Trauerarbeit mit Kindern

Wie können Sie mit der Trauer der Kinder, der Eltern wie auch Ihrer eigenen umgehen, wenn im unmittelbaren Umfeld der Kita ein Todesfall passiert ist? Ein hilfreicher Erfahrungsbericht.

Ohne jede Vorwarnung trifft mich am Abend der Telefonanruf einer Arbeitskollegin: „Miriam ist von einer Strohbanse gefallen. Sie wurde mit dem Hubschrauber zum Kasseler Klinikum geflogen, aber jede Hilfe kam zu spät.“
Unglaublicher Schmerz und Unglaube nehmen mich den Abend und die Nacht gefangen. Tausend Bilder gehen mir von dem kleinen lebensfrohen Mädchen von fünf Jahren durch den Kopf. Ein Wirbelwind und „Hans Dampf in allen Gassen“, voller Ideen und mit einer großen Liebe für alle Tiere. Sehr eigensinnig und voller Redefreude. Dazu bedrängt mich die Frage, was morgen in der Kita geschehen wird. Wie verkraften die Kinder Miriams Tod? Wie begegne ich den Eltern und der kleinen Schwester, wenn sie in die Kita kommt? Bin ich dem gewachsen? Wie kann ich mich vorbereiten? Darf ich auch weinen, ohne die Kinder zu erschrecken? Viele große Fragezeichen. Eine große Ratlosigkeit. Mit so was rechnet man nicht! Erst durch Recherchen im Internet wird mir klar: Kinder wollen und brauchen kindgemäße und ehrliche Antworten auf das, was sie wissen möchten. Sie werden uns Erwachsene mit guter Beobachtungsgabe in den Blick nehmen. Ich darf auf jeden Fall nicht von „eingeschlafen“ oder „von uns gegangen“ sprechen. Kinder müssen den Tod genauso akzeptieren wie Erwachsene auch. Wir werden diesen Menschen auf der Erde so nicht wiedersehen, egal, welchen Glauben wir haben oder was wir uns wünschen.
Am nächsten Tag in der Kita sprechen wir Erzieherinnen uns ab, dass wir zunächst abwarten, was an Information bei den Kindern überhaupt bereits angekommen ist. Die Nachricht ist noch nicht jedem bekannt. Als Phil, ein Junge aus Miriams direkter Nachbarschaft in die Einrichtung kommt, ergeben sich rasch die ersten Gespräche. Phil hat den Hubschrauber gesehen. Die Eltern haben ihn über alles aufgeklärt. Im Eingangsbereich informieren sich die Eltern gegenseitig, stellen Mutmaßungen an.

Die Kinder beginnen Fragen zu stellen: „Stimmt das? Warum ist Miriam da runtergefallen? Warum ist sie aufs Stroh geklettert? Warum stirbt man dann? Wo ist sie jetzt?…“ Wir beantworten die Fragen so ehrlich und authentisch, wie uns das möglich ist. In der Abschlussrunde am Morgen überlegen wir zusammen mit den Kindern, dass wir für Miriam einen kleinen Tisch aufstellen könnten, auf dem ihr Foto steht. Dort können wir die Dinge hinlegen, die uns an sie erinnern, oder dort ist Platz, für kleine Geschenke, die wir ihr mitgeben wollen.
Die Kinder nehmen die Ideen unterschiedlich auf. Einige Kinder beginnen gleich zu malen oder zu basteln. Andere schauen interessiert zu, aber scheinen sich innerlich mit dem Thema zu befassen. Andere ziehen sich zurück und reagieren nicht aktiv.

Am nächsten Tag gehen die Fragen und Gespräche weiter. Der Elternvorstand hat sich überlegt, dass zur Beerdigung jedes Kind eine Rose mit seinem Namen auf den Friedhof mitbringt. Den Eltern bleibt freigestellt, ob sie mit ihrem Kind teilnehmen. Wir als Erzieherinnen werden alle teilnehmen und organisieren die Regelung entsprechend. Doch bevor der Termin feststeht, dauert es noch sechs Tage, da bei einem Unfall zunächst die Kriminalpolizei ermitteln muss. Diese Zeit nutzen wir, um genauer nach jedem einzelnen Kind und seinem Umgang mit dem Tod zu schauen. Wir nehmen die Aussagen der Kinder sehr genau wahr und sammeln sie auch für eine Besprechung im Team.
Der kleine Tisch mit Miriams Bild füllt sich nach und nach mit noch gesichteten Fotos und Basteleien der Kinder. Luisa malte ein wunderschönes Bild mit viel Glitzer, das sie selbst sehr mag.

