Europa Spanien revidiert missglückte Sexualstrafrechtsreform

Erst im Oktober war das entsprechende Gesetz in Spanien in Kraft getreten. Jetzt wurde die Sexualstrafrechtsreform revidiert.

Gebäude des spanischen Unterhauses in Madrid
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Spaniens linke Frauenministerin Irene Montero konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. "Heute ist ein trauriger Tag. Der schwierigste Tag, den ich als Ministerin in diesem Parlament erlebt habe", erklärte Montero noch während der Parlamentssitzung, auf der gegen den Willen ihrer Podemos-Partei die erst ein halbes Jahr alte Sexualstrafrechtsreform wieder revidiert wurde.

Es habe Jahre der Mobilisierungen und Kämpfe gebraucht, um das Zustimmungsprinzip in den Mittelpunkt zu stellen. "Nun wurden wir erneut um Jahre zurückgeworfen", stellte die Ministerin klar. Sie war sichtlich wütend - vor allem auf die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sanchez, mit denen Podemos seit drei Jahren einer Koalitionsregierung vorsteht.

Die Sexualstrafrechtsreform war ein Prestigeprojekt der Frauenministerin und gehörte zu einer Reihe feministischer Gesetzesinitiativen, mit denen Podemos gerade im spanischen Superwahljahr 2023 punkten wollte.

Erst im Oktober trat das gemeinsam mit den Sozialisten verabschiedete Gesetz unter dem Slogan "Nur Ja heißt Ja" in Kraft. Demnach kann Sex auch dann als Vergewaltigung gewertet werden, wenn die betroffene Frau sich nicht wehrt oder widerspricht. Hintergrund: Vergewaltigungsopfer halten oft aus Angst oder im Schock still oder schweigen.

Spanien folgte mit der Reform einem europäischen Trend. Bereits 13 EU-Länder haben ähnliche Gesetze, die nach dem sogenannten Zustimmungsprinzip funktionieren. In Deutschland wurde 2016 eine Reform nach dem "Nein-heißt-Nein"-Modell beschlossen.

Auch die spanische Regierung wollte das Verurteilen von Sexualstraftätern erleichtern und Frauen besser schützen. Unbeabsichtigt führten handwerkliche Fehler bei der Umsetzung aber zu Strafmilderungen. So wurden seit Oktober die Haftstrafen für fast 1.000 Vergewaltiger herabgesetzt, über 100 Sexualstraftäter kamen sogar vorzeitig wieder frei. Unter ihnen ist etwa ein Militärpfarrer aus dem südspanischen Cadiz, der wegen eines sexuellen Übergriffs gegen eine Frau zu drei Jahren Haft verurteilt worden war.

Richter und Experten hatten im Vorfeld gewarnt, die Gesetzesreform könnte Strafmilderungen verursachen. Der Grund: Die neuen Vorgaben erhöhten zwar die Strafen für sexuelle Übergriffe mit Gewaltanwendung, ohne eine solche jedoch wurden die Strafen herabgesetzt. Der Aufschrei in der spanischen Gesellschaft war enorm, als die praktischen Folgen klar wurden.

Ministerpräsident Sanchez wollte den Fehler beheben. Frauenministerin Montero indes warf Staatsanwälten und Richtern "Machismo" und eine fehlerhafte Anwendung eines guten Gesetzes vor. Doch nicht nur Richter wehrten sich gegen die Vorwürfe. Cesar Garcia Magan, Generalsekretär der Spanischen Bischofskonferenz, nahm die Justiz ebenfalls in Schutz. Er sprach sich bereits im November dafür aus, die nach seiner Einschätzung polemische Sexualstrafrechtsreform wieder zu ändern.

Doch Podemos wollte nicht mitspielen. So stützten sich die Sozialisten vergangene Woche vor allem auf die konservative Oppositionspartei, um die Revision der Reform zu verabschieden. Podemos warf den Sozialisten "Verrat am Feminismus" vor. Ministerin Montero sprach von einer "Rückkehr zu einem patriarchalischen System, in dem die Opfer gefragt werden, ob sie ihre Beine auch richtig geschlossen hatten".

Die Sozialisten weisen die Vorwürfe ihrer linken Partner zurück. Die Revision der Strafrechtsreform habe in keiner Form am Zustimmungsprinzip gerüttelt. Man sei lediglich zur vorherigen Unterscheidung verschiedener Arten sexueller Übergriffe zurückgekehrt, um die Strafen wieder anheben zu können. So sollen demnächst nicht nur Vergewaltigungen mit Gewaltanwendung wieder mit höheren Strafen belegt werden, sondern etwa auch sexueller Missbrauch abhängiger Personen oder Minderjähriger. Das wiederum könnte zahlreiche Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche in Spanien betreffen.

Erst am vergangenen Wochenende stellte die Bischofskonferenz ein neues Protokoll zum Umgang mit Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche vor. Generalsekretär Magan stellte erneut klar, der Platz der Kirche sei an der Seite der Opfer. Dennoch steht die Bischofskonferenz des Landes in der Kritik. Opferverbände zweifeln an der Unabhängigkeit einer von der Kirche eingesetzten Untersuchungskommission. Diese wird von einer Anwaltskanzlei geleitet, deren Leiter ein bekanntes Mitglied der kirchlichen Organisation Opus Dei ist. Auch das Parlament war mit der Kommission nicht zufrieden und rief eine eigene ins Leben, um Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche zu untersuchen.

Die jüngst von der Kirchenkommission vorgelegten Zahlen überzeugten die spanische Öffentlichkeit ebenso wenig. So beziffert sie die bisherigen Verdachtsfälle seit 1945 auf 706, was weit hinter den Zahlen in Portugal, Frankreich oder Deutschland liegt.

Unterdessen berichtete kürzlich die "Mallorca Zeitung" davon, dass ein Pädagoge im katholischen Kinderheim der Nazareth-Stiftung auf Mallorca bis zu 70 Kinder sexuell missbraucht haben könnte. Die Übergriffe fanden demnach vor allem in den 1980er Jahren statt. Die Opfer meldeten sich aber erst jetzt zu Wort.

Von Manuel Meyer
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