Begegnungen. Raphael Fellmer im GesprächWer ist reich? Was ist Luxus?

Von seinem „Geldstreik“, den er im Jahr 2015 Jahr beendet hat, war im letzten Themenheft von einfach leben ausführlich die Rede (3/2016). Im Gespräch mit Rudolf Walter antwortet Raphael Fellmer jetzt darauf, was ihn immer wieder antreibt und motiviert, einfach zu leben.

Raphael Fellmer
Raphael Fellmer ist Umweltaktivist und Gründer der Bewegung „foodsaving“ (Rettung weggeworfener Lebensmittel).© Patrick Lipke

einfach leben: Jemand hat einmal gesagt: „Es gibt Menschen, die haben Geld. Und Menschen, die sind reich.“ Was heißt Reichtum für Sie?
Raphael Fellmer: Jedenfalls nicht Geld. Reich ist, wer dankbar ist: Wir leben in einem Land, das seit vielen Jahren keinen Krieg kennt, in einem Land, wo wir nicht hungern müssen, ein Dach über dem Kopf und ein Bildungssystem haben, das breit angelegt ist. Finanziert vom Staat. Und letztlich von den Bürgern, die Steuern bezahlen. Wir können hier in Europa leben wie wir wollen. Reichtum ist, die Dinge, die wir haben, wertzuschätzen. Dazu gehört zum Beispiel die Gesundheit, die uns geschenkt ist. Oder auch, dass wir sehen, hören, genießen können. Und dass wir nicht ums nackte Überleben kämpfen müssen, wie 900 Millionen Menschen auf dieser Welt, die täglich hungern.

Aber brauchen wir, braucht der Staat nicht viel Geld, um all das zu ermöglichen – etwa im Gesundheitswesen?
Auch wenn das im jetzigen System stimmt: Was brauchen wir denn wirklich? Letztlich doch v.a. Menschen, die all das ermöglichen, und zwar bestenfalls aus freien Stücken, aus Überzeugung und mit Begeisterung. Wir brauchen ja nicht Ärzte, die uns nur Medikamente verschreiben, sondern die sich uns zuwenden, nach der Wurzel des Problems suchen und nicht Symptome behandeln. Und unsere Infrastruktur: Natürlich brauchen wir Mittel, um sie auszubauen und zu erhalten. Aber letztlich doch v.a. Menschen, die Lust und Freude haben, das zu machen. In einer geldfreieren Gesellschaft würden Menschen nicht mehr nur dem Geld hinterherrennen bzw. aus Zwang und Not handeln, sondern aus Überzeugung ihre Berufe ausleben.

Vermutlich ist Ihnen da das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens sympathisch?
Mir gefällt diese Vorstellung, weil sie neue Antworten erlaubt auf die Frage: Wie würde eine Welt aussehen, wenn die Menschen freiwillig das machten, was ihnen wichtig ist? Wer würde dann noch in den Fabriken gezielt Geräte bauen, die in zwei Jahren kaputtgehen? Oder eine Autobahn bauen, die wir gar nicht brauchen? Wir würden mit Sicherheit dann alle mehr Verantwortung übernehmen und wieder achtsamer sein, weil wir nicht mehr so vom Geld getrieben sind und zueinander und auch zu den Dingen eine ganz andere Verbundenheit spüren.

Ist Geld nicht auch ein natürlicher Motivationsfaktor?
Geld ist auch da nicht alles. Wäre es nicht viel schöner, wenn wir von Anerkennung und Dankbarkeit motiviert wären?

„Dieses Nonstop-Streben nach Reichtum hat eine verdrehte Person aus mir gemacht.“ Das sagte der steinreiche Steve Jobs, der am Ende seines Lebens krebskrank wurde, in einem Abschiedsbrief.
Die Gier nach immer mehr, das von wahren Bedürfnissen losgelöste, egozentrische Streben, macht tatsächlich Menschen und Gesellschaften kaputt. Es wäre doch besser, wir hätten nur die Dinge, um die wir uns auch selber kümmern können.

Also: Weniger ist mehr?
Jedenfalls führt Reduktion auf ein menschliches Maß eher zu Glücksmög lichkeiten. Wir laufen doch dem Glücksversprechen durch immer mehr Konsum seit Jahrzehnten hinterher. Aber Glück wird nicht mehr, indem wir uns mit immer mehr Dingen eindecken.

Wie kann man zu einer anderen Haltung, zu einem anderen Lebensstil kommen?
Am besten durch Einsicht, also Bewusstsein – und freien Entschluss. Ich muss mich nicht vegan ernähren. Aber ich tue es, weil es mir gut tut. Ich muss nicht aufs Auto verzichten, aber tue es, weil ich es nicht brauche. Niemand zwingt mich, aufs Fliegen zu verzichten, aber ich lasse es freiwillig. Es geht darum, etwas zu tun, weil wir einen Sinn darin sehen und uns wohl fühlen damit.

