Hühner und Katzen gehalten und von den Senioren und den Kindern gemeinsam versorgt. Darüber hinaus gibt es eine große Bandbreite weiterer Aktivitäten wie Gymnastik, Sitztanz, Singen, Musizieren, Basteln und Bildnerisches Gestalten. Sehr beliebt bei Jung und Alt sind auch Theater und Rollenspiele, die gemeinsam erdacht und einstudiert werden.
  3. Kinder bereiten etwas für Senioren vor:
    Im Rahmen der Aktivitäten, in denen Kinder etwas für alte Menschen in der Tagespflege und im Heimbereich tun, stellt das rituelle Geburtstagssingen für Heimbewohnerinnen ein besonderes Element in der intergenerativen Arbeit dar. In der Praxis hat sich gezeigt, wie wichtig für viele alte Menschen das Geburtstagssingen ist, und wie sehr sie sich über dieses ganz persönliche Geschenk freuen. Eine der wesentlichen Voraussetzungen ist auch hier vor allem die genaue Absprache mit dem Pflegepersonal, damit das Geburtstagssingen nicht in einem ungünstigen Augenblick stattfindet und das Pflegepersonal sich beteiligen kann.
    Durch die Übernahme von Patenschaften für einzelne Senioren oder für eine Pflegestation ist ebenfalls die Chance zu einem liebevollen und herzlichen Kontakt zwischen pflegebedürftigen alten Menschen und Kindern gegeben. Kinder lernen hier auf die Bedürfnisse von alten Menschen einzugehen, und die Heimbewohner/innen genießen den auf diese Weise abwechslungsreicher gestalteten Alltag.

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