Das Neue Testament und seine gesellschaftliche RelevanzWenn Glaube politisch wird

Der Neutestamentler Thomas Söding legt mit seiner jüngsten Monographie ein gleichermaßen anspruchsvolles wie aufschlussreiches Werk vor. Darin bringt er die biblischen Grundlagen des Christentums in ein spannungsreiches Gespräch mit den Herausforderungen heutiger Politik – und das mit bibelwissenschaftlicher Differenziertheit und theologischer Tiefe. Im Zentrum steht eine zentrale Beobachtung: Jesus von Nazareth verkündet das Reich Gottes, aber nicht als religiös motivierte Herrschaftsordnung. Vielmehr plädiert Söding für eine Entflechtung von politischer Macht und religiöser Autorität – und damit für eine Ethik, die politische Verantwortung ernst nimmt, ohne sich in Machtspielen zu verstricken. Diese Grundidee zieht der Autor konsequent durch: von der Analyse antiker Machtverhältnisse über die Rolle der frühen Christen bis hin zu aktuellen ethischen Feldern.

Besonders stark ist die Studie dort, wo sie biblische Texte historisch einordnet und deren gesellschaftliche Relevanz herausarbeitet. Söding gelingt dies sprachlich ohne Vereinfachung, aber auch ohne überfrachtende Fachsprache. Wer sich fragt, welche Impulse das Christentum jenseits kirchlicher Machtfragen zur Gestaltung des Gemeinwesens geben kann, findet fundierte, gut argumentierte Antworten.

Im letzten Kapitel entwickelt der Autor aus neutestamentlicher Perspektive Leitlinien für eine heutige politische Ethik. Diese Passagen sind klug, kenntnisreich und reflektieren sorgfältig klassische sozialethische Themen. Dass aus sozialethischer Perspektive weitere Differenzierungen und Aspekte eingetragen werden könnten, liegt auf der Hand, ändert aber nichts daran, dass das Buch gerade in seiner Grundhaltung überzeugt: Es betreibt keine Vereinnahmung des Politischen durch Religion, sondern plädiert für einen Dialog auf Augenhöhe. Das Evangelium, so Söding, ist keine politische Agenda – aber es enthält Maßstäbe, die politisches Handeln ethisch herausfordern.

Das Buch ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie theologische Forschung gesellschaftlich relevant sein kann – und allen zu empfehlen, die sich für die tiefere Beziehung zwischen Glauben, Ethik und politischer Kultur interessieren.

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Thomas Söding

640 S., 54,00 € (D)