Herr Kardinal Czerny, Sie sind im vergangenen Jahr zweimal im Auftrag des Papstes in die Ukraine gereist, da Franziskus nicht fahren konnte. Viele fragen sich: Warum hat er selbst bei all seinen Äußerungen zum Krieg Wladimir Putin als Verantwortlichen für den Angriffskrieg nie direkt angesprochen?
Czerny: Der Führungsanspruch des Papstes ist kein politischer. Wenn es zwischen Geschwistern zu heftigen, sogar tödlichen Auseinandersetzungen kommt, werden gute Eltern alles tun, was sie können. Mehrfach hat der Papst seinen Wunsch nach Frieden für die vom Krieg gequälten Völker und Frieden für die umkämpfte, von ihm geliebte Ukraine bekräftigt. Der Papst hat gebetet, dass der Herr die Gedanken derer erleuchten möge, die die Macht haben, diesem sinnlosen Krieg ein sofortiges Ende zu bereiten. Gute Eltern werden alles daransetzen, dass sich die streitenden Geschwister versöhnen. Sie werden auch erkennen, dass Versöhnung immer ein Mysterium ist – und nicht das Ergebnis eines Gleichgewichts, das einfach durch Berechnung gesucht werden kann. Es ist erstaunlich, dass sich so viele um die Haltung des Papstes in dieser Frage kümmern. Jeder weiß, wo der Papst steht. Der entscheidende Punkt sind die notwendigen Brückenschläge. Wenn der Papst eine einprozentige Chance sieht, diese Brücke zu bauen, wird er sie ergreifen.
Brauchen wir nach dem Ukraine-Krieg mit seinen einschneidenden Veränderungen für die Weltpolitik ein neues theologisches Nachdenken über Krieg und Frieden?
Czerny: Das Thema ist doch nicht die Frage nach Krieg und Frieden, im Sinne der Koexistenz von Nachbarstaaten im Konzert der weltweiten Machtzentren. Das Problem sind die Fragen des guten Regierens. Hier gibt es erhebliche Defizite angesichts der Herausforderungen, mit denen Regierungen umgehen müssen. Es geht um die Fragen des gerechten Handels, des Umgangs mit den natürlichen Ressourcen, des Schutzes der Wälder und des Klimas, der Sorge um die Wasserversorgung wie die Ozeane – und den Einsatz für die Menschenrechte, die Grundlage für alle Fragen sind. Zu oft gab es in den vergangenen Jahrzehnten vergleichsweise kleine Verstöße gegen die Menschenrechte, die eine große Aufmerksamkeit erhalten haben, während Kollateralschäden im Zusammenhang des weltweiten Wirtschaftens nicht beachtet wurden – worauf Franziskus immer wieder hinweist. All das gehört zur Good Governance, die das Entscheidende ist. Wo all das umgesetzt wird, reduziert sich der Benefit des Kriegs. Der Friede ist dann ein Geschenk, das hinzukommt. Machen kann man ihn nicht so einfach.
Was sind die gravierendsten Konsequenzen der aktuellen Lage für Ihr Dikasterium, das auf den unterschiedlichsten Feldern sozialer Fragen in vielfältiger Weise engagiert ist?
Czerny: Es geht vielfach um die aus der Ukraine geflohenen Familien. Das Drama der Familien, die getrennt werden, wenn die Männer kämpfen und Frauen mit den Kindern aus Sicherheitsgründen fliehen müssen, beschäftigt uns sehr. Unser Interesse richtet sich aber auch auf die Gesellschaften, die die Flüchtlinge aufnehmen. Nicht weniger bedrohlich ist das Reißen der Lieferketten für Nahrungsmittel, aber auch die Energiekrise. Aber: Wenn Menschen in Großbritannien oder in Spanien erfrieren, ist das nicht weniger wichtig, als wenn andere wiederum bombardiert oder erschossen werden. Wir müssen alle im Blick haben.
Was gar nicht so leicht sein dürfte …
Czerny: Wie die Covid-Pandemie ist dieser Krieg eine neuerliche Lektion darin, wie vernetzt, aber auch aufeinander angewiesen wir sind. Das Problem ist auch hier unsere oft nur kleine und begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Zu den skandalösen Aspekten des Krieges in der Ukraine gehört, dass es ja zehn bis zwanzig weitere große Kriege weltweit gibt, die bereits viel länger dauern als dieser Krieg, manche seit Jahrzehnten. Das muss uns zu denken geben. Wie kann es so viele andere unsichtbare Kriege geben? Es ist doch überraschend, dass die Welt nicht so globalisiert ist, wie wir behaupten. Sie ist es eben nur sehr selektiv.
