EmotionenSorge, Fürsorge und Vorsorge

Der Philosoph Martin Heidegger hat den Menschen definiert als einen, der sich sorgt. Das Dasein ist demnach Sorge. In der Welt sein heißt: sich um sich und seine Existenz sorgen. Wir können der Sorge nicht entgehen. Die Frage ist, wie wir sie verwandeln können.

Sorge, Fürsorge und Vorsorge
Ängstliches Sorgen verdunkelt unseren Geist. Vertrauen lässt uns kreative Lösungen finden. So wandeln sich Sorgen zu Sorgfalt und Fürsorge.© tomer turjeman - fotolia.com

Nicht nur negativ

Das deutsche Wort „Sorge“ geht von der Grundbedeutung „Kummer und Gram“ aus. Die Sorge ist also nichts Angenehmes. Sie bereitet Kummer. Im Russischen gibt es das Wort „soroga“, das mit dem Wort „Sorge“ verwandt ist. Es meint den mürrischen Menschen. Wer sich zu viel sorgt, mit dem kann man nicht gut umgehen. Und wer sich zu viel sorgt, kommt nicht mehr zur Ruhe. „Sorgfältig“ meinte ursprünglich den Menschen, der lauter Sorgenfalten im Gesicht hat. Aber im Laufe der Zeit hat sich die eher negative Bedeutung von Sorge gewandelt: Wir sollen sorgfältig, also genau und achtsam, arbeiten, Vorsorge treffen, mit anderen fürsorglich umgehen. Vielleicht drückt sich in der verwandelten Wortbedeutung eine Wandlung in der Einstellung aus. Für den mittelalterlichen Menschen – und auch für den Menschen der Antike, etwa für den Menschen der Bibel – war Sorge eher negativ besetzt: Wir machen uns mit unseren Sorgen das Leben schwer. Doch in der Neuzeit wird Sorge zu etwas Positivem: Wer sich sorgt, der tut etwas für andere, er arbeitet genau und gut.

Vertrauen statt sorgen

Von der mittelalterlichen Bedeutung her ist die Sorge immer mit Kummer verbunden. Kummer bedeutet sprachlich gesehen: „Schutt, Müll, Belastung, Mühsal, Not“. Im Wort „Kummer“ drückt sich aus, dass der Mensch bedrückt ist von der Last des Lebens, von den vielen Sorgen. Vor lauter Müll, der ihn umgibt, kann er gar nicht mehr aufatmen. Er fühlt sich belastet und das Leben ist reine Mühsal. Es ist eine pessimistische Grundhaltung, die sich in diesem Wort ausdrückt. Der evangelischlutherische Theologe Paul Gerhardt hat das im 17. Jhd. in seinem Lied „Befiehl du deine Wege“ treffend beschrieben: „Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbst selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein.“ Paul Gerhardt verbindet hier Sorgen und Grämen mit einer Pein, die wir uns selbst bereiten. Wir tun damit weder uns noch Gott einen Gefallen. Auf diese Weise können wir von Gott nichts erbeten. Wir sollen vielmehr auf Gott vertrauen, dass er für uns sorgt.

Zutrauen statt Angst

Wir machen uns Sorgen und wir haben Sorgen, ob wir wollen oder nicht. Die Mutter macht sich Sorgen um ihre Kinder. Der Vater sorgt sich, ob er seine Familie ausreichend ernähren kann. Der Bauer sorgt sich um seine Felder, der Lehrer vor allem um seine Sorgenkinder, um die Schüler, die schwach sind oder von ihrem Elternhaus her keine guten Voraussetzungen haben. Wir können die Sorge nicht aus uns herausreißen. Wir können sie nur verwandeln. Und die Verwandlung hat zum Ziel die Liebe und das Vertrauen. Die Mutter, die sich um ihr Kind sorgt, kann ihre Sorge in Liebe verwandeln. In der Liebe vertraut sie dem Kind, dass es sich gut entwickelt. Doch wie kann diese Verwandlung geschehen? Auch hier führt, wie bei anderen problembehafteten Emotionen, die Verwandlung über das Gespräch. Ich spreche mit meiner Sorge für mein Kind. Ja, in der Sorge schwingt die Angst mit, ob das Kind seinen Weg gut schafft. Ich gebe diese Angst zu und versuche dann, für das Kind zu beten, dass Gott seine gute Hand über den Sohn oder die Tochter hält. Und indem ich für das Kind bete, hoffe ich, dass Gott meine Angst in Vertrauen verwandelt, dass ich dem Kind mehr zutrauen kann, dass es seinen Weg fi ndet.