Aushalten, keine Antworten zu haben, und Unterstützung holen

Kinder trauern anders als Erwachsene und wir fühlen uns unsicher. Aber nicht nur deshalb empfanden wir Erwachsene, dass wir von der Situation überfordert waren. Tod ist für jeden von uns unfassbar.
Wir beschließen, für uns im Team jemanden der Lebens- und Trauerbegleitung (Notfallseelsorge) einzuladen. Sehr kurzfristig geben uns zwei Fachleute mit fundiertem Wissen hilfreiche Ratschläge für den Umgang mit der Trauer von Kindern.
Wir beschließen daraufhin, auch einen Elternabend mit der Notfallseelsorge anzubieten. Der Umgang mit den Eltern von Miriam bedarf hierbei einer besonderen Feinfühligkeit und respektvoller Absprachen über deren Wünsche im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen, falls es zu Fragen der Eltern kommt.
Für die Kinder informieren wir uns über passende Bilderbücher und holen diese aus der Bücherei. Wir werden sie den Kindern im Morgenkreis vorstellen und erzählen, worum es geht. Auf Wunsch und Nachfragen der Kinder lesen oder betrachten wir einzelne Bücher. Dabei soll jedes Kind die Möglichkeit haben, eine Antwort auf Fragen zu bekommen und erzählen zu können, was es bewegt.

Miriams „Gedenkecke“

Gespräch in der Kinderkonferenz

Etwa drei Wochen nach Miriams Tod wurde der Tisch mit ihren Fotos, Malbildern der Kinder, Bastelsachen, Teelichtern, Engelchen und Briefen aus der Mitte des Gruppenzimmers fortgeräumt. Einige Kinder interessieren sich dafür und dekorieren die Gegenstände und Fotos neu auf und über dem Portfolio- Schrank. Sie halten diesen Platz für angemessen.
Nach zwei Monaten scheint das Interesse der Kinder erloschen zu sein. In der Kinderkonferenz fragt eine Erzieherin nach, ob Miriams Sachen abgeräumt werden können oder ob die Kinder andere Vorschläge haben. Ganz spontan ruft ein großer Teil der Kinder in die Runde:
„Neeeiiin, das möchten wir nicht! Nein!“
Das Gespräch geht in folgender Weise weiter:
Jule: Als der Tisch noch immer bei euch im Zimmer stand, habe ich den Kranz gesehen, ein schöner Kranz war das. Der soll bleiben, weil der so schön ist.
Marvin: Das habe ich noch nicht gesehen.
Livia: Doch, du hast das vergessen.
Jan: Nein, das soll auch nicht weg. Ich möchte das nicht!
Bastian: Nein, ich finde auch nicht, dass die Ecke weg soll. Ich will das auch nicht!
Marie: Das soll immer da stehen bleiben, für immer und ewig, bis alle Erzieherinnen nicht mehr da sind.
Emilio: Ja, bis in alle Ewigkeit!
Jan: Ja, der Schrank soll nicht abgeräumt werden.
Erzieherin: Warum?
Jan: Der soll einfach so nicht weg.
Johannes, ganz leise: Wegmachen nicht.
Jule: Wir könnten über Miriam ja mal reden. Ich fand echt nicht gut, dass sie so heimlich auf den Dachboden gegangen ist! Ich finde es auch nicht schön, dass sie gestorben ist.
Leon: Welche Miriam denn?
Marie: Meine Schwester!
Leon nickt : Hmmh!
Janne: Vampire schlafen gern in einem Grab zum Beispiel. Das stand nämlich bei Meike im Heft. Mit zwei Kreuzen, oben und unten. Aber die gibt’s ja nur in Heften!
Bastian: Im Grab, da bleiben auch die Knochen übrig. Da ist auch ein kleiner Engel auf dem Grab und ein kleiner Teddy. Ich war nämlich mit meinem Papa da an Miriams Grab.
Ben: Da würde sich Miriam freuen, wenn sie nicht tot wäre.
Janne: Die Seele geht aber immer hoch, zum lieben Gott!
Jan: Die haben sie mit Erde zugemacht.
Janne: Ich weiß, wer den Bär hingebracht hat. Leo, der schon in der Schule ist. Ich habe eine kleine bunte Windmühle hingestellt.
Leon: Ich hab ein Schweinchen hingebracht.
Janne: Ja, das hab ich gesehen.
Leon zeigt mit den Armen: Das Grab ist so hoch und so tief. Da ist ein Sarg drin. Da schläft Miriam drin. Die Männer haben lange Seile. Damit haben sie den Sarg runter gelassen. Und schwupp (Er wirft die Arme hoch.) … geht die Miriam in den Himmel! …(Er überlegt eine Weile, während alle Kinder plötzlich ganz leise sind. Leon guckt um sich.) Und ich hab noch’ne Fackel hingebracht! (Wahrscheinlich meint er Allerheiligen.)