Ist Europa also zu egoistisch, wenn der Fokus so sehr auf die wegen des Ukraine-Kriegs Geflüchteten gelegt wird?
Czerny: Das Erste ist, dass es faktisch sehr, sehr viel Solidarität in Europa gibt. Einzelne Probleme im Zusammenhang mit Flüchtlingen stoßen viel zu schnell auf ein zu großes öffentliches Interesse, während das kontinuierliche Engagement von Tausenden und Abertausenden – Einzelnen, Familien, Gruppen – totgeschwiegen oder sogar geleugnet wird. Es ist eine Lüge, dass wir hier ein großes Problem haben. Es sind derzeit nicht so viele Flüchtlinge, auch wenn es mehr werden. Deshalb wäre es auch wichtig darüber nachzudenken, wie man der Herausforderung am besten – und vor allem nachhaltig – begegnet. Ein anderes Thema ist es deshalb, ob die Regierungen nicht mehr tun könnten. Da kann man schon fragen, ob alles unternommen wird, damit der Umgang mit Flüchtlingen hinreichend respektvoll ist. Aber auch hier sollte es nicht um eine moralische Bewertung gehen; es handelt sich ebenfalls um das Thema Good Governance.
Papst Franziskus hat in seinem Pontifikat viel über die Armen und die ihnen entgegenzubringende Fürsorge gesprochen – von Anfang an. Wird er mit diesem für ihn zentralen Anliegen ernst genug genommen?
Czerny: Jesus selbst hat sich bereits mit Nachdruck für die Armen eingesetzt. Er wurde auch nicht verstanden. Insofern ist das nichts, was in diesem Pontifikat etwas Besonderes wäre. Der Widerstand gegen den Papst und seine Anliegen in den Enzykliken bis hin zu „Fratelli Tutti“ sollte uns nicht überraschen. Wer sich für die Ohnmächtigen einsetzt und dadurch den Wohlstand und die Bequemlichkeit anderer infrage stellt, ist nie populär. Wir müssen ehrlich sein: Wenn man den Status quo mit seinen Ungerechtigkeiten kritisiert, geht es nicht nur um eine abstrakte Kritik an der Verletzung von Prinzipien, sondern um die Belastungen für viele konkrete Menschen. Hier gewinnt man keinen Popularitäts-Wettbewerb.
Gilt das auch in der katholischen Kirche?
Czerny: Letztlich wissen natürlich viele, dass sich die Kirche bis hin zu Papst Franziskus immer schon für die Armen eingesetzt hat. Natürlich könnten wir hier viel mehr machen, und es gibt Leute, die sich dem verweigern. Viele Pfarreien, die Orden, die Caritas, die Bischöfe wie die Bischofskonferenzen haben sich aber immer auch entsprechend engagiert. Für viele Christen ist das selbstverständlich. Dort, wo sich Christen, ihre Gemeinden und Organisationen nicht für die Armen einsetzen, wird das mit Recht skandalisiert. Das ist der beste Beweis, dass man darum weiß, wie sich die Kirche um die Armen kümmert – und zwar unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Nationalität oder Religion. Das Engagement selbst hat an sich keinen Nachrichtenwert, weil es keine interessanten Neuigkeiten sind. Bedauerlicherweise hat die Kirche hier ein großes Kommunikationsdefizit. Hier brauchen wir Geduld. Ganz in diesem Sinne macht Papst Franziskus auf die Dringlichkeit der Probleme aufmerksam und zeigt doch auch Nachsichtigkeit. Er will niemanden verurteilen, aber alle motivieren.
Kann dieses Gleichgewicht aus Drängen und zur Geduld Mahnen auch angesichts der Klimakrise gelten? Papst Franziskus ist es bis hinein in die Enzyklika „Laudato Si“ ein großes Anliegen, dass hier mehr getan wird. Warum hat es so lange gedauert, bis der Vatikan dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 erst vor wenigen Wochen beigetreten ist?