Anheimgeben statt verdrängen

Ein wichtiger Weg, die Sorge zu verwandeln, ob sie sich nun auf einen Menschen, auf den eigenen Lebensunterhalt oder die Gesundheit und das Wohlergehen der Familie bezieht, ist das Gebet. Im Gebet trage ich Gott meine Sorgen vor. Ich verdränge meine Sorgen nicht. Aber ich stelle sie ihm anheim. Und das kann meine Sorge in Vertrauen verwandeln. Das Gebet für die Menschen ist immer Ausdruck von Liebe. Weil ich sie liebe, bete ich für sie. In der Sorge spüre ich auch meine Ohnmacht. Mit noch so vielen Sorgen kann ich das Wohlergehen des Kindes oder meine Gesundheit nicht garantieren. Nichts in dieser Welt kann ich garantieren. Ich sorge, soweit ich sorgen kann. Aber ich zergrüble meinen Kopf nicht mit lauter Sorgen. Ich drücke die Sorge im Gebet aus. Das kann sie wandeln.

Was Jesus sagt

In der Bibel wird von einer Predigt Jesu über die Sorglosigkeit berichtet. Für manche ist diese Predigt zu weltfremd. Es lohnt sich aber, die Worte Jesu zu bedenken: „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt ... Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“ (Mt 6,25-27) Das griechische Wort für Sorge „merimna“ meint das sorgende Sichkümmern, aber auch die bange Erwartung von etwas, die Angst vor etwas. Jesus hat dieses ängstliche, quälende Sichsorgen im Blick. Er fordert die Menschen nicht auf, nichts zu tun. Wenn er auf die Vögel des Himmels schaut, die nicht säen und nicht ernten, hat er die Arbeit des Bauern im Blick. Der Bauer soll weiterhin arbeiten, aber vertrauen, dass Gott das Werk seiner Hände segnet. Der Bauer kann das Wetter nicht beeinfl ussen. Er muss also darauf vertrauen, dass Gott dem, was er unter Mühen tut, einen guten Rahmen verschafft, damit seine Arbeit Erfolg bringt.
Und wir sollen immer daran denken, worauf es eigentlich ankommt: „Euch muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,33) Es geht nicht darum, meine irdische Existenz nicht sinnvoll und verantwortungsvoll zu planen und auch eine gewisse Vorsorge und Absicherung zu treffen. Aber die Frage ist, worum es mir im Letzten geht. Wenn ich nur auf meinen Erfolg und meine Sicherheit schaue, wird die Angst mich behindern und lähmen. Das Vertrauen auf Gott und das Ausgerichtetsein auf sein Reich gibt mir die Freiheit, mich der Arbeit zu widmen, ohne mir den Kopf mit Sorgen zu zerquälen. Wenn Gott in mir herrscht, dann werde ich frei von quälenden Sorgen. Jesus will uns nicht davon abhalten, für unsere Familie und für unsere Welt und ihre Zukunft zu sorgen. Aber er weiß, dass ängstliches Sorgen unseren Geist verdunkelt. Das Vertrauen lässt uns kreative Lösungen fi nden. Und das verwandelt dann unsere Sorge in Sorgfalt, Fürsorge und Vorsorge.  

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