Wir müssen bescheidener leben, wenn die Welt gerechter werden soll. Aber wird das auf Basis der Freiwilligkeit gehen? Oder soll man es verordnen?
Es geht sicher auch um neue Gesetze. Um höhere Steuern auf besonders umweltschädliche Produkte und Angebote etwa. Oder um Unterstützung von Biolebensmitteln. Es ist doch ein Wahnsinn, dass man für einen Euro nach Mallorca fliegen kann oder für zwei Euro ein Hähnchen kriegt! Wir sollten aber nicht so viel vorschreiben, sondern tun und vorleben, was wir für richtig erkennen. Das strahlt aus. Wer sich vegan ernährt, weil es seiner Gesundheit gut tut und weil pflanzliche Nahrung weniger Wasser und Land verbraucht, weniger Verschmutzung erfordert – so dass in der Konsequenz mehr Menschen zu essen bekommen –, der handelt nachhaltig. Wenn wir uns bewusst sind, durch unser Verhalten dazu beizutragen, dass andere Menschen auch satt werden können, fühlt sich das gut an: Ich fühle mich wohl, weil ich meine Werte lebe. Wie gesagt: Reduktion kann ein Weg zur Freude sein.

Wenn man von der Reichhaltigkeit des Einfachen spricht: Worin besteht diese Reichhaltigkeit?
In Wertschätzung und Beziehung. Überfluss erschwert Wertschätzung. Nehmen wir wieder das Essen: Ich kann mir bewusst machen, wie viele Menschen mitgewirkt und ihre Energie reingesteckt haben, wie viele Prozesse involviert sind, bis ein Lebensmittel bei mir auf den Tisch kommt. Wenn ich jeden Tag so viel zu essen habe, dass ich es wegschmeißen muss, ist es schwer, dafür eine Wertschätzung aufzubauen. Wenn ich selbst geerntete Lebensmittel habe oder wenn sie von einem Bauern stammen, den ich kenne, kann ich dazu eine Verbindung aufbauen.

Heißt das nicht auch: Mehr Verzicht? Größere Bescheidenheit?
Ich würde eher von Genügsamkeit sprechen: Nicht permanent all dem nachjagen, was wir haben wollen oder vielleicht irgendwann einmal brauchen könnten. Sich mit dem zufriedengeben, was wir wirklich brauchen. Sich mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse bescheiden: Satt sein, ein Dach über dem Kopf haben, beweglich und mobil sein – ja. Aber sich nicht mit allem Luxus belasten. Ballast ist auch anstrengend. Nur das anstreben, was ich wirklich brauche. Im Hier und Jetzt leben. Darauf vertrauen, dass es auch in Zukunft etwas geben wird. Und sich jetzt schon an den kleinen Dingen des Lebens freuen. Darum geht es.

Also Bescheidenheit – die wiederum mit der Kunst der Unterscheidung zu tun hat?
Ja, denn es ist die Kunst, zu sehen: Was ist wirklich wichtig? Wir brauchen alle zu essen. Aber nicht jeden Tag ein Steak, um satt zu werden. Sich bescheiden heißt auch: das Bewusstsein pflegen, dass wir nicht allein sind auf dieser Erde, sondern dass wir diesen Planeten mit über einer Million anderer Spezien teilen und mit über sieben Milliarden anderen Menschen. Dass mir das Wohlergehen auch der anderen am Herzen liegt und dass es mein eigenes bedingt. Das ist dann kein Verzicht. Mir fehlt nichts. Es ist Erfüllung für mich, mich so zu verhalten, dass es auch anderen gut geht.

Sie wollten zeigen, dass es möglich ist, ohne Geld zu leben. Ihr „Geldstreik“ war das Experiment einer extrem-radikalen Lebensform. Sie haben jetzt den Geldstreik beendet. Empfinden Sie sich als gescheitert?
Nein, ich fühle mich frei und reich und dankbar für all das, was ich in diesen Jahren erleben durfte, was Menschen mir ermöglicht haben. Es hat meinen Horizont erweitert. Ich habe mich weiterentwickelt. Ich konnte vieles anstoßen, was nicht nur für mich, sondern auch für andere Sinn bringt. Ich habe getan, wofür mein Herz schlägt. Als Familie ist es schwieriger, das in dieser Radikalität weiter zu tun. So habe ich noch einmal eine andere Sicht bekommen. Ich nähere mich wieder der Mehrheit an und frage: Was ist weiter möglich und sinnvoll? Es war ein Experiment. Ein Ausrufezeichen gegen den Überfluss und die Verschwendung, die wir in unserer Gesellschaft haben. Es soll zeigen, was alles möglich ist, wenn man bewusst lebt. Als Familie, zu viert, geht das nicht mehr so leicht. Aber dank meiner Frau konnte ich mich öffnen und von meinen harten Prinzipien runterkommen. So kann ich sanfter mit mir selbst sein und mich besser in den Alltag der Menschen einfühlen, um zu sehen, wie wir alle Nachhaltigkeit und Frieden in unser Leben integrieren können.

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