Czerny: Es hat ja nicht sieben Jahre gebraucht, weil man so lange darüber diskutiert hätte, ob man unterschreiben soll oder nicht. Einem solchen Vertrag beizutreten, bedeutet, sich über die Anforderungen und die Konsequenzen bewusst zu werden. Es handelt sich bei solchen Verträgen wie bei dem Pariser Klimaabkommen um ein öffentliches Bekenntnis zu bestimmten Anforderungen. Dieses Commitment ist damit verbunden, dass man Strafen oder Nachteile akzeptiert, wenn man gegen die Auflagen verstößt oder an Zielen scheitert. Der Vatikan als außergewöhnliches Staatengebilde ist hier ein besonderer Fall und deshalb stark gefordert. Es hat sieben Jahre bis zur Unterschrift gedauert, weil der Vatikan den Vertrag auch erfüllen will. Nur wenn man nicht gewillt gewesen wäre, ihn auch zu erfüllen, indem man die Inhalte umsetzt, hätte man schneller unterschreiben können. So musste man sich das genau anschauen, um die Konsequenzen für diesen kleinen Staat zu erfassen. Da waren einige Sachen zu klären. Und ob es jetzt ein Jahr länger gedauert hat oder auch ein Jahr schneller hätte gehen können, spielt dann eigentlich keine Rolle.
Sie haben jüngst ein Buch über die Soziallehre von Papst Franziskus vorgelegt, das jetzt auch in deutscher Sprache erscheint, in dem Sie neben der Kontinuität vom Zweiten Vatikanum über die Vorgänger auch auf die Differenzen zu Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufmerksam machen. Wo setzt sich Franziskus von diesen beiden Päpsten ab?
Czerny: Ein Begriff, mit dem Franziskus anders als seine Vorgänger auf das Konzil zurückgreift, ist das Wort pastoral. Das Konzil hat diesen Begriff bereits in seinem Titel geführt – und nicht einfach nur in manchen Dokumenten. Das ist doch bezeichnend. Franziskus will aufgrund seiner Erfahrungen vor seiner Zeit als Papst nun die pastorale Umsetzung des Konzils, die essenziell für unser Leben als Kirche ist. Auch andere wichtige Aspekte des kirchlichen Lebens, wie die Systematisierung der Glaubenslehren und der Tradition, werden von ihm mit Blick auf die pastoralen Antworten auf aktuelle Herausforderungen beurteilt. Das ist für ihn das Wesen von Kirche. Darauf insistiert er immer wieder. Er hat damit einen wichtigen Fokus in Erinnerung gerufen, der in den beiden Pontifikaten zuvor heruntergedimmt worden war. Natürlich sucht Franziskus nicht die Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern. Er will das Konzil unter Einbezug der Lehren seiner Vorgänger wieder aufgreifen.
Konservative Stimmen mahnen immer an, die Zeichen der Zeit, von denen Sie auch vielfach reden, nicht mit dem Zeitgeist zu verwechseln. Ist das eine reale Gefahr? Welche Kriterien gibt es hierfür?
Czerny: Jesus zum Beispiel hat auf jene verwiesen, die meinen, das Wetter vorhersagen zu können, aber nicht in der Lage sind zu sehen, was vor ihren Augen geschieht – und sie als Heuchler bezeichnet. Man muss die Wirklichkeit deuten. Die Zeichen der Zeit sind kein Programm der Modernisierung wie in der Automobilindustrie, die Jahr für Jahr neue Modelle auf den Markt bringt. Das wäre ein Missverständnis. Die Zeichen der Zeit betreffen jene Aspekte, wo Menschen Christus wirklich suchen. Wir sind dazu berufen, ihn dorthin zu bringen. Wir, alle in der Kirche, dürfen also nicht zulassen, dass die Zeichen der Zeit zu oberflächlich verstanden werden. Aber haben wir wirklich genug dafür getan, dass die Zeichen der Zeit, die auch für unser Leben als Christen eine Herausforderung sein können, ernst genug genommen werden? Oder waren wir zu bequem und haben zugelassen, dass man unter den Zeichen der Zeit nur versteht, dass einige Produkte aufgehübscht werden müssen? Dann sollten wir sagen: mea culpa. Möglicherweise müssen alle, die mit der Verkündigung und der Lehre beauftragt sind, neu lernen, wie wir die Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils besser vermitteln. Was sind die entscheidenden Tweets des Konzils – und wie sind sie zu verstehen? Deshalb ist Ihre Frage mehr als berechtigt. Wie nutzen wir den Begriff in einem evangelisierenden Sinne? Wer die Zeichen der Zeit liest, wird herausgefordert.