(Alter der Kinder: Leon, Johannes: 3 Jahre - Jan, Bastian, Marie, Emilio, Jule: 4 bis 5 Jahre - Janne, Ben, Marvin, Livia: 5 bis 6 Jahre)

So können Sie mit Kinderfragen zum Thema Tod und Trauer umgehen

  1. Nehmen Sie alle Fragen der Kinder, auch noch so naive oder „lustige“, ernst und beantworten Sie diese.
  2. Sagen Sie nicht: „Das verstehst du noch nicht, dazu bist du noch zu klein.“
  3. Die Antworten müssen altersgerecht, aber nicht in einer verniedlichenden Sprache sein.
  4. In den Antworten dürfen keine falschen Bilder und „Märchen“ vermittelt werden, die das Kind später nicht mehr glauben kann. Kinder haben ein Recht auf ehrliche und wahrheitsgemäße Antworten.
  5. Wenn Sie nicht sofort antworten können, sollten Sie das Kind ruhig auf später vertrösten, aber diese spätere Gelegenheit nicht vergessen!
  6. Wenn Sie selber keine Antwort wissen oder es keine Antwort gibt, sollten Sie dies dem Kind offen sagen.
  7. Sie können den Fragekreis des Kindes auch erweitern und die konkrete Einzelfrage in ein größeres Gesamtfeld einbauen.
  8. Zwängen Sie dem Kind kein religiöses Wissen und keine kirchlichen Lehren oder Anschauungen auf. Erklären und begründen Sie stattdessen oder bieten Sie religiöse Sichtweisen als Lebensbegleitung an.
  9. Themen, die das Kind beschäftigen, können in jeder Entwicklungsphase mit neuen Fragen aufgegriffen und zunehmend erweitert und umfassender beantwortet werden.
  10. Lassen Sie sich auf die beliebten „Warum“- Fragespiele der Kinder ein. Sie sind ein Ausdruck des Kindes, die Welt verstehen zu wollen, und laden Sie als Erwachsene ein, es dabei zu unterstützen und zu begleiten.
  11. Kinder brauchen verlässliche Menschen, die ihren Gefühlen ein Echo geben, sie nicht verwöhnen und schonen, sondern ihnen Gelegenheit geben, sich einer schwierigen Situation zu stellen.
  12. Wichtig ist die Kontinuität des Alltags mit stabilisiertem Rhythmus, damit die Gewissheit wachsen kann, sich wieder auf das Leben verlassen zu können.
  13. Pflegen Sie den körperlichen Kontakt durch Nähe und Zärtlichkeit. Schaffen Sie Gelegenheiten sich körperlich zu spüren beim Sport, Radfahren, Toben usw.
  14. Immer wieder sprechen zu dürfen über das, was geschehen ist, und die Zusicherung, dass das Kind nicht schuld ist an der Krankheit, dem Ereignis, welches zum Tod geführt hat - für manche Kinder ist das so wichtig, dass sie dies viele Male hören möchten und sollten.
  15. Bieten Sie dem Kind für seine Verarbeitung die Möglichkeit, mit Gleichaltrigen zu spielen. Auch Lacherlebnisse, Zeit zum Quatschmachen und Sich- Erproben sind von Bedeutung.

vgl. Gertraut Finger (2001): Mit Kindern trauern. Kreuz Verlag; Gertrud Ennulat (2003): Kinder trauern anders. Herder Spektrum.

Der eigene Schmerz

Der Umgang mit den Kindern konnte professionell geleistet werden, doch was ist mit meinem Schmerz, wie verarbeite ich ihn? Miriam ist zwei Jahre fast täglich in der Einrichtung gewesen. Ich hatte eine Beziehung zu ihr aufgebaut und mochte sie in ihren Eigenarten, ganz besonders ihre Eigensinnigkeit und ihre blühende Fantasie. Wie gehe ich mit dem Verlust und dem Tod generell um? So oft es geht, spreche ich mit meinen Kolleginnen über Miriam. Nach der Lähmung der ersten Tage nehme ich mir die Protokolle der täglichen Morgenkreise des letzten Jahres mit nach Hause. Ich finde darin viele Aussagen von Miriam. Die schreibe ich mir heraus und habe somit danach ein Jahr ihres Lebens auf dem Papier festgehalten. Ein Jahr, das ihre Interessen und Anliegen dokumentiert und zusammenfügt. Ein Lebens-Protokoll, das ich in ihr Portfolio hefte. Nach dieser für mich sehr wohltuenden Erinnerungsarbeit übergebe ich das Portfolio Miriams Eltern und biete meine Hilfe an.
Mit der Erlaubnis der Eltern bleibt eine Kopie des Portfolios mit Foto bei mir. Es hilft mir in meiner Trauerarbeit durch die Erinnerung an Miriam und meine geschenkte Zeit mit ihr.

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