Sie haben zuletzt – ganz im Sinne von Franziskus – davon gesprochen, dass man die Kirche erneuern müsse. Ausdrücklich war von Reparatur die Rede. Warum?
Czerny: Es war ein evangelischer Theologe, Karl Barth, der die Maxime „ecclesia semper reformanda“ bekannt gemacht hat. Wir sind eine Kirche der Sünder. Wir müssen immer wieder umkehren und um Vergebung bitten. Die Kirche würde nur dann keine Erneuerung benötigen, wenn sie ein vom wirklichen Leben isoliertes Kloster wäre: ohne Beziehungen zu anderen, ohne jegliche Aktivitäten und damit ohne Fehler. Das aber wäre kontraproduktiv. Deshalb wird die Kirche immer auch Fehler machen. Es wäre traurig, wenn wir aus diesen Fehlern nicht lernen würden. Ich leugne nicht, dass wir Fehler machen, aber ich sehe auch, dass wir aus ihnen lernen. Dass wir das tun, ist unser Beitrag zur Welt: etwas zu bereuen und auf die Verzeihung Gottes zu setzen, es immer wieder neu zu versuchen und nicht voller Verzweiflung aufzugeben.
Können Sie ein Beispiel geben?
Czerny: Ein gutes Beispiel ist gerade das Vorgehen gegen Armut und andere soziale Übel. Wenn man evaluieren würde, wie sich die Arbeit der Kirche von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verändert hat, sähe man konstante Entwicklungen und Verbesserungen, wie man die Armen beim Kampf gegen ihre Situation unterstützt. Ein jüngeres Beispiel: Wie reagiert die Kirche auf Menschenhandel und Sklaverei? Hier haben wir stetige Erfolge, auch wenn das in den Medien viel zu wenig vorkommt. Wir streben diese Verbesserungen nicht an, weil wir unseren Profit erhöhen wollen, sondern weil wir sie als Nachfolge Christi verstehen. Dazu gehört, anzuerkennen, dass man Fehler macht. Dasselbe gilt für das Feld katholischer Bildung, des katholischen Gesundheitswesens und selbst für das Feld der Liturgie. Wir werden nie aufhören zu lernen, weil wir eingestehen müssen, dass das ein oder andere in der Vergangenheit nicht gut war. Deshalb wird die Reform immer weitergehen.
Gilt das auch für die Kurie selbst? Wie bewerten Sie die Kurienreform, die im vergangenen Sommer verkündet wurde?
Czerny: Wir stehen hier erst am Anfang. Aber es handelt sich um einen sehr wichtigen Schritt nach vorne. In der Welt der Unternehmensberater ist es normal, dass man regelmäßig überprüft, ob die Struktur, die Prozesse und die Richtlinien der eigenen Mission, der man sich verpflichtet weiß, weiterhin angemessen sind. Die Art und Weise des eigenen Arbeitens muss dieser Mission entsprechen. Wenn das nicht der Fall ist, muss man reformieren. Das gilt auch für jede Kurienreform. Es geht nicht nur um das Auswechseln von Schildern an den Bürotüren. Wir setzen hier tiefer an: Gerade Papst Franziskus mit seinem Verständnis einer – gerade vom Zweiten Vatikanischen Konzil her – wesentlich pastoralen Mission der katholischen Kirche will eine Reform, die die Arbeit der Kurie auf die Evangelisierung ausrichtet. Die Ausrichtung der Kurie muss in Einklang gebracht werden mit der Orientierung, die das Evangelium gibt. Fragen Sie diese Frage in zehn Jahren wieder. Aber auch dann wird die Kurienreform noch nicht zu Ende sein.
Ist das auch der Hintergrund für die Veränderungen bei der Caritas weltweit, die man hierzulande nicht wirklich verstanden hat? Zuletzt wurde die gesamte Führungsspitze von Caritas internationalis abgesetzt und eine Neuordnung angekündigt.
Czerny: Nein. Wie man im Dekret von Papst Franziskus vom 22. November lesen kann, geht es um die Frage der Evaluation des Sekretariats. Mit Blick auf ein besseres Funktionieren des Sekretariats werden wir bald Entscheidungen kommunizieren. Es handelt sich hier um etwas anderes als die Anliegen von „Praedicate Evangelium“ mit Blick auf die Kurienreform.
Zu den Kernanliegen des aktuellen Pontifikats gehört das Thema Synodalität. Derzeit laufen weltweit synodale Prozesse, die in die beiden Bischofssynoden münden. Zuletzt ist das Vorbereitungsdokument für die Kontinentalversammlungen erschienen. Werden die Themen, für die Ihr Dikasterium zuständig ist, ernst genug genommen?
Czerny: Es wäre voreilig, wenn wir als Dikasterium diesen Prozess explizit kommentieren würden. Die Antworten der Ortskirchen haben ihre Bedeutung vor allem mit Blick auf die Vorbereitung der Bischofssynode im Herbst diesen und im Herbst des kommenden Jahres. Wir halten uns deshalb zurück. Hinzu kommt, dass das Anliegen dieser Synode ja nicht einzelne Themen sind, sondern das Erlernen von Synodalität selbst: Wie funktioniert Synodalität eigentlich in der katholischen Kirche? Wie kann die Kirche wirklich synodal werden? Die Einzelthemen stehen dahinter zurück. Entscheidend ist vor allem, dass die jeweilige Ortskirche, ob auf der Ebene einer Region oder der einzelnen Diözese, die Zeichen der Zeit in ihrem jeweiligen Kontext liest, versteht und auf sie antwortet. Wenn es in einer bestimmten Gegend für einen längeren Zeitraum ernsthafte Schwierigkeiten gäbe und die Kirche darauf keine Antwort hätte, wäre das ein Problem, weil das Volk Gottes dann keinen Bezug zur Realität hätte. Die Themen werden im Vorbereitungsdokument nicht aufgeführt, weil sie im Sinne einer Zusammenstellung die wichtigsten Themen für die Weltkirche wären – sondern sie sind der Beweis für die synodale Bewegung, die sich gerade vollzieht. Das Volk Gottes, der Klerus eingeschlossen, ist hier aufgefordert zuzuhören. Darum geht es, wenn Synodalität heute gelernt werden muss.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Synodalen Weg in Deutschland, der zuletzt beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe von hochrangigen Kurienpräfekten heftig kritisiert wurde?
Czerny: Das gilt auch für den Synodalen Weg: Auch hier lernt man Synodalität. Wie bei allen anderen synodalen Prozessen weltweit gibt es Erfolge und Misserfolge. Der Synodale Weg in Deutschland hat bereits vor den meisten anderen Prozessen begonnen und wird aus einer ganzen Reihe von Gründen mit viel Engagement betrieben. Das ist von Bedeutung für Deutschland, was ich allerdings im Detail nicht genauer beurteilen kann. Da die Kirche in Deutschland Teil der Universalkirche ist, muss der Synodale Weg auf der anderen Seite auch ein harmonisches Verhältnis zu den synodalen Prozessen weltweit entwickeln. Auch die katholische Kirche in Deutschland braucht deshalb gleichermaßen ein waches Gespür für die Dringlichkeit der Anliegen wie auch Geduld. Es ist dringlich, auf die in Deutschland aufgeworfenen Fragen zu antworten. Und es ist wichtig, Geduld zu haben, weil die Prozesse harmonisiert werden müssen.
Sie sind wie Franziskus Jesuit. Gibt es einen spezifisch ignatianischen Impuls beim Insistieren des Papstes auf der Bedeutung von Synodalität?
Czerny: Ich muss zugeben, dass ich darüber noch nicht nachgedacht habe. Man kann aber mit keinem Jesuiten über dieses Thema reden, ohne auf die Geistlichen Übungen von Ignatius von Loyola zu sprechen zu kommen. Welchen Widerhall gibt es da? Entscheidend ist das Nachdenken über die große Bedeutung der Unterscheidung: wie man die Stimme des Heiligen Geistes aus dem Trubel der vielen Ereignisse heraushören kann. Es gibt keine Synodalität ohne Unterscheidung. Und genau das ist auch der Kern der Geistlichen Übungen von Ignatius. Es ist sicher kein Zufall, dass der Papst zuletzt mehr als drei Monate lang in seinen Katechesen bei den Mittwochsaudienzen über die Bedeutung der Unterscheidung gesprochen